
«Unnötig», «unglaubwürdig», «unsozial»: Die Abbau-Pläne der Swiss stossen auf grossen Widerstand
Die Hiobsbotschaft kam am Tag der Papstaudienz: Die Swiss baut radikal ab, Massenentlassungen sind die Folge. Bundespräsident Guy Parmelin fand deshalb sogar trotz Besuch im Vatikan Zeit, auf Twitter sein Bedauern über den Kahlschlag bei der Schweizer Airline kundzutun: «Der Bund und die betroffenen Behörden werden alles unternehmen, um die Auswirkungen davon zu mildern.»
Die Auswirkungen sind gross. Die Swiss will 1700 Vollzeitstellen bis Ende Jahr streichen. Vor dem Ausbruch der Pandemie zählte die Swiss 7550 Vollzeitstellen und 9500 Mitarbeitende. Rund 1000 Vollzeitstellen sollen durch Frühpensionierungen oder Teilzeitmodelle verschwinden.
Das war schon im vergangenen Jahr so geplant. Der damalige Chef Thomas Klühr betonte dabei aber stets, ohne Entlassungen durch diesen Corona-Sturm kommen zu wollen.
Doch das wird nicht möglich sein, wie Swiss-Chef Vranckx seit seinem Start Anfang Jahr zunehmend bewusst geworden ist. Deshalb droht knapp 800 Angestellten nun die Entlassung. In der Kabine sind 400 Vollzeitstellen betroffen, beim Bodenpersonal 200, 120 im Cockpit und 60 in der Technik.
Auch 2023 noch 20 Prozent weniger Nachfrage
Vranckx rechnet nicht mit einer raschen Erholung der Luftfahrt, insbesondere bei den Geschäftsreisen. Auch 2023 dürfte die Nachfrage noch 20 Prozent unter dem Niveau von 2019 liegen, glaubt der Schweiz-Belgier. Momentan fliegt die Swiss mit knapp einem Fünftel ihrer Kapazitäten.
Diesen Sommer plant sie mit einem Flugvolumen von 50 bis 55 Prozent. Immerhin: Mit dieser Quote würde sie kein Geld verbrennen – aber auch keines verdienen. Dies müsse aber das Ziel sein, sagt Vranckx. Denn noch immer verliert die Airline heute täglich 2 Millionen Franken. Im ersten Quartal resultierte einen Verlust von über 200 Millionen Franken. Das hilft nicht, um die vom Bund verbürgten Kredite in der Höhe von 1,3 Millionen Franken bald zurückzahlen zu können.
Weniger Personal bedeutet denn auch: Weniger Flugzeuge. Die Flotte wird um rund 15 Prozent verkleinert. Auf der Kurzstrecke von heute 69 auf 59 Maschinen, wobei hier auch die Partner-Flugzeuge der Helvetic Airways einberechnet sind, und auf der Langstrecke von 31 auf 26 Flugzeuge. Fünf Airbus-Maschinen werden dabei ausser Betrieb genommen. Welche der über 100 Destinationen aus dem Streckenportfolio verschwinden, ist noch nicht klar.
Swiss will an Genf festhalten
An der einzigen Langstreckenverbindung ab Genf, dem Flug nach New York, möchte die Swiss aber festhalten. Dies, nachdem in den vergangenen Monaten das Gerücht die Runde machte, die Swiss prüfe gar einen Rückzug aus der Calvin-Stadt – insbesondere auch, weil diese zuletzt den Mindestlohn auf 23 Franken erhöht hat und damit die Swiss unter Zugzwang bringt.
Beim für die Luftfahrt zuständigen Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation von Bundesrätin Simonetta Sommaruga heisst es auf Anfrage, man erwarte, dass die Swiss die konkreten Schritte in enger Absprache mit den Sozialpartnern vornehmen werde. «Die Sozialpartnerschaft ist eine wichtige Grundlage der Zusammenarbeit – gerade auch in schwierigen Zeiten.»
