
Vor grosse Schwierigkeiten gestellt: Wenn Sozialhilfeempfänger lernen, eine Bewerbung zu schreiben
Die Büros über der Bibliothek, direkt neben dem Rathaus im Städtchen, sind karg und funktional eingerichtet. Hier arbeitet Projektleiterin Rebekka Meier mit Sozialhilfeempfängern an deren (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt. Das Städtchen Aarburg hat mit 6,1 Prozent einen sehr hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern. Vor gut zwei Jahren hat darum der Gemeinderat entschieden, bei der Arbeitsmarktintegration einen Zacken zuzulegen und auf Mandatsbasis Meier als Projektleiterin engagiert.
Zu Beginn war Meier verblüfft, wie niederschwellig sie mit ihrer Beratung beginnen musste. «Es ist sehr viel Basisarbeit nötig.» Da gehe es um Terminverbindlichkeit oder den Grund, weshalb man Bewerbungen schreiben muss. Damit habe sie nicht gerechnet. «Einige denken, der Job wird einem zugetragen.»
Doch mittlerweile kann sie auch einige Erfolge verbuchen. Von den 71 Klienten, die sie bisher von der Gemeinde zugewiesen erhielt, haben immerhin rund 20 eine Teil- oder Vollzeitanstellung gefunden. So zum Beispiel eine hochqualifizierte ausländische Frau, die eine Stelle als Direktionsassistentin fand. Die Stelle sei von der Ausbildung her zwar eine gewisse Rückstufung, sagt Meier. Aber es sei ein wichtiger Schritt zurück in die Berufswelt. Da die Frau aus einem Nicht-EU-Staat stammt, hatte sie wegen des Inländervorrangs Mühe, eine Stelle zu finden. «Die Frau hatte schlicht auch den Mut verloren», so Meier. «Da brauchte es viel Motivationsarbeit.» Bei einer anderen Frau hat schon ein kleiner Tipp geholfen. Sie hatte früher eine temporäre Anstellung als Reinigerin. «Dann habe ich ihr empfohlen, ein Arbeitszeugnis einzufordern», sagt Meier. Darauf habe sie statt eines Zeugnisses eine erneute Anstellung erhalten.
Zu Beginn geht Meier immer gleich vor. Im Erstgespräch erfasse sie Erfahrungen, Wünsche, Ressourcen, ein allfälliges Netzwerk. Sie schaue sich vorhandene Bewerbungsunterlagen an. Diese seien aber meist sehr alt. Meier macht mit allen auch einen Arbeitsmarkt-Check, erfasst dabei folgende Faktoren: Alter, sprachliche Verständigung, Sozial- und Selbstkompetenz, Berufserfahrung und Ausbildung sowie Gesundheit. «Meist zeigt sich schon im ersten Gespräch, ob jemand gewillt ist, etwas zu erreichen.»
Wenn man nicht mal lesen kann
Bei Flüchtlingen stellen sich noch ganz grundsätzlichere Probleme. Meier betreut viele Eritreer. Diese hätten zwar oft eine sechsjährige Schulbildung. Das eritreische Schulsystem garantiert jedoch nicht, dass man in der Grundschule Lesen oder Schreiben lernt. «So haben sie natürlich auch grosse Mühe, Deutsch zu lernen», sagt Meier – was aber eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Jobsuche wäre. Bezüglich Motivation gebe es grosse Unterschiede. Einige wollen nicht, andere sind aber sehr erpicht darauf, einen Job zu finden, realisieren aber, dass sie einfach keine Chance haben. «Ich muss den Leuten häufig aufzeigen, dass es zuerst mal irgendwo einen Einstieg braucht.» Danach erst könne es weitergehen in Richtung Festanstellung.
Personen mit B-Ausweis finden am ehesten einen Job über ein Temporärbüro in den Bereichen Logistik, Lager, und Lebensmittelherstellung. «Und daraus können sich dann auch Festanstellungen ergeben», so Meier. «Zunehmend schwierig ist aber, dass es im Arbeitsmarkt nicht mehr genügend einfache Jobs wie zum Beispiel Arbeit am Fliessband oder Einpacken gibt.»
Ein positives Beispiel ist ein junger Eritreer mit Hochschulabschluss, der aber wegen der Flucht kein Diplom mehr besitzt. Der will nun unbedingt in der Schweiz studieren. Inzwischen ist er mit Sprach- und Fachkursen an den Vorbereitungen dazu. Bei Flüchtlingen gibt es zudem das Angebot der Integrationsvorlehre. Das sind Anlehren mit dem Ziel, danach eine Lehre anzuhängen. Im Bereich der Gastronomie läuft dies sehr gut. Weitere Berufsrichtungen dürften kantonsweit ausgebaut werden.
Arbeitsversuch im Werkhof
Bei Langzeitarbeitslosen, egal welcher Nationalität, macht laut Meier oft ein sogenannter Arbeitsversuch Sinn. In Aarburg kann sie Leute dem Werkhof oder dem Forstbetrieb zuteilen. Aktuell arbeiten sechs Personen dort. Die Pensen variieren von 40 bis 100 Prozent. «Es geht darum, den Leuten überhaupt eine Arbeitsstruktur zu geben», so Meier. Das Zeugnis werte zudem den Lebenslauf auf. «Wichtig ist auch, dass die Personen eine Aufgabe, eine sinnvolle Tätigkeit haben.» Das stärke sie für die Arbeitssuche. Die Einsätze dauern von einem bis zu acht Monaten. «Mit diesen Einsätzen kann man künftigen Arbeitgebern zeigen, dass eine Person bei einer Arbeitsstelle auch konsequent erscheint und durchhält», erklärt Meier.
Es gibt aber auch wenige Sozialhilfeempfangende, die einfach nicht arbeiten wollen, obwohl sie könnten. Der Sozialdienst kann dann Sanktionen ergreifen. «Und eine Kürzung der Sozialhilfe kann schmerzhaft sein», sagt Meier. Ziel dabei sei: Die Leute sollen aufwachen. Die Sozialhilfe ist eine Absicherung in Notlagen, aber kein Instrument, indem man sich wohlfühlen kann.
Ein Götti-System würde helfen
Mit denen, die sich engagieren, macht Meier auch Gruppenarbeiten. Dabei arbeiten die Klienten zum Beispiel an ihren Bewerbungen oder an den Kompetenzen für das Vorstellungsgespräch. Dann gehe es darum, dass sich die Leute gegenseitig unterstützen und selbstständiger werden. «Ich bin ja nicht ihre Sekretärin, welche ihnen die Bewerbungsarbeit abnimmt», sagt Meier.
Die Hilfe untereinander ist wichtig. Doch noch mehr Potenzial sieht Meier in der Unterstützung durch Schweizer. «Ich habe drei Fälle, wo eine Art Götti-System zustande kam.» Das wäre laut Meier ausbaufähig.
Vorerst liegt aber noch viel Coaching-Arbeit bei Rebekka Meier selbst. Darum betreut sie ihre Klienten bis zur bestandenen Probezeit in einem Betrieb. «Und die Leute dürfen sich auch später melden, falls sie ein Problem auf der Arbeit haben.»
Nachgefragt bei SVP-Gemeinderätin Martina Bircher: «Es ist tragisch, wenn Leute, die Steuergelder erhalten, Termine nicht wahrnehmen»
Frau Bircher, vor zwei Jahren haben sie eine Stelle für die Arbeitsintegration von Sozialhilfeempfängern geschaffen. Wie sind Sie nun damit zufrieden?
Das Angebot ist ja zusätzlich zum gesetzlichen Auftrag. Wir glauben aber, dass es wirkt. Zu Beginn war es zwar ein harziger Start. Im letzten Jahr hat es sich aber positiv entwickelt. Es gab doch eine stattliche Anzahl an Ablösungen.
Das klingt erfolgsversprechend. Gibt es auch Probleme?
Sicher die Terminverbindlichkeit. Nur rund 40 Prozent erscheinen überhaupt zum Gespräch. Es ist tragisch, wenn Leute, die von uns Steuergelder erhalten, Termine nicht wahrnehmen. Und das System mit den Kürzungen, das gesetzlich so verankert ist, funktioniert nicht richtig. Zuerst gibt es nur eine Verwarnung. Bei einem zweiten Verstoss dürfen nur 5 bis 15 Prozent der Sozialhilfe gekürzt werden, befristet auf drei Monate. Erst bei einem dritten Verstoss darf man auf das Existenzminimum kürzen – sprich 30 Prozent, ebenfalls befristet. Und jede Kürzung kann gerichtlich angefochten werden, wodurch Monate vergehen können.
So sind die Regeln. Auch Sozialhilfeempfänger haben ihre Rechte.
Aber wir haben so fast keine Instrumente, die Leute zu motivieren. Mein überwiesener Vorstoss im Grossen Rat fordert darum, dass neu alle nur noch 70 Prozent des Grundbedarfs nach SKOS-Richtlinien erhalten, was dem Existenzminimum entspricht. Aber: Man kann zügig auf den vollen Betrag kommen, wenn man sich motiviert und integrationswillig zeigt. Ausserdem ist es in der Arbeit mit Menschen zielführender, Personen zu belohnen, als sie zu bestrafen. Heute hingegen kriegt jeder von Anfang an 30 Prozent über dem Existenzminimum, das hat streng genommen mit Sozialhilfe gar nichts mehr zu tun.