
Wenn der Sensemann anrollt
Was gibt es Schöneres, als im Sommer am Feierabend nach Hause zu kommen, die Kleider in eine Ecke zu feuern, im Vorbeigehen ein Blondes aus dem Kühlschrank zu angeln um endlich das Handtuch und dann sich selber auf den Liegestuhl zu schmeissen? Dann ein grosser, frischer Schluck und abschalten. Entspannen. In eine paradiesische Parallelwelt abhauen. Das ist in groben Zügen das, was ich unter «Wellness» verstehe.
Der Zustand höchster Glückseligkeit dauert selten länger als eine halbe Stunde. Dann kommt er: der Sensemann. Auf einem feuerroten Honda-Mäher sitzt er und mein Gefluche hört er nicht, denn er trägt in weiser Voraussicht einen Pamir. Nun ist finito Wellness! Zwei Stunden wird er nun gemächlich seine Runden drehen und den Rasen unter und um unseren Block in einen akkurat getrimmten Golfplatz verwandeln. Jede Woche! Auch wenn sich unter dem Rasen die Tiefgarage befindet, was wiederum bedeutet, dass der Rasen auf einer nur ca. 50 Zentimeter dicken Erdschicht wächst. Und darum schnell verbrennt und braun wird, wenn es heiss ist und man ihn zu oft schneidet. Und deshalb im Hochsommer künstlich bewässert werden muss. Was verdammter Schwachsinn ist!
Leider kommt der Sensemann selten allein, sondern zieht eine ganze Schar apokalyptischer Reiter nach, die alsbald mit benzinbetriebenen Trimmern und Rasenmähern in die höllische Kakophonie einