
Sina erhält Swiss Music Award für Lebenswerk: «Wir Frauen müssen uns überall mehr beweisen»
Vom Wallis in den Aargau
Sina wurde 1966 als Ursula Bellwald im Wallis geboren. Sie wirkte in Kinder-, Jugend- und Gospelchören mit und nahm Gitarrenunterricht. Nach der Ausbildung als Bankkauffrau folgte die musikalische Ausbildung in Klassik, Jazz, Pop/Rock und Improvisation in Zürich. Sina siegte in den Achtzigern mit «The House Of The Rising Sun» am Oberwalliser Schlagerfestival und sang u. a. bei «Jesus Christ Superstar» mit. 1993 wurde sie Moderatorin bei Radio DRS (bis 1996). 1994 nahm sie ihre erste Platte auf. Seit 2006 lebt Sina mit ihrem Ehemann, dem Musiker Markus Kühne, in Fahrwangen am Hallwilersee.
«Emma», Sinas neustes Studioalbum (das dreizehnte), klingt unaufgeregt und zunächst unscheinbar. Mit viel Liebe zum Detail und mit Herz produziert, ist es aber auch ein Album, das wächst, gross und grösser wird. Es ist vertraut, die Melodien fliessen, die Songs erzählen Geschichten. Typisch Sina! Und doch ist vieles anders und neu. Herausragend sind die Stimmen (der knorrige Hendrix Ackle im Duett, Gigi Moto, Anna Kaenzig) und vor allem der sorgfältig produzierte, mehrstimmige Gesang. Es ist ein Fest des Gesangs. Die akustische Gitarre von Adrian Stern sowie die E-Gitarre von Jean-Pierre von Dach prägen den Sound und machen ihn (ohne Keyboards) transparent. Dazu bereichern Akkordeonistin Patricia Draeger und Bläser die Musik. «Emma» strahlt, «Emma» hat Stil und Klasse, «Emma» ist der erste Höhepunkt im Schweizer Popjahr 2019. (sk)
Sina: Emma (Musikvertrieb). Erscheint 1.2. Live: 9.3. Chollerhalle Zug; 22.3. Marabu Gelterkinden; 5.5 Gaswerk Seewen; 4.5. Salzhaus Brugg; 9.5. Atlantis Basel; 29.5. Schür Luzern.
Wir treffen uns im Restaurant Krone in Lenzburg. Die Begrüssung ist herzlich, wir kennen uns und führen ein entspanntes, lockeres Gespräch über Musik, ihre 25-jährige Karriere, Frauen im Pop-Business und ihr neues, vorzügliches Album «Emma».
Herzliche Gratulation zum Swiss Music Award für Ihr Lebenswerk. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Sina: So auf Deutsch tönt das für mich schon etwas komisch. Es hat etwas Abschliessendes. Dabei will ich ja nicht aufhören. Der Vogel ist in der Luft und hat noch nicht vor, zu landen. Ich werde natürlich weiterhin mit Energie und Herzblut Musik machen. Aktuell ge- rade mit meinem neuen Album, an dem ich zwei Jahre lang gearbeitet habe. Aber natürlich: Ich freue mich sehr über die Anerkennung, dass ich seit 25 Jahre aktiver Teil dieser Schweizer Musikszene bin. Den roten Teppich an den Swiss Music Awards werde ich trotzdem ganz gern wieder verlassen.
Passen diese Glamour- und Cüplianlässe zu Sina?
Hm … sagen wir es so: Sie sind Teil des Jobs. Ich bin da eher zurückhaltend, zeige mich nicht so prominent in der Öffentlichkeit, das haben Sie sehr gut bemerkt, Herr Künzli. (lacht) Und das wird wohl auch so bleiben. Aber wenn ich die Gelegenheit erhalte, mich mit meiner Musik zu präsentieren, dann gerne. Und, ich liebe Preise: Den ersten habe ich mit 17 Jahren an einem Oberwalliser Nachwuchswettbewerb erhalten. Ein Adler aus Holz. Er steht auf dem Bücherregal und erinnert mich an meine Anfänge.
Es ist aber schon bemerkenswert, wenn man sich in diesem schnelllebigen Business 25 Jahre lang an der Spitze halten kann. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Ohne ein funktionierendes Team, das sich gegenseitig vertraut, geht es nicht. Ich wäre nie dort angekommen, wenn ich am Anfang nicht ein Produzententeam zur Seite gehabt hätte, das mich deftig beraten hat, mir aber immer die Freiheit liess, selbst zu entscheiden. Mit meiner Managerin Benita Andres verbindet mich seit je eine tiefe Freundschaft, die auf grossem Vertrauen basiert. Klar, Talent gehört dazu. Aber ohne Glück und Zufall geht es nicht. Das Lied «Där Sohn vom Pfarrär» war so ein Glücksfall. Eben- so, dass ich 1994 auf der ersten Welle des Mundart-Pops reiten durfte. Ein Vorteil war auch, dass der Walliserdialekt im Pop etwas Neues, etwas Besonderes war. Dann kann ich hartnäckig sein, das sieht man mir vielleicht nicht so an. Aber in diesem Geschäft braucht es einen langen Atem. Der Erfolg kommt meist nicht über Nacht.
Doch, natürlich und immer wieder. Man ist diesen Wellenbewegungen ja nicht nur in der Musik ausgesetzt. Das Gute in meinem Fall war und ist vielleicht, dass aus diesen Zweifeln auch viele meiner Geschichten entstehen. Ich habe es immer als grosses Glück empfunden, kreativ tätig zu sein und die Freiheit zu haben, selbst entscheiden zu können. Das hat mir dann auch geholfen, wenn mal wieder ein rauerer Wind blies. Meine Karriere war sicher nicht immer ein Ponyhof. Aber so was verspricht einem ja auch keiner.
Da gibt es unzählige Begegnungen, in der Musik und ausserhalb, magische Momente auf der Bühne und immer wieder schöne, spontane Reaktionen von den Leuten. Sicher auch, als ich zum ersten Mal am Radio gespielt wurde. Weil ich merkte, dass ich und meine Musik wahrgenommen werden. Als der Durchbruch gelang, nach zehn Jahren Erfolglosigkeit, in denen ich mich durchgehangelt habe zwischen Temporärjobs und künstlerischer Selbstfindung. In dieser Zeit habe ich mich oft gefragt: Willst du das wirklich oder wäre eine Bankkarriere nicht doch gescheiter?
War das die schwierigste Zeit?
Ja. Ich wohnte in Genf und war am Wochenende in der Deutschschweiz unterwegs in Dancings und an Unterhaltungsabenden. Ich hatte keine Band, nur einen rosaroten Koffer mit Kassetten mit Halbplaybacks, die dann abgespielt wurden. Wenn es genug Gage gab, habe ich zwei meiner Freundinnen mitgenommen, die Tänzerinnen waren. Das waren meine wichtigen Wander- und Irrjahre, in denen ich stilistisch einiges ausprobiert habe, auch deutschen Schlager. Ich war zu dieser Zeit vor allem auf der Suche nach der eigenen Stimme. Vor der Produktion zum «Pfarrär» sagte ich meinen Produzenten, dass das jetzt wohl meine letzte Chance sei. Lustig eigentlich, dass ich zu dem zurückgekehrt bin, mit dem ich mit 14 Jahren begonnen hatte: zu selbst komponierten Mundartliedern.
Dann dauert Ihre Karriere schon viel länger als 25 Jahre.
Das stimmt. Aber hier geht es um Sina, die Mundartsängerin. Mit dem Singen angefangen habe ich früher: In der Kirche. Und von denen gibt es im Wallis viele. Ich war Blauring-Mädchen, wurde katholisch erzogen und verbrachte viel Zeit in der Kirche. Irgendwann fragte mich der Pfarrer, ob ich bereit wäre, das «Vater Unser» solo zu singen. Das war mein erster öffentlicher Auftritt, vor der Kirchgemeinde.
Ihr heutiger Mann, Markus Kühne, der damals in Polos Schmetterband spielte, war der Produzent Ihrer ersten Platte. Waren Sie damals schon ein Paar?
Nein, gar nicht. Wir brauchten eine Weile, bis wir uns fanden. Er war älter als ich und hatte andere Vorstellungen davon, wie ich tönen sollte. Da hat es zwischendurch schon mal gekracht.
Und heute?
Keine Sorge, wir sind ein Herz und eine Seele. Doch wenn es um musikalische Vorstellungen oder Haltungen geht, sind die Diskussionen auch heute noch immer sehr lebendig.
Heute hält er sich weitgehend im Hintergrund.
Ganz bewusst, ja. Er hat rund die Hälfte meiner Alben produziert, sich dann aber zurückgezogen. Heute macht er einen Teil der Arrangements meiner symphonischen Projekte, komponiert und gibt als Saxofonlehrer an der Alten Kanti Aarau Kurse für Musik am Computer. Dass er kein Teil meiner öffentlichen Arbeit sein will, finde ich gut und respektiere es. Deshalb bin ich an solchen Anlässen auch mal alleine unterwegs oder mit anderen Leuten.
Sie widmen Ihr Album «Emma». Wer ist sie und was bedeutet Emma für Sie?
Emma war meine Grossmutter und Gotte. Sie war Rebbäuerin und Mutter von acht Kindern. Ich bin teilweise bei ihr aufgewachsen, zusammen mit zwei Tanten. Für mich waren sie emanzipierte Frauen, die sich vielleicht nicht verwirklichen konnten, wie wir heute, aber das Beste aus der Situation machten, in der sie waren. «Äsiä müäsch sus nä wiäs chunnt», das hab ich ganz oft gehört. Die drei Frauen haben mein Frauenbild mit ihrer sanften, aber auch zähen Art entscheidend mitgeprägt.
Das hat Ihnen im hart umkämpften Musikgeschäft sicher viel gebracht. Wie haben Sie es erlebt: Ist es für Frauen schwieriger, sich durchzusetzen, als für Männer?
Definitiv. Wir Frauen müssen uns in allen Bereichen mehr beweisen, uns traut man oft nicht gleich viel zu wie Männern. Ich glaube nicht, dass Büne Huber oft gefragt wird, ob er seine Songs selber schreibe. Aber die Zeiten ändern sich – auch dank der #MeToo- Bewegung. Es findet ein Umdenken statt, langsam, aber stetig. Dabei gibt es viele talentierte Musikerinnen in der Schweiz, und ich habe mich gefreut, dass ich bei der Kampagne der Swiss Music Awards als Mentorin der charismatischen Sängerin Pamela Mendez agieren durfte. Bei Sonart, dem Verband der Musikschaffenden, setzen wir uns für Gleichstellung ein. Und für die Unterstützung von «Helvetia rockt», der Koordinationsstelle für Musikerinnen, haben wir uns in einer Kommission des BAK (Bundesamt für Kultur) starkgemacht. Es braucht Netzwerke. Wir Frauen müssen sichtbarer werden. Auch darum muss es mehr Preise für Frauen geben.
In der Schweiz wurden diese Fragen vor einem Jahr erstmals so wirklich diskutiert. Sehen Sie schon Veränderungen?
(seufzt) Es kann ja gar nicht so schnell gehen. Die Gleichstellung ist ein langer Prozess, das wissen wir gerade in der Schweiz.
Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Wenn Feministin bedeutet, dass eine Frau sich für ihre Rechte einsetzt, für soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigung, dann bin ich eine Feministin.
Was war die Idee für Ihr neues Album «Emma»?
Vor allem einige Konzeptänderungen. Der Musiker Adrian Stern ist der neue Produzent und «Emma» ist mein erstes Gitarrenalbum. Dann besann ich mich auf meine Liebe zu mehrstimmigen Gesängen und suchte dafür die Stimmen, die zu mir passen. Mit Ritschi, Micha Dettwyler, Adrian Stern und Cathryn Lehmann fand ich den perfekten Stimmenmix für meine Songs. Die Texte haben ein besonderes Gewicht. Ich wollte, dass die Geschichten den Rhythmus, die Form und Länge der Lieder vorgeben und nicht umgekehrt. Weg von den Dreiminuten-Förmchen, radiofreundlich ist das Album nur zum Teil. Bei den Geschichten habe ich unter anderem mit Trummer und Tinu Heiniger gearbeitet. Dieser andere Fokus auf meine Texte war mir wichtig.
Weshalb Adrian Stern?
Adi ist ein Rundumtalent. Er war vor etwa 15 Jahren Gitarrist in meiner Band, wir haben einige Songs zusammen geschrieben. Mir gefallen seine Musikalität, Stil- und Geschmackssicherheit sehr. Ich mag ihn sehr als Songwriter und es ist schön, mit jemandem zu arbeiten, der selber Sänger ist. Wir lieben die gleiche Musik, haben uns oft Songs geschickt, die wir beide gut fanden: Rosanne Cash, Brandi Carlile, Aaron Lee Tasjan, The Common Linnets – und haben dieselbe Vorstellung, was einen guten Song ausmacht.
In «Wiär sii schön» thematisieren Sie das Altern. «Am Schluss gwinnt d’Natür». Schön.», singen Sie. Haben Sie kein Problem mit dem Altern?
Ich wollte nach «Unbeschriiblich wiiblich» aus dem Jahre 1997 das Thema nochmals beleuchten aus mittelalterlicher Sicht. Heute versuche ich, grosszügig über gewisse Altersprozesse hinwegzusehen, am Schluss ist wohl am besten, man behandelt das Thema mit Humor und Selbstironie. Bei Filter und Fotoretuschen sage ich aber erfreut Ja zur digitalen Technik.
50 ist ja ein komisches Alter. Nicht mehr jung, aber nicht wirklich alt? Wie fühlen Sie sich in Ihrer Haut?
Auf den Zerfallprozess könnte ich ganz gut verzichten. Aber andererseits ist eben auch das wackelige Selbstbewusstsein passé. Ich bin grosszügiger geworden mit mir. Was ich mit der Energie einer 30-Jährigen nicht mehr erreichen kann, mache ich mit Erfahrung wett. Und wenn es trotzdem mal zu viel wird, dann gehe ich früh schlafen.
Eigener Stil, mehr Sicherheit, Souveränität und Lebenserfahrung.
Sie sehen immer noch blendend aus. Wie halten Sie den Altersprozess auf?
Der Hallwilersee erfrischt mich seit Jahren. Aber das optimale Bühnenlicht wird trotzdem immer wichtiger.
Pop ist immer noch auf die Jugend fixiert. Wie ist es, im Popbusiness zu altern?
Nervig. Trotzdem, mit Madonna oder Heidi Klum möchte ich nicht tauschen. Und es kann sehr angenehm sein, wenn das Gegenüber mehr zuhört als guckt.