Die Reaktionen auf die Verkleinerung der Swiss fallen indes harsch aus – vom betroffenen Personal, aber auch von der Politik. Die SP verschickte rasch ein Communiqué, in dem sie von Zynismus sprach: «Noch im August hatte die Swiss wegen der Corona-Krise Finanzhilfen in Milliardenhöhe erhalten, dann liessen sich die Top-Manager wenige Wochen später Boni auszahlen – und jetzt sollen die Angestellten zu Hunderten dafür bluten.»
«Nun beginnt Zeit der Angst über die persönliche Zukunft»
Sandrine Nikolic-Fuss, Präsidentin der Kabinengewerkschaft Kapers, spricht von einem «grossen Schock» für das Personal. «Für viele Kolleginnen und Kollegen beginnt nun eine Zeit der grossen Verunsicherung und der Angst über die persönliche Zukunft. Es ist ein trauriger Tag.» Man sei vor allem über das Ausmass des Abbaus erschüttert, auch wenn man gewusst habe, dass es zu Restrukturierungen kommen werde.
Dass es Anpassungen brauche, stehe ausser Frage, sagt Nikolic-Fuss. «Aber mit dem Zeitpunkt und mit dem Ausmass davon bin ich überhaupt nicht einverstanden.» Der Bundesrat entscheide demnächst über eine Verlängerung der Kurzarbeit, die aktuell bis Ende August läuft. «Sie könnte um bis zu sechs Monate verlängert werden und bis dann könnte es in der Luftfahrt wieder deutlich besser aussehen.»
Die oberste Flight Attendant der Schweiz sieht positive Signale dafür: Die weltweiten Impfkampagnen und die Lancierungen von Impfpässen für das internationale Reisen. Jetzt diesen Kahlschlag zu verkünden, sei voreilig. «Wir hegen deshalb den Verdacht, dass die Swiss und ihre Eigentümerin die Lufthansa nun einfach auf Teufel komm raus die Restrukturierung durchziehen möchten, die ihnen lieb ist.»
«Swiss droht an Eigenständigkeit zu verlieren»
Zudem befürchtet Nikolic-Fuss eine Verlagerung von Arbeitsplätzen und Kompetenzen nach Deutschland. So wurde kürzlich bekannt, dass zwei Langstreckenflugzeuge der Swiss-Schwester Edelweiss zur neuen Eurowings Discover übergehen. Und in ihrem Communiqué kündigt die Swiss an, die Zusammenarbeit mit der Mutterairline Lufthansa intensivieren zu wollen. «Die Swiss droht in dieser Krise somit weiter an Eigenständigkeit zu verlieren», sagt Nikolic-Fuss. Im Konsultationsverfahren mit den Sozialpartnern werde man versuchen, die Zahl der Entlassungen so stark wie möglich zu reduzieren.
Stefan Brülisauer von der Gewerkschaft VPOD, die das Bodenpersonal der Swiss vertritt, spricht ebenfalls von einem Schock. Mit 200 Stellen ist es nach dem Kabinenpersonal die an der zweitstärksten betroffenen Gruppe. «Wir hatten einen Abbau erwartet, doch nicht, dass es knapp 800 Personen treffen könnte.»
Wie Nikolic-Fuss erachtet er den angekündigten Schritt als unnötig, da die Verlängerung der Kurzarbeitsregelung bis im Frühling 2022 in Aussicht stehe, welche die Phase der Unsicherheiten überbrücken soll. «Trotzdem bereits jetzt so stark die Weichen zu stellen ist beinahe fahrlässig», sagt Brülisauer.
Unglaubwürdig sei auch die Kommunikation. «Bisher sprach die Airline stets von einem Fachkräftemangel in der Technik und der Wartung und suchte neue Leute, und nun soll es Massenentlassungen geben», sagt Brülisauer. Er befürchtet, dass die Swiss versuchen könnte, eher ältere, teurere Angestellte loszuwerden. «Da werden wir ganz genau hinschauen.»
Der Helvetic-Poker von Swiss-Chef Vranckx
Für den Pilotenverband Aeropers sind Entlassungen im Cockpit sogar vermeidbar, wie er in einer Mitteilung schreibt. Der Gesamtarbeitsvertrag der Cockpit-Crew wurde von der Swiss zwar nach gescheiterten Verhandlungen im Frühling gekündigt.
Doch er läuft noch bis im März 2022 weiter – und der Kündigungsschutz gilt sogar noch ein Jahr darüber hinaus. Für Swiss-Chef Vranckx wird es somit kein einfacher Poker in den Gesprächen mit den Piloten.
SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf teilt die pessimistischen Einschätzungen der Airline. «Vielleicht sind die Zahlen der Swiss sogar zu optimistisch», sagt sie. Aus ökologischer Sicht müsse der Luftverkehr auch gesundschrumpfen: «Dies sollte aber sozialverträglich geschehen».
Auch für die vom Luftverkehr abhängige Flughafengemeinde Kloten, in der Seiler Graf Stadträtin ist, sei die Pandemie einschneidend. «Die Gemeinde muss nun ein rigoroses Sparprogramm fahren».
Flughafen rechnet mit fünf Jahren Krise
Der Flughafen Zürich als wichtigster Partner der Swiss betont, dass die Zahl der ab Zürich angeflogenen Langstreckenziele auch mit einer verkleinerten Swiss in etwa gleich bleibe. «Zürich ist als Langstrecken-Drehkreuz nicht gefährdet und wird weiterhin viele Direktverbindungen anbieten», sagt Sprecherin Manuela Staub. Der wirtschaftliche Schaden sei aber «weiterhin enorm».
Der Flughafen habe bereits mit einer langsamen Erholung gerechnet. «Unsere Investitionsplanungen haben wir unter der Annahme angepasst, dass sich die Erholung des Flugverkehrs um fünf Jahre verschieben wird», sagt Staub. Welche Slots die Swiss zurückgeben wird, sei noch nicht bekannt.
«…das wäre in höchstem Masse unsozial.»
Unter dem Abbau leiden wird auch die Airline Helvetic. Sie ist die einzige externe Anbietern, die noch für eine Lufthansa-Airline im so genannten Wet-Lease-Verfahren Flüge mit eigener Crew durchführen darf. «Überproportional» werde dort abgebaut werden, stellte die Swiss am Donnerstag klar.
Das dürfte aus Sicht der Swiss-Crew aber nicht genug sein. Es sei unverständlich, dass die Swiss eigene Angestellte entlässt, während sie gleichzeitig weiterhin einem externen Anbieter ohne Gesamtarbeitsvertrag Flüge übergebe, sagt Nikolic-Fuss. Und auch Aeropers fordert indirekt ein Ende dieser Partnerschaft. «Die Produktion mit Kreditgeldern bei einer Fremdfirma einzukaufen und das eigene Personal auf die Strasse zu stellen, wäre in höchstem Masse unsozial», sagt Aeropers-Präsident Kilian Kraus.
«Eine allfällige Reduktion der Kurz- und Mittelstreckenflotte unseres Partners Swiss würde sich unter anderem auf die Zahl der im Auftrag der Swiss eingesetzten Helvetic-Flugzeuge auswirken», sagt Helvetic-Sprecher Mehdi Guenin. Noch finde das Konsultationsverfahren statt. Detaillierte Informationen könne die Airline erst Mitte Juni bekanntgeben.
Jubiläumsjahr wird zum Trauerspiel
Per Ende Juli werde Helvetic über die grünste und modernste Regionalflugflotte Europas verfügen und sei «bereit, allfällige Lücken auf dem Markt optimal, rasch und flexibel zu schliessen». Der zähe Fortschritt beim Impfen, die Reisebeschränkungen und die fehlende Klarheit über die kurz- und mittelfristige Situation erschwerten aber nicht nur die Rückkehr zur Normalität, sondern auch die Erstellung eines zuverlässigen Flugplans. «Wir erwarten nur eine langsame Verbesserung in den kommenden Monaten», sagt Guenin. Ob das alles in einem Abbau auch bei Helvetic mündet, beantwortet die Airline nicht.
Klar ist: Aus dem Jubiläumsjahr der Swiss-Kabinengewerkschaft ist definitiv ein Trauerspiel geworden. Die Kapers feiert 2021 ihr 50-jähriges Bestehen. Doch in einer internen Mitteilung an ihre Mitglieder schreibt die Organisation: «Der heutige Tag ist einer der schmerzhaftesten in der 50-jährigen Geschichte der kapers.» Die Festlaune – sie ist längst verflogen.