Unerwarteter Nebeneffekt der Coronakrise: Schweiz schafft Sprung aus Lohn-Tristesse

So einzigartig ist die Coronakrise doch nicht. Altbekanntes aus früheren Krisen wiederholt sich. Auf den Frankenschock von 2015 folgte ein unerwarteter Lohnschub. Preise fielen, Einkaufen wurde billiger – und der Durchschnittsschweizer hat inflationsbereinigt auf einmal 1,5 Prozent mehr Lohn. Nun gibt es virusbedingt erneut einen Lohnschub – nach einer dreijährigen Lohntristesse.

Dieses Jahr kann der Durchschnittsschweizer etwa 0,9 Prozent mehr kaufen mit seinem Lohn. Es wird im durchschnittlichen Lohnbeutel zwar nur 0,3 Prozent mehr Geld drin sein, gemäss der neuen Prognose der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Doch zugleich gibt es einen negativen Preisschock historischen Ausmasses: allgemein sinkt das Preisniveau um 0,6 Prozent. Unter dem Strich ergibt das ein reales Lohnplus von 0,9 Prozent.

Wer nicht Durchschnitt ist, hat Pech gehabt

Werden Lohnbezüger damit zu den Gewinnern des Coronajahres 2020? Immerhin gelingt der Ausbruch aus der Lohntristesse. Ab 2016 sind die Reallöhne zwei Jahre gefallen, zuletzt nur ganz knapp gestiegen. Nach drei Jahren stand ein Minus von 0,5 Prozent zu Buche. Nun kommt die Coronawende bei den Reallöhnen: Ende 2020 wird das Lohnniveau von 2016 leicht übertroffen sein.

Das ist die eine Seite. Von der anderen Seite berichten Gewerkschafter. Ihre Mitglieder seien unzufrieden, wenn sie nicht im Portemonnaie deutlich mehr Geld hätten. Eine Hunderternote mehr im Beutel, das kann man sehen und fühlen. KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm sagt dazu, es profitiere nur der Durchschnittskonsument, wenn das durchschnittliche Preisniveau sinke. «Ist man nicht Durchschnitt, hat man Pech gehabt.»

Trauriger Hintergrund der Preissenkungen

Der Preisschock hat einen wenig erfreulichen Hintergrund. Zahlreichen Unternehmen ist die Nachfrage nach ihren Produkten eingebrochen. Mithilfe von Preissenkungen sollen Kunden gehalten oder gewonnen werden. Gemäss KOF-Umfrage sagen zwei Drittel der Betriebe, ihre Produkte würden weniger nachgefragt. Gar 11 Prozent sagen, ihre Existenz sei stark gefährdet.

Daneben wirkt sich aus, dass der Erdölpreis eingebrochen ist. Das schmerzt die Erdölförderländer. Saudiarabien und Russland lieferten sich zwischenzeitlich einen wüsten Preiskrieg. Sogar von negativer Erdölpreis war zu beobachten. Doch der Schweizer Konsument wurde durch das Tohuwabohu an den internationalen Ölmärkten entlastet.

Wie schlimm wird die Krise? Prognosen gehen weit auseinander

Der Coronaschock rüttelt die Schweiz durch. Die Konjunkturexperten tun sich einigermassen schwer, diese Folgen vorherzusagen. Der wohl wichtigste Satz in der heutigen Prognose des Staatssekretariats für Wirtschaft ist denn wohl auch: «Die Unsicherheit ist aussergewöhnlich hoch.»

Daher gehen die Prognosen weiter auseinander als in normalen Zeiten. Das Seco in Bundesbern hat gestern einen Einbruch von 6,2 Prozent vorhergesagt für 2020. Damit sind die Aussichten etwas weniger düster als im April, als noch ein Einbruch von 6,7 Prozent erwartet wurde. Aber auch mit der aktuellen Prognose würde die Schweiz den stärksten Einbruch seit der Erdölkrise erleben.

Schweiz kommt vergleichsweise gut aus der Krise

Doch an der ETH Zürich sehen die Ökonomen schon deutlich weniger schwarz. Wenn sie recht behalten, gäbe es im Coronajahr ein Minus von 5,1 Prozent. Zudem leidet die Schweiz, wie die KOF betont, deutlich weniger als Italien oder Frankreich. Sie meistert das Coronavirus ähnlich gut wie Deutschland. Wie die KOF ihre Prognose betitelt: «Die Schweiz kommt im internationalen Vergleich gut durch die Krise.»

Und noch besser sind die Aussichten, wenn die Ökonomen der Grossbank Credit Suisse richtig liegen sollten. Gemäss ihrer Prognose gäbe es nur einen Rückgang von 4 Prozent. Zu verdanken hätte die Schweiz diesen glimpflichen Ausgang vor allem ihrer krisenfesten Pharmaindustrie – sowie dem Bund, welcher der Wirtschaft schnell und effizient unter die Arme griff.