
SVP auf Oppositionskurs: Deutliches Nein zum Covid-Gesetz und «Ehe für alle»
Die SVP Schweiz geht bei der zweiten Abstimmung über das Covid-Gesetz auf Oppositionskurs. Am Freitag hatte bereits der Parteivorstand Nein zum Gesetz gesagt, am Samstag sind ihm die Delegierten gefolgt. An ihrer Versammlung im Freiburgischen Granges-Paccot beschlossen sie mit 181 zu 23 Stimmen bei 4 Enthaltungen die Nein-Parole zum Gesetz. Für eine Stimmfreigabe votierten 45 der 238 Delegierten.
Im Gegensatz zur ersten Abstimmung über das Covid-Gesetz könne man nun mit ruhigem Gewissen Nein stimmen, sagte der Präsident der Jungen SVP, David Trachsel vor den Delegierten. Damals hatte die SVP Stimmfreigabe beschlossen, weil im Gesetz auch die finanzielle Hilfe der Unternehmen geregelt wurde. Jetzt gehe es aber darum, die Freiheitsrechte zu verteidigen, so Trachsel. «Es braucht nun wie nach dem zweiten Weltkrieg einen heroischen Akt des Volkes, um die Vollmacht des Bundesrats zu beenden.»
Zertifikatspflicht und Impfdruck stossen sauer auf
Auch von den Delegierten kamen mehrere beherzte Voten für ein Nein. Die Rednerinnen und Redner störten sich namentlich am Impfzertifikat und am Druck, der auf Ungeimpfte ausgeübt werde. «Das Covid-Zertifikat ist ein wunderbares Instrument zur Diskriminierung», sagte etwa Nationalrat Jean-Luc Addor. «Es wird eine Zweiklassengesellschaft geben, ähnlich wie zur Zeit der Apartheid in Südafrika», so Addor.
Bei den Votanten wurde ein generell starkes Misstrauen gegenüber den Behörden deutlich. So wurde die Sicherheit und der Nutzen der Impfung grundsätzlich in Frage gestellt. Dass die Behörden zu Beginn der Pandemie den Nutzen von Hygienemasken abstritten, hat offenbar langfristige Folgen. «Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er zwischendurch die Wahrheit spricht», so ein Votant zur Abstimmung über das Covid-Gesetz.
Dass die Abstimmung über das Covid-Gesetz ein zweites Mal nötig wurde, hat mit Änderungen zu tun, die in der vergangen Frühlingssession am Gesetz vorgenommen wurden. Dagegen kam innert wenigen Wochen ein Referendum zustande.
Stimmfreigabe bei Ehe für alle gefordert
Nicht nur zum Covid-Gesetz sagt die SVP Nein, sondern auch zur «Ehe für alle». Im Zentrum der Diskussion standen die Samenspende und das Wohl des Kindes, das aus Sicht von Yves Nidegger, Nationalrat aus Genf, durch die Vorlage gefährdet sei. «Es gibt zwar heute schon Kinder, die ohne Vater aufwachsen, aber das wollen wir nicht institutionalisieren», sagte Nidegger. Es handle sich um eine besonders aktivistische und aggressive Minderheit, die ein Recht auf Kinder einfordere und dabei das Kindswohl vergesse.
Zwei moderatere Voten kamen von den Delegierten, die aus parteitaktischen Gründen eine Stimmfreigabe forderten. «Wir spielen unseren Gegnern in die Hände, wenn wir uns in die rechtsextremistische Ecke drücken lassen», sagt ein Delegierter aus Zürich. Der Antrag auf Stimmfreigabe wurde mit 137 zu 65 Stimmen abgelehnt und der Nein-Parole des Parteivorstands mit 148 zu 39 Stimmen bei 9 Enthaltungen dann doch deutlich zugestimmt. Ein drittes Mal klar Nein sagte die Partei am Samstag zur 99-Prozentinitiative der Juso.
Chiesa schiesst erneut gegen Städte
Mit ihren Nein-Voten zum Covid-Gesetz und zur «Ehe für alle» steht die SVP – zumindest bisher – als einzige grössere Partei allein auf weiter Flur. So hielten am Samstag auch die Grünen und die Grünliberalen ihre Delegiertenversammlungen ab. Beide stimmten der «Ehe für alle» zu, die Grünen sagten zudem auch Ja zum Covid-Gesetz, da es neue Härtefallhilfen ermögliche.
Der Eindruck einer Oppositionspartei hinterliess die SVP bereits bei der Ansprache durch Parteipräsident Marco Chiesa. In scharfen Worten schoss er erneut gegen «Städter» und «linke Schmarotzerpolitik». «Die Luxus-Linken und Bevormunder-Grünen in den Städten wollen allen anderen im Land vorschreiben, wie sie zu denken und zu leben haben», so Chiesa.