
Volksinitiative fordert: Wer nicht explizit Nein sagt, spendet seine Organe
Wer eine Organspende nicht explizit ablehnt, stimmt ihr zu. Das fordert eine Volksinitiative, die der Nationalrat am Mittwoch berät. Das Anliegen ist brandaktuell, denn hierzulande herrscht ein Mangel an Spenderorganen. Knapp 1500 Personen warten derzeit in der Schweiz auf ein Herz, eine Lunge oder auf ein anderes Organ. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission im Nationalrat hat der Initiative zugestimmt. Die Präsidentin der Gesundheitskommission im Nationalrat, Ruth Humbel, befürwortet allerdings den Gegenvorschlag.
Das heisst, sie stimmt dem Anliegen im Grundsatz zwar zu, aber nicht dem Automatismus, den die Initiative vorsieht. Sie sagt: «Alle müssen sich mit diesem Thema irgendwann befassen.» Hierfür brauche es ein zentrales Register. Es sei ihr allerdings wichtig, dass eine Willensäusserung stattfinde, entweder von der Person selbst, oder dann von den Verwandten. Wenn dies nicht geschehe, sei sie gegen eine Organentnahme, so Humbel: «Der Gegenvorschlag ist eine ideale Lösung zwischen der heutigen Praxis und der Initiative.» Sie selbst würde ihre Organe bei ihrem Tod spenden wollen, sagt sie.
Organe werden nicht kalten Leichen entnommen
Auch das Kommissionsmitglied Benjamin Roduit von der Mitte-Partei sieht es ähnlich: «Die Initiative ist zu extrem, der Gegenvorschlag ist ethisch vertretbar, weil er keinen Automatismus vorsieht.» Idealerweise würde jede Person von ihrem Recht Gebrauch machen und sich für oder gegen eine Organspende äussern. «Auch wenn wir mehr Spenderorgane brauchen, sollten wir den ethischen Kompass nicht verlieren», sagt er. Letztlich sei das eine individuelle und gesellschaftliche Frage, und weniger eine parteipolitische.
Für den pensionierten Allgemeinmediziner Alex Frei geht sowohl die Initiative als auch der Gegenvorschlag zu weit. Er hat 2019 den Verein gegründet «Ärzte und Pflegefachpersonen gegen Organspende am Lebensende» (Äpol) und am Montag eine Petition für ein Moratorium gegen die Organentnahme nach einem Herzstillstand eingereicht. Denn in der Schweiz können einem Organspender fünf Minuten nach dem Herzstillstand die Organe entnommen werden, weil nach dieser Zeit das Gehirn als unwiderruflich ausgefallen gilt. Frei sagt: «Viele Leute sind im falschen Glauben, Organe würden von kalten Leichen entnommen».
Dem sei nicht so, sondern: «Die Organe müssen Lebendigkeit haben, um in einen anderen Körper transplantiert zu werden.» Er fordert, dass die Regeln der wissenschaftlichen Medizin eingehalten werden. «Wir haben keinen Beweis dafür, dass Hirntote nicht leiden bei der Organentnahme im Operationssaal», so Frei. Franz Immer, Direktor von der Stiftung für Organspende und Transplantation Swisstransplant, widerspricht: «Der Hirntod ist gleichbedeutend mit totalem und unwiderruflichem Ausfall des Gehirns. Intensivmedizinische Massnahmen halten den Kreislauf und die Atmung aufrecht».
Angehörige sagen meistens Nein zur Organentnahme
In der Schweiz geniesse die Organspende viel Zustimmung, man gehe von 80 Prozent aus, sagt Immer. Allerdings verfügen nur ungefähr 18 Prozent über einen Organspenderausweis. Warum? «Viele Leute sind einfach zu bequem», sagt Immer. Es komme häufig vor, dass bei einem Todesfall die Angehörigen keine Ahnung hätten, ob der Verstorbene seine Organe gerne gespendet hätte oder nicht. In den meisten Fällen möchten die Angehörigen diesen Entscheid stellvertretend für den Verstorbenen nicht treffen und sagen Nein.
Auch deshalb unterstütze Swisstransplant die Initiative, denn sie entlaste die Angehörigen von der Verantwortung, eine solche Entscheidung in einer bereits belastenden Situation zu treffen. «Die erweiterte Widerspruchslösung sieht vor, dass wer sich zeitlebens nicht dagegen entschieden hat, grundsätzlich Organ- und Gewebespender ist.» Die Angehörigen haben in dieser Situation aber ein Vetorecht, sagt Immer. «Ein Gespräch findet immer statt; denn letztendlich geht es immer darum, den Wunsch des Verstorbenen zu eruieren.»
Das will die Initiative
«Organspende fördern – Leben retten»
Die Initiative «Organspende fördern – Leben retten» sieht eine automatische Organspende (Widerspruchslösung) vor: Jedem Erwachsenen sollen im Todesfall Organe entnommen werden können – ausser er wünscht das ausdrücklich nicht und hat dies zu Lebzeiten explizit geäussert. Alle können ihren Willen im Nationalen Organspenderegister eintragen.
Das will der Gegenvorschlag
Der Bundesrat hat einen indirekten Gegenvorschlag unterbreitet, wonach zwar jeder Erwachsene zu Lebzeiten festhalten muss, wenn er nach dem Tod seine Organe nicht spenden möchte. Doch falls dies unterlassen wurde, müssen – im Gegensatz zur Initiative – die nächsten Angehörigen entscheiden können. Werden die Angehörigen nicht erreicht, ist eine Organentnahme unzulässig.