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Vergewaltigung an der Elsässerstrasse: Gericht erklärt die Strafminderung

Vergewaltigung an der Elsässerstrasse: Gericht erklärt die Strafminderung

Vier Monate nach dem Urteil, das für Aufsehen und Proteste sorgte, liegt im Fall Elsässerstrasse nun das schriftliche Urteil vor. Das Appellationsgericht fühlt sich falsch verstanden.

Jonas Hoskyn

Rund 500 Personen demonstrieren an einer Kundgebung als Reaktion auf das Urteil.

Fabian Schwarzenbach

Das zweitinstanzliche Urteil des Appellationsgerichts gegen einen Mann, der mit einem Kollegen im Februar 2020 eine Frau nach dem Ausgang vergewaltigt hatte, sorgte vergangenen Sommer schweizweit für Diskussionen. Im Fokus der Kritik stand nicht so sehr die Reduktion der Strafe – statt der viereinviertel Jahre erhielt der Mann nur noch eine teilbedingte Haftstrafe und kam im Anschluss des Prozesses nach 18 Monaten frei – sondern vielmehr die mündliche Begründung der Gerichtspräsidentin Liselotte Henz.

Das Vergehen werde relativiert durch «die Signale, die das Opfer auf Männer aussendet», so die Gerichtspräsidentin. Dabei bezog sie sich vor allem auf das «Verhalten im Club», wo die Frau offenbar im Laufe des Abends auf der Toilette ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem weiteren Mann hatte. «Man muss feststellen, dass sie mit dem Feuer spielt», so die Gerichtspräsidentin weiter.

Diese Wortwahl sorgte für starke Kritik. Das Gericht habe damit dem Opfer eine Mitverantwortung an der Tat gegeben, so der Tenor. Eine Woche nach dem Prozess demonstrierten rund 500 Personen vor dem Appellationsgericht gegen das Urteil.

Bedachte Wortwahl im schriftlichen Urteil

In der schriftlichen Urteilsbegründung, die nun seit gestern Mittwoch vorliegt, bemüht sich das Gericht um Sachlichkeit. Wortwendungen wie «mit dem Feuer gespielt» oder «Signale» kommen nicht mehr vor. Auf insgesamt 70 Seiten erläutert das Appellationsgericht, wie es zum Urteil kam und welche juristischen Gründe ausschlaggebend für die Reduktion des Urteils waren. Auch Delikte wie eine Vergewaltigung seien individuell zu bewerten und können – verglichen mit anderen Übergriffen gegen die sexuelle Integrität – leichter oder schwerer ausfallen. Ein Faktor etwa ist, wie lange sich der Übergriff hingezogen hat. Die sechs bis sieben Minuten im konkreten Fall seien vergleichsweise relativ kurz.

Gleichzeitig ist das Gericht sichtlich bemüht, sich nicht erneut missverständlich auszudrücken: «Freilich soll, was nach der mündlichen Begründung fälschlicherweise so verstanden wurde, damit nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass ein nur kurz andauernder sexueller Übergriff beim Opfer keine schwere Traumatisierung nach sich ziehen kann», schreibt das Gericht. Und weiter: «Die Neubeurteilung bedeutet weder eine Infragestellung der Tat noch eine Zuweisung von Mitverantwortung des Opfers.»

Bei der Beurteilung des objektiven Verschuldens spiele es indessen eine Rolle, welchen Aufwand der Täter für die Tatausführung betrieb, wie hartnäckig er seinen Plan verfolgt hat, wie gewalttätig er dabei vorgegangen ist und wie lange sich der Übergriff hingezogen hat. Schliesslich sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Privatklägerin um eine im Tatzeitpunkt 33-jährige und sexuell erfahrene Frau handelte. Im Ergebnis sei das Tatverschulden des Berufungsklägers für die vollendete Vergewaltigung «als knapp mittelschwer» einzustufen.

Staatsanwaltschaft hat 30 Tage Zeit

Eine Rolle spielt auch, dass die beiden Männer die Tat nach Einschätzung des Gerichts nicht von langer Hand geplant hatten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie die Frau in der Hoffnung auf einvernehmlichen Geschlechtsverkehr nach Hause begleiteten. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Frau zuvor im Ausgang in der Toilette einer Bar mit einem weiteren Mann Geschlechtsverkehr hatte. Auch hier wägt das Gericht seine Worte gut ab: «Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die Privatklägerin ein Mitverschulden für die sexuellen Übergriffe trägt; selbstverständlich hätte der Berufungskläger spätestens in jenem Zeitpunkt von seinem Vorhaben Abstand nehmen müssen.» Allerdings sei bei dieser Ausgangslage die kriminelle Energie des Täters etwas weniger schwerwiegend einzustufen, als dies vom Strafgericht in der ersten Instanz getan wurde.

Offen ist, ob die Staatsanwaltschaft oder das Opfer den Fall weiterziehen. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils haben die Parteien dreissig Tage Zeit, sich zu entscheiden. Nicht bekannt ist auch der Stand des Verfahrens gegen den mutmasslichen Mittäter. Dieser war zum Tatzeitpunkt noch minderjährig. Sein Fall wird entsprechend vom Jugendgericht beurteilt.

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