
Ständig erreichbar? Höhere Stromkosten? Jetzt soll das Arbeitsgesetz an die Homeoffice-Realität angepasst werden
Obwohl in der Schweiz keine Homeoffice-Pflicht mehr gilt, arbeiten zahlreiche Menschen immer noch von zu Hause. Das dürfte teilweise so bleiben, unzählige Studien sagen der Arbeitswelt auch nach der Coronapandemie eine deutlich höhere Flexibilität voraus. Sowohl Chefs als auch Angestellte haben sich an die neuen Freiheiten gewöhnt und wollen oft nicht mehr zu einem reinen Präsenzbetrieb im Büro zurückkehren.
Muss das Arbeitsgesetz deshalb angepasst werden? Schliesslich wurden in den vergangenen Monaten die immer gleichen Fragen wieder und wieder diskutiert, meistens ohne zu einem klaren Ergebnis zu kommen: Wer trägt die Kosten, wenn der Angestellte für eine höhere Internet-, Telefon und Stromrechnung aufkommen muss? Wer bezahlt einen notwendigen zweiten Bildschirm? Wie lange muss man am Abend erreichbar bleiben?
Allianz kritisiert Gesetz «aus dem Industriezeitalter»
Eine Allianz aus sieben Angestellten- und Berufsverbänden ist der Ansicht, dass das Arbeitsgesetz für die neue Realität ungenügend ist und unbedingt modernisiert werden muss. Dies, weil es aus dem Industriezeitalter stamme und auf fixe Arbeitszeiten im Betrieb ausgelegt sei. «Damit Homeoffice langfristig und über die aktuelle Krisensituation hinaus für die Mehrheit der Schweizer Arbeitnehmenden tragfähig wird, müssen die gesetzlichen Grundlagen erst noch geschaffen werden», heisst es in einer Medienmitteilung der Allianz «die plattform» vom Donnerstag.
Demnach müssen allen voran Arbeits- und Ruhezeiten klarer geregelt werden, ebenso die allfällige Übernahme der mit Homeoffice verbundenen Ausgaben, die Bereitstellung von Hard- oder Software sowie Versicherungen und Datensicherheit. «Gerade bei Homeoffice ist der Vollzug des Arbeitsrechts schwieriger. Es reicht daher nicht aus, sich auf ein Gesetz zu berufen, welches für ganz andere Bedingungen geschaffen wurde», lässt sich Jürg Eggenberger zitieren. Er ist Geschäftsleiter der Schweizer Kader Organisation SKO, einem Mitgliedsverband der Allianz.
Arbeitgeber soll zusätzliche Kosten stärker übernehmen
Im Namen der Allianz hat SP-Ständerat Daniel Jositsch am Donnerstag zudem eine entsprechende Motion im Parlament eingereicht. «Wir fordern kein Recht auf Homeoffice», stellt Jositsch auf Anfrage gleich klar. Es gehe darum, aktuelle Gesetzeslücken zu schliessen und Homeoffice-spezifische Situationen zu regeln – beispielsweise in einem zusätzlichen Kapitel im geltenden Gesetz.
Gerade bei der Kostenfrage ist Jositsch der Meinung, dass der Arbeitgeber stärker in die Pflicht genommen werden müsste und einen Teil des zusätzlichen Aufwandes übernehmen müsste. Die Arbeitgeberseite soll allerdings ebenfalls nicht zu kurz kommen: «Es muss klargestellt sein, dass der Arbeitnehmer seine Leistung auch von zu Hause bringen muss. Homeoffice darf nicht heissen, dass man nebenbei noch Wäsche waschen kann», so Daniel Jositsch.
Arbeitsrechtsexperte plädiert für Regelung per Vertrag
Mit Blick auf die vielen Diskussionen in den vergangenen Monaten scheint das Anliegen durchaus sinnvoll. Professor und Arbeitsrechtsexperte Thomas Geiser winkt jedoch ab: «Eine strengere Reglementierung ist nicht nötig. Es ist nötig, sich an die bestehende zu halten.» So sei es schon heute nicht zulässig, maximale tägliche Arbeitszeiten zu überschreiten und Angestellte etwa am Abend noch mit Anrufen zu belästigen.
Handlungsbedarf sieht Geiser höchstens bei der Kostenübernahme, die heute nur beim geschäftlichen Einsatz des Privatautos geregelt ist. Aber: «Auch das lässt sich vertraglich regeln. Generell macht es keinen Sinn, spezifische Situationen – wie etwa die Homeoffice-Bedingungen einer bestimmten Branche – im Gesetz zu regeln. Denn dafür ist die Realität viel zu vielfältig.»
Geiser weist allerdings auch darauf hin, dass das Gesetz gerade im Bereich der Arbeitszeiten häufig verletzt wird. Inspektoren gebe es nur wenige, und im Homeoffice seien Kontrollen sicher noch schwieriger. In solchen Fällen empfiehlt er Angestellten, das Gespräch mit dem Vorgesetzten zu suchen – oder sich als ultima ratio an das kantonale Arbeitsamt zu wenden.