Schweizer Firmen in Aufruhr: Führen Gleissperrungen in Deutschland schon bald zu einem Cargo-Chaos?

Das erste Wochenende ist überstanden. Aber zwei weitere folgen bis Mitte August, an denen die Rheintalbahn zwischen Offenburg und Freiburg komplett für den Schienenverkehr gesperrt ist. Grund sind Erneuerungen von Gleisen und Weichen zwischen Offenburg und dem 30 Kilometer südlich gelegenen Ort Orschweier. Ende August ist dann noch ein zweiwöchiger Einspurbetrieb vorgesehen.

Während dies für Bahnkunden im regionalen und internationalen Personenverkehr Verzögerungen und Unannehmlichkeiten mit Ersatzbussen zur Folge hat, wird der Güterschienenverkehr ins Mark getroffen. Denn Güterwagen lassen sich nicht auf Busse umladen. Besonders problematisch ist, dass die Gäubahn (Stuttgart-Singen) als klassische Ausweichstrecke in den Verkehren mit der Schweiz und Norditalien ebenfalls wegen Bauarbeiten nicht befahrbar ist. Die DB Netz AG als Infrastrukturbetreiberin hat die Schwarzwaldbahn (Offenburg – Triberg – Donaueschingen – Singen) als Alternative vorgesehen. Am ersten Wochenende kam es hier aber zu Störungen. Wenig überraschend: Denn diese Strecke ist zwar touristisch attraktiv, aber als Gebirgsbahn mit Hunderten von Höhenmetern und etlichen Tunnels nicht für Güterzüge geeignet.

Versorgungssicherheit der Schweiz gefährdet

Diese Situation auf dem wichtigsten EU-Korridor zwischen den Nordseehäfen und Italien via Schweiz (Rhine-Alpine-Korridor) erzürnt die verladende Wirtschaft. «Unkoordinierte Gleissperrungen auf der Rheintalbahn gefährden die Versorgungssicherheit der Schweiz», sagt Frank Furrer, Generalsekretär des Verbandes der verladenden Wirtschaft mit Sitz in Zürich. Ins gleiche Horn stösst Irmtraut Tonndorf, Sprecherin der Hupac AG in Chiasso, dem grössten Schweizer Unternehmen im intermodalen Verkehr: «Am ersten Wochenende konnten wir 10 Prozent der geplanten Züge nicht fahren, doch der vorgesehene Einspurbetrieb macht uns besonders Bauchweh – das bedeutet 50 Prozent weniger Kapazität.» Dazu kommt auch noch eine einwöchige Sperrung des Brenners Anfang August, was diese Route als Alternative in den Italienverkehren ausschliesst.

Wertschöpfungsverluste von 2 Milliarden Euro

Die Situation lässt Erinnerungen an die siebenwöchige Vollsperrung der Rheintalbahn ab 12. August 2017 aufkommen, die als «Rastatt-Desaster» in die Geschichte einging. Bei Arbeiten an einem neuen Tunnel hatte die Bestandesstrecke bei Rastatt nachgegeben; die totale Sperrung war unausweichlich, ein Chaos im Schienengüterverkehr die Folge. Eine im Jahr 2018 von der European Rail Freight Association in Auftrag gegebene Studie ermittelte für die Unternehmen der Schienenlogistik und ihre Kunden Wertschöpfungsverluste von rund 2 Milliarden Euro. Vor allem: Der Unterbruch erschütterte das Vertrauen der Verladerschaft in den umweltfreundlicheren Schienentransport nachhaltig und stärkte den Strassentransport mit Camions.

Der Fall Rastatt löste zwar eine breite Debatte zur Logistik auf der Schiene aus, «doch in der Substanz hat sich für den Schienengüterverkehr nicht viel verbessert», meint Hupac-Sprecherin Tonndorf. Sie bedauert insbesondere, dass der damaligen Forderung nach einer Koordination der Baustellen, um präventiv effiziente Umleitungsverkehre zu organisieren, nicht nachgekommen wurde. «Dabei sprechen wir von planbaren Unterbrüchen wegen Baustellen – doch selbstverständlich müssen ausreichend Kapazitäten auf Umleitungsstrecken zur Verfügung stehen», so die Hupac-Sprecherin. Auch Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen mit Sitz in Berlin klagt: „Der Weckruf von 2017 wurde nicht beherzigt.»

Ausbau der Rheintalstrecke lässt weiter auf sich warten

Es rächt sich einmal mehr, dass der viergleisige Ausbau der Rheintalstrecke in Deutschland nur mit erheblichen Verzögerungen umgesetzt wird. Der Vertrag von Lugano, der genau vor 25 Jahren unterzeichnet wurde, um die Zulaufstrecken im Norden zur Neuen Alpentransversalen (Neat) zu garantieren, ist Makulatur geblieben. Inzwischen ist von einer Fertigstellung im Jahr 2040 die Rede.

So lange will die verladende Wirtschaft nicht warten: Sie fordert daher, die linksrheinischen Bahnstrecke zwischen Mannheim und Strassburg mit Anschluss nach Basel auszubauen und auch die Verbindung von Antwerpen nach Strassburg. «Die Strecke im Elsass muss unbedingt ertüchtig werden», betont auch Irmtraut Tonndorf.

Unterstützung für diese Forderung kommt inzwischen vom Schweizer Parlament. Die beiden Kammern nahmen zuletzt eine Motion an, mit welcher der Bundesrat beauftragt wird, unverzüglich die politische Initiative zu ergreifen, um mittels eines Staatsvertrags mit Frankreich und Belgien eine leistungsfähige linksrheinische Alternativroute mit den notwendigen Infrastrukturparametern für den Güterverkehr zu realisieren. Zugleich soll der Druck auf Deutschland zum Ausbau der Rheintalstrecke erhöht werden.