
Seniorenuniversität: Für diese Reider Herren geht Studieren über Pensionieren
Alfred Soltermann,
79, lernte Zimmermann und schloss später die Weiterbildung zum Bauführer ab. Er arbeitete unter anderem bei der Bau AG Reiden. Vor und nach seiner Pensionierung war er noch einige Jahre als selbstständiger Bauführer tätig. Der Job sei so interessant gewesen, dass er an der Pensionierung vorbeiraste – ohne es zu merken. Die Seniorenuniversität besucht er seit ungefähr zwölf Jahren. Er ist durch eine Publikation auf sie aufmerksam geworden.
Josef Zimmerli, 74, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und war danach als kaufmännischer Leiter tätig. Unter anderem bei der Bau AG Reiden, wo er Alfred Soltermann kennenlernte. Er hat sich verschiedentlich weitergebildet: in Buchhaltung, Italienisch und Spanisch. Als er 2009 pensioniert wurde, machten ihn seine Tochter und sein Sohn auf die Seniorenuniversität aufmerksam. Wenige Monate später wohnte er das erste Mal einem Referat bei. Seither besucht er die Uni durchschnittlich zweimal im Monat.
Alfred Soltermann und Josef Zimmerli sitzen gemeinsam am Gartentisch bei Zimmerlis im Reidermoos. Vor Jahrzehnten haben sie zusammen bei der Bau AG in Reiden gearbeitet, seit fast zehn Jahren studieren sie miteinander.
Wieso besuchen Sie die Senioren-Uni?
Alfred Soltermann: Ich hatte bereits in jungen Jahren das Gefühl, mein Geschichtswissen sei mangelhaft – dieses hörte nach der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen auf. Als ich von der Seniorenuniversität in Luzern erfuhr, hatte ich also bereits den Wunsch gehegt, mehr über die Geschichte zu lernen. Das war etwa zehn Jahre vor der Pensionierung. Ich dachte: Wenn ich mehr Zeit habe, will ich unbedingt Vorlesungen besuchen – vor allem in neuerer Geschichte Europas. Ich glaube, wenn man die Geschichte besser versteht, kann man die Gegenwart besser einordnen.
Heutzutage ist doch viel Wissen gratis verfügbar. Wieso reisen Sie trotzdem nach Luzern an die Uni?
Josef Zimmerli: Der Vortrag einer kompetenten Person ist wesentlich spannender als das Selbststudium. Denn es werden Wissen vermittelt und Anekdoten erzählt, die nirgends nachzulesen sind.
Worin liegen Ihre Interessen, Herr Zimmerli?
Auch ich interessiere mich vor allem für Zeitgeschichte. Bei der Seniorenuniversität erhalte ich eine andere Sichtweise auf Dinge. Und gewisse Sichtweisen mussten korrigiert werden. Wieso Napoleon auf dem Russlandfeldzug gescheitert ist, haben wir in der Schule nämlich anders gelernt. Die Hintergründe und Folgen des Ersten Weltkriegs habe ich noch nie auf so eindrückliche Weise vermittelt bekommen wie an der Senioren-Universität. Zudem besuche ich gerne Vorträge und Seminare zu Literatur. Wenn ein Philosoph mir mehr zu Tolstoi und seinen Werken erklären kann, ist das super.
Soltermann: Ja, die Vermittlung war früher anders. Ein Dozent an der Seniorenuniversität vermittelt meiner Ansicht nach viel besser, da er die Themen aus erster Hand kennt.
Besuchen Sie die Kurse auch, um geistig fit zu bleiben?
Zimmerli: Ja, das ist auch wichtig. Die Neugierde, sich neues Wissen anzueignen, nimmt nämlich mit zunehmendem Alter ab. Viele ziehen sich zurück und das sorgt für Resignation und Unzufriedenheit. Die Wissbegierde hilft sicherlich, gerade im Alter, geistig fit zu bleiben.
Soltermann: Für mich ist wichtig, die Energie aufzubringen; dass man bei einem Vortrag anderthalb oder zwei Stunden konzentriert zuhört. Das braucht halt einen gewissen Willen – gerade im fortgeschrittenen Alter.
Bereuen Sie, dass Sie nicht schon als junge Männer studiert haben?
Zimmerli: Ich hätte in jungen Jahren gerne die Dolmetscherschule besucht, weil ich sprachinteressiert war. Aber das lag finanziell nicht drin. Zudem hätte ich nach Genf ziehen müssen – das kam nicht infrage. Überdies haben die wenigsten meiner ehemaligen Mitschüler eine akademische Laufbahn hingelegt. Heutzutage gibt es diesbezüglich mehr Möglichkeiten.
Soltermann: Schon in meiner Lehrzeit als Zimmermann war für mich klar: Ich will eine Weiterbildung machen. An die Universität zu gehen war jedoch keine Option. Das lag für mich bildungsmässig gar nicht drin. Nach einer Zimmermannlehre wäre das wohl auch nicht möglich gewesen, bereits in der Bauführerschule musste man hart krampfen, damit man in der Mathematik mitkam. Eine Erwachsenenmatura hat es meines Wissens damals, bei meinem Lehrabschluss 1958, auch gar noch nicht gegeben. Es ist gut, wie es ist. Ich konnte eine ansprechende Weiterbildung machen, ich war so weit erfolgreich. Ich bereue nichts.
Kann man das, was Sie machen, mit dem Studentenleben eines jungen Menschen vergleichen?
Zimmerli: Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls schätzen viele Referentinnen und Referenten, dass wir viel aufmerksamer zuhören als junge Studierende. Bei uns sitzen wirklich alle «mucksmüslistill», bis der Vortrag zu Ende ist. Bei den Jungen ist dies nicht immer der Fall.
Soltermann: Wir sind natürlich auch keine eingeschworene Gemeinschaft, sondern jeder ist eher für sich. Manchmal trifft man sich aber am Bahnhof und nimmt gemeinsam den Weg zur Uni auf sich – das schätze ich sehr.