Umstrittene Anzeige: Nicht einmal die SVP verteidigt Franziska Roth gegen Kritik von links

Gleich zwei brisante Mails sind bei den Mitgliedern der grossrätlichen Gesundheitskommission in den vergangenen Tagen eingegangen. Am Dienstag erhielten sie die Nachricht eines ehemaligen Projektleiters im Departement von Franziska Roth mit dem Abschlussbericht Masterplan Integrierte Versorgung Aargau. Weil dieser vom Gesundheitsdepartement noch nicht behandelt und nicht zur Publikation freigegeben war, hat Roth am gleichen Tag eine Strafanzeige gegen den früheren Mitarbeiter eingereicht.

Am Mittwoch versuchte die Regierungsrätin, die Verbreitung des Dokuments zu stoppen. Alle Kommissionsmitglieder erhielten ein Mail mit der Aufforderung, «diesen Bericht nicht zu verwenden und ihn zu vernichten». Verschickt wurde das Mail vom Sekretariat der Kommission, dies im Auftrag von Kommissionspräsident Ulrich Bürgi. FDP-Grossrat Bürgi, der seine Nachricht in Absprache mit Roth versenden liess, hält fest, das Mail des Projektleiters zum Bericht sei am Dienstag «ohne Berechtigung und Einwilligung» des Departements versandt worden. Und: «Das darin enthaltene Dokument ist inoffiziell und nicht öffentlich.»

Projektleiter wehrt sich
Doch warum unternehmen Regierungsrätin Roth und Kommissionspräsident Bürgi solche Anstrengungen, um eine Weiterverbreitung des Dokuments zu verhindern? Am Dienstag sagte die Gesundheitsdirektorin auf Anfrage, der Bericht enthalte keine sensiblen Daten. Und der inzwischen angezeigte Projektleiter Urs Zanoni teilt der AZ mit, der grosse Teil der Informationen im Schlussbericht sei bereits auf der Website des Departements dokumentiert.

Bürgi sagt auf Anfrage: «Der Anstoss für das Mail an alle Kommissionsmitglieder, den Bericht zu vernichten und nicht weiterzuleiten, kam aus dem Gesundheitsdepartement.» Er habe jedoch Verständnis dafür, da es sich beim Dokument, das der Projektleiter verschickt habe, nicht um die aktuelle Version handle. «Es geht darum, zu verhindern, dass dieser nicht genehmigte Bericht kursiert und später im politischen Prozess wieder auftaucht.»

Zanoni betont, er habe den Bericht an die Mitglieder der Gesundheitskommis- sion geschickt, nicht an die Öffentlichkeit. Die Empfänger des Schlussberichts seien ans Kommissionsgeheimnis gebunden. Zanoni macht mit Blick auf die Anzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung klar: «Das heisst, ich habe den Bericht nicht veröffentlicht.» Öffentlich geworden sei die Angelegenheit erst durch die Strafanzeige und die entsprechende Medienmitteilung der Gesundheitsdirektorin.

Zanoni stellt sich auf den Standpunkt, er habe den Dienstweg eingehalten und das Departement mehrfach gefragt, wann der Bericht endlich genehmigt werde. «Ausserdem hat mir Frau Roth persönlich am 16. Februar in Aussicht gestellt, den Bericht in Kürze zu genehmigen.»

Grünen-Präsident plant Vorstoss
Grünen-Präsident und Grossrat Daniel Hölzle findet, Zanoni habe sich korrekt verhalten. «Er hat die Fachkommission des Grossen Rates darauf hingewiesen, dass ein längst fertiggestellter Bericht nicht publiziert wird und seine frühere Vorgesetzte zugleich darüber orientiert», sagt Hölzle. Der ehemalige Projektleiter habe dies transparent gemacht und einen kleinen Kreis informiert, der Nutzen aus dem Bericht ziehen könne. «Den politischen Schaden für sich richtet Frau Roth nun mit der Anzeige selber an.»

Hölzle überlegt sich, einen dringlichen Vorstoss im Grossen Rat einzureichen und die Veröffentlichung des Berichtes zu verlangen. «Dieser enthält offenbar keine heiklen Daten, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit wertvolle Hinweise, die für anstehende Gesetzesänderungen wichtig sein könnten», sagt der Grünen-Grossrat. Und er hält fest, immerhin seien für diesen Bericht Steuergelder eingesetzt worden, also habe die Öffentlichkeit auch ein Anrecht darauf, den Inhalt zu erfahren.

Roth selber im Graubereich?
Daniel Hölzle wartet selber auf Antworten aus dem Departement Roth – dabei geht es um meinen Vorstoss zu Lohnfortzahlungen an ehemalige Mitarbeiter, den er bereits im Januar eingereicht hat. Dass die Beantwortung der Fragen, die aus seiner Sicht nicht wirklich kompliziert sind, nicht fristgerecht erfolgt, löst bei Hölzle Kopfschütteln aus. «Dies legt die Vermutung nahe, dass der Vorstoss einen wunden Punkt getroffen hat und sich Frau Roth da vielleicht selber im juristischen Graubereich bewegt hat», sagt er.

Hölzle könnte sich sogar vorstellen, «dass die Vorgänge rund um die Personalwechsel im Departement von Franziska Roth ein Thema für die Geschäftsprüfungskommission sein könnten.» Hölzle fragt in seinem Vorstoss unter anderem, ob es bei den Abgängen ausserhalb der normalen Lohnleistungen weiter Zahlungen an die betroffenen Mitarbeiter gegeben habe.

Gallati und Glarner schweigen
Jean-Pierre Gallati, Parteikollege von Franziska Roth und Fraktionschef der SVP im Grossen Rat, hat den Bericht zum Masterplan Integrierte Versorgung Aargau als Mitglied der Gesundheitskommission ebenfalls erhalten. Gallati, der selber als Rechtsanwalt tätig ist, will sich auf Anfrage der AZ weder zum Inhalt des Schlussberichts noch zur Strafanzeige «seiner» Regierungsrätin äussern. «Kein Kommentar», sagt Gallati knapp.

Auch sein Vorgänger als Fraktionschef, der heutige SVP-Nationalrat Andreas Glarner, sagt nichts zu Roths Vorgehen. «Ich kenne den Fall nicht im Detail», sagt Glarner, gegen den vor vier Jahren eine Untersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzung lief. Glarner hatte der AZ einen vertraulichen Bericht der Finanzkontrolle zugespielt. Dieser zeigte, dass das Departement der Grünen-Regierungsrätin Susanne Hochuli das Globalbudget um 21 Millionen Franken überschritten hatte. Glarner kritisierte, Hochuli schwärze ihn als Überbringer der schlechten Nachricht an. Ihr Sprecher hielt fest, das Departement habe Glarner nicht angezeigt, sondern die Oberstaatsanwaltschaft nur um Klärung des Sachverhaltes gebeten.

Anzeige statt Aussprache
Andre Rotzetter, CVP-Grossrat und Mitglied der Gesundheitskommission, versteht die Aufregung um den Bericht nicht. «Wir haben uns an einer Kommissionssitzung schon damit beschäftigt, der Bericht ist das Ergebnis eines mehrjährigen Prozesses, er enthält nichts Geheimes», sagt Rotzetter. Dass mit Urs Zanoni der Projektleiter angezeigt wurde, kommentiert der Geschäftsführer beim Verein für Altersbetreuung im Oberen Fricktal so: «Frau Roth ist Juristin, sie reagiert mit einer Anzeige, wäre sie Kommunikatorin, hätte sie vielleicht eher eine Aussprache mit dem Mitarbeiter gesucht.»

«Ich bin erstaunt, dass der Bericht nicht längst publiziert ist», sagt Apothekerin und FDP-Grossrätin Martina Sigg, die ebenfalls in der Gesundheitskommission sitzt. Sie erinnere sich an die Präsentation im Dezember, bei der klar geworden sei, dass das Dokument keine brisanten oder heiklen Punkte enthalte, sagt Sigg. Aufgrund des Inhalts sieht die FDP-Frau keinen Anlass für die Gesundheitsdirektorin, eine Anzeige einzureichen. «Wenn man die Sache vom Prinzip her anschaut, dass auch ehemalige Mitarbeiter keine Informationen aus ihrer Tätigkeit weitergeben dürfen, ist die Reaktion von Frau Roth wohl nachvollziehbar.»