Weniger schlimm als erwartet: Der Bund korrigiert einmal mehr seine Wirtschaftsprognose

So lautet die neue Prognose

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz wird dieses Jahr um 3,8 Prozent geringer sein als im Vorjahr. Das ist der stärkste Rückgang seit der Erdölkrise von 1975. Damals ging das BIP jedoch ungleich stärker zurück: um 6,7 Prozent. Für 2021 rechnet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) damit, dass sich die Wirtschaft weiter erholen wird. Die Bruttoinlandprodukt wird gemäss Prognose um 3,8 Prozent wachsen.

Das bedeutet, wie das Seco schreibt: Erst Ende 2021 wird wieder das BIP-Niveau das Jahres 2019 erreicht. Der Seco-Leiter Eric Scheidegger sagt: «Mit anderen Worten: wir werden zwei verlorene Jahre haben.»

So verlief die Achterbahn der Prognosen

Im April 2020 war es noch ein Einbruch von 6,7 Prozent; nun wird es deutlich weniger schlimm: ein Minus von 3,8 Prozent. Das Seco musste seine Prognose für das Wirtschaftswachstum 2020 im Verlaufe der Coronakrise wiederholt anpassen. Und selbst die Korrektur von 6,7 auf 3,8 Prozent erzählt noch nicht die ganze Achterbahn der Konjunkturprognosen.

Im Dezember 2019 – das neue Coronavirus verbreitete sich noch unbemerkt von der Weltöffentlichkeit in China – da erwartete das Seco noch eine moderate konjunkturelle Abkühlung: ein Wachstum von 1,3 Prozent. Diese Prognose war spätestens am 16. März hinfällig, als der Bundesrat die ausserordentliche Lage erklärte und weite Teile der Wirtschaft schliessen mussten.

Am 19. März 2020 erwartete das Seco darum eine Rezession, etwa in der Grössenordnung der Finanzkrise: ein BIP-Rückgang von 1,5 Prozent. Sicher war damals schon, dass wenig sicher war. Das Seco schrieb: «Die Prognoseunsicherheit ist zurzeit aussergewöhnlich hoch.»

Es folgte im April eben die Prognose von minus 6,7 Prozent, gefolgt im Juni von einer Prognose von minus 6,2 Prozent. Nun im Oktober 2020 ist gemäss Seco mit einem Einbruch von 3,8 Prozent zu rechnen. Das Seco kann vermelden: «Wirtschaftseinbruch 2020 weniger stark als befürchtet.»

Darum sieht es aktuell weniger schlimm aus

Die Schweiz fand dann doch schneller aus dem Stillstand als es noch im Juni erwartet werden konnte. Man konnte die Wirtschaft früher als erwartet aus dem Lockdown entlassen. Die Strategie der sozialen Distanzierung hatte die Fallzahlen überraschend rasch hinuntergebracht. Ähnlich verlief es im Ausland, was besonders für die Schweizer Exporte wichtig war.

Seco-Direktor Scheidegger sagt: «Dass die Aussichten heute besser sind als befürchtet, ist eindeutig dem Umstand zu verdanken, dass die Wirtschaft rascher als erwartet und dauerhaft geöffnet werden konnte.»

Mit den Lockerungen war in der Wirtschaft eine starke Gegenbewegung zu beobachten. Im Seco erwartet man für das 3. Quartal 2020 ein Wachstum zum Vorquartal in einer Grössenordnung von 5 bis 6 Prozent.

Diese eindrückliche Erholung zeigt sich auch bei der Kurzarbeit. Im April 2020 wurde Kurzarbeit bisher für rund 1,3 Millionen Arbeitnehmer abgerechnet. Im Juli waren es bisher 350’000. Diese Zahlen zeigen laut Scheidegger, wie schnell sich die Unternehmen an die neue Situation anpassen konnten. Und sie seien eine Bestätigung für das Instrument der Kurzarbeit. «Es hat sich als sehr hilfreich erwiesen und einen stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert.»

Wo es nach wie vor schlimm aussieht

Die Schätzungen für die gesamte Wirtschaft verbergen wie immer grosse Unterschiede. In einigen Branchen sind die Aussichten nach wie vor düster: so in der Hotellerie, in der Gastronomie oder in der Uhrenbranche. Für diese Branche sieht es aktuell nicht nach einer raschen Erholung aus.

Mit den steigenden Fallzahlen steigt das Risiko, dass die Politik zu Massnahmen greifen muss, die diesen Branchen noch mehr schaden. Bereits hat der Kanton Zug vorgeschrieben, dass Gastro-Angestellte eine Maske tragen müssen. Im Kanton Bern gilt neu eine Sitzpflicht in Bars und Restaurants.

Darum könnte die Achterbahn der Prognosen weitergehen

Die Coronakrise ist noch lange nicht ausgestanden. Und nach wie vor sind es das Virus und die Gegenmassnahmen, die den Gang der Wirtschaft bestimmen. Dabei ist immer beides möglich: Es kann besser oder schlimmer herauskommen, als es heute erwartet wird.

Schlimmer wird es, wenn es tatsächlich zu einer zweiten Welle kommt – und sich die Politik wiederum nur mit Massnahmen zu helfen weiss, welche wiederum weite Teile der Wirtschaft stillstehen lassen. Dann wäre auch zu befürchten, dass sich mehr Unternehmen nur mit Entlassungen zu helfen wissen – oder gleich ganz aufgeben.

Oder es kommt besser, weil sich Betriebe und Konsumenten weniger beeindrucken lassen. Trotz Krise würden sie mehr einkaufen und investieren als erwartet. Oder man bekommt das Virus schneller in Griff, etwa dank eines Impfstoffes oder besserer Tests. Dann würde sich die Konjunktur deutlich schneller erholen.

Scheidegger sagt: «Eines ist sicher, die Unsicherheit bleibt gross.»