
Soll das Bundesgericht zum Casino werden?
Was die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren» (Justizinitiative) will, über die wir am 28. November abstimmen, sagt ihr Name. Die Initianten argumentieren, dass es heute in der Schweiz keine Gewaltentrennung gebe, weil Richterinnen und Richter den Parteien, deren Mitglied sie sind, für das Bundesrichteramt Geld abliefern müssten. Damit werde die Judikative zum verlängerten Arm der Legislative.
Dies soll sich mit dem Losverfahren ändern. Für die Zulassung zum Losverfahren sollen ausschliesslich die fachliche und die persönliche Eignung für das Amt als Richterin oder Richter des Bundesgerichts ausschlaggebend sein. Darüber solle eine vom Bundesrat eingesetzte Fachkommission entscheiden. Heute entscheidet die Bundesversammlung, wer Bundesrichterin, Bundesrichter wird. Deren Mitglieder werden direkt durch das Volk gewählt, was auch für die 140 Grossrätinnen und -räte des Kantons Aargau gilt. Die wählen nach denselben Kriterien, wie sie auf Bundesebene gelten, Oberrichterinnen und -richter. Auch hier schlagen die Parteien Kandidatinnen und Kandidaten vor. Wiederwahlen sind alles andere als garantiert. Mehr als einmal wurde ein Obergerichtsmitglied nicht bestätigt. Parteimitgliedschaft nützt ungeeigneten Leuten nichts. Keine Partei hat die Mehrheit, um ein Gerichtsmitglied im Sattel zu halten.
Und zur Vollständigkeit: Die Mitglieder unserer Bezirksgerichte wählen wir Bürgerinnen und Bürger direkt. Kontrollinstanz ist hier eine kantonale Justizleitung, welche sich aus Bezirksgerichtspräsidien sowie Oberrichterinnen und -richtern zusammensetzt. Schlussendlich können sich aber auch die zeitunglesenden Wählerinnen und Wähler anhand der Gerichtsberichterstattungen ein (eingeschränktes) Bild der Arbeit eines Gerichts machen.
Die genaue Ausgestaltung des Losverfahrens lässt die Initiative offen. Der Text bestimmt einzig, dass die Amtssprachen angemessen vertreten sein müssen. Losverfahren – das erinnert arg an Roulette, Casino und Co. Das Wort Casino steht bei uns fast ausschliesslich für Glücksspiel. Nicht so in Italien. Ein «grande casino» kann für Puff oder Radau stehen. «Fare casino» heisst Krach machen – «che casino» steht für einen Saustall. Das ist das Bundesgericht definitiv nicht. Seinen Kritikerinnen und Kritikern muss zudem in Erinnerung gerufen werden, dass in Lausanne kein Verfassungsgericht beheimatet ist, wie das die Deutschen in Karlsruhe kennen. Die «Macht» der Bundesrichterinnen und -richter ist viel mehr jene einer letzten Instanz.
Ist so ein Losverfahren überhaupt demokratisch? Die Wiege der Demokratie – das alte Griechenland – hat mit ihm experimentiert. Vielmehr war es Platon, der die Demokratie verachtete. Er war der Meinung, dass «normale» Menschen nicht geeignet sind, zu regieren und Recht zu sprechen. Aus diesem Grund erachtete er die Demokratie als minderwertige Regierungsform. Platons Lösung war eine «göttliche»: Das Los sollte entscheiden, wer Macht ausüben darf. Jedes Jahr wurden die Mitglieder des Rats der 500 auf diesem Weg bestimmt – was auch für die Funktionäre (wie bei den Taliban ausschliesslich Männer) der Justiz galt. Apropos «göttliche Ordnung»: Die koptischen Christen wählen ihren Papst in der «Endrunde» der Ausmarchung per Los, da er ja ein Gehilfe Gottes sei.