
Warum der Aargauer Gesundheitsdirektor trotz Schnupfen mit den ÖV zur Arbeit fährt
Mit einem freundlichen «guten Morgen» begrüsst Jean-Pierre Gallati kurz nach sechs Uhr gestern Freitagmorgen den Journalisten, der an der Bushaltestelle vor seinem Haus in Wohlen bereits auf ihn wartet. Die Hände bleiben in den Taschen des grauen Wintermantels.
Ansonsten färbt die momentane Verunsicherung im Zusammenhang mit dem Corona-Virus kaum auf den Aargauer Gesundheitsdirektor ab. «Nein, ich habe keine Bedenken, mit den ÖV zur Arbeit zu fahren», sagt Gallati, als er in den fast leeren Bus zum Bahnhof Wohlen einsteigt. Als die kantonalen Gesundheitsdirektoren letzte Woche über den Plan von Bundesrat Alain Berset abstimmten, Veranstaltungen mit über 1000 Personen bis zum 15. März zu verbieten, hatte der Aargauer als einziger gegen ein Veranstaltungs-Verbot gestimmt.
Kritisieren möchte er den Bundesratsentscheid aber nicht. Er kann ihm sogar Positives abgewinnen: «Die Menschen diskutieren über das Corona-Virus und das hat eine präventive Wirkung, sie sind sich der Wichtigkeit der Schutzmassnahmen bewusst.» Das Verständnis in der Bevölkerung sei gross und das Verhalten vorbildlich.
Zeigen die Hamsterkäufe nicht, dass eine gewisse Hysterie um sich greift? «Davon war ich schon überrascht. Aber das hat sich ja auch rasch wieder gelegt, das waren nur wenige, die überreagiert haben.» Er selber und seine Frau hätten sich nicht zusätzlich mit Lebensmitteln eingedeckt.
Gallati trifft im Zug seine Kantonsärztin
Der Bus hat sich zwischenzeitlich zur Hälfte gefüllt, es sind mehrheitlich Jugendliche, manche scheinen mit einem Ohr zuzuhören oder grinsen uns an. Gallati ist in der Gemeinde bekannt, ist er doch in der Nachbargemeinde Waltenschwil aufgewachsen und war lange im Einwohnerrat Wohlen tätig. Von Fremden werde er selten auf das Corona-Virus angesprochen, sagt Gallati. «Tschüss, en schöne Tag», ruft er dem Chauffeur zu, als wir den Bus verlassen.
Regierungsrat Jean-Pierre Gallati und Kantonsärztin Yvonne Humbel im Zug nach Aarau.
© Dominic Kobelt
Im Zug nach Aarau sitzt bereits Kantonsärztin Yvonne Humbel, die ebenfalls im Freiamt wohnt. Gallati setzt sich zu ihr. Das Gespräch dreht sich um den Stand der Forschung, die Verunsicherung in der Bevölkerung und um die über 900 Veranstaltungsgesuche, die beim Kanton eingegangen sind. Ab 150 Personen braucht es eine Bewilligung. «Es gibt auch Veranstaltungen, die abgesagt wurden, obwohl sie eine Bewilligung hatten», erzählt Kantonsärztin Humbel. «Manche Veranstalter überlegen, ob es sich überhaupt lohnt, einen Anlass durchzuführen, denn es muss mit weniger Besuchern gerechnet werden.» Zudem seien auch ethische Überlegungen im Spiel und die Angst, Kritik zu ernten. Gallati: «Ob der Bund die Massnahmen verschärft, ist auch schwer abzuschätzen – manche Organisatoren sagen vorsorglich ab.»
Als letzten Freitag die Verordnung des Bundes bekannt wurde, hatten viele Organisatoren kleiner Feste und Veranstaltungen bei Gallati angerufen, um Informationen zu erhalten. Später meldeten sich auch öfters Gewerbetreibende, die sich beispielsweise nicht sicher waren, ob ein Verkaufsanlass von der Verordnung ebenfalls betroffen sei.
Grüne Corona-Mappe beherrscht den Alltag des Regierungsrats
Wie hat der Aargau die Situation im Vergleich zu anderen Kantonen gemeistert? «Das ist schwierig zu beantworten, weil ich die Details nur im Aargau kenne, aber ich würde sagen etwa durchschnittlich», sagt Gallati. Gut gelungen sei die Umsetzung der Verordnung, da hätten andere Kantone mehr Mühe. «Deshalb wurden Teile unserer Lösung, etwa die Genehmigungspflicht ab 150 Personen, vom Bundesrat für Gesundheit und danach von anderen Kantonen übernommen.»
Jean-Pierre Gallati in seinem Büro im Departement für Gesundheit und Soziales.
© Dominic Kobelt
Müsste der Bund mehr Kompetenzen haben? «Das Epidemiengesetz ist auf eine Zentralisierung ausgelegt. Das Problem ist, dass sich das die Kantone nicht gewohnt sind», erklärt der Regierungsrat. In so einem Fall habe der Bund zu befehlen und die Kantone die Anweisungen ohne Wenn und Aber umzusetzen.
Mittlerweile sind wir im Departement für Gesundheit und Soziales, gleich beim Bahnhof Aarau angekommen, Gallati und Humbel verabschieden sich voneinander, sie arbeitet einen Stock tiefer als ihr Chef. Die Kantonsärztin mache einen sensationellen Job, sagt Gallati. Auch Gallatis Arbeit ist zur Zeit vom Corona-Virus dominiert? «Jeden Tag kommen neue Lageberichte von allen möglichen Stellen», erklärt Gallati und zeigt eine grüne Mappe, die mit «Corona» beschriftet ist und die aktuellsten Papiere enthält.
Die aktuellen Unterlagen zum Corona-Virus und der Situation im Aargau.
© Dominic Kobelt
«Hauptsächlich geht es jetzt aber darum, über den Tag hinaus zu blicken und zu planen, wie wir auf mögliche Entwicklungen in den nächsten drei Monaten reagieren können.» Im Fokus seien dabei nicht nur das gesellschaftliche Leben, sondern auch die Wirtschaft, die Gesundheitsversorger und die Verwaltung.
Gallati holt ein Taschentuch hervor und schnäuzt sich die Nase. Eine Erkältung oder etwa doch das Corona-Virus? «Das wird sich zeigen, aber vermutlich nur ein leichter Schnupfen», sagt Gallati schmunzelnd. Wir verabschieden uns. Natürlich ohne Handschlag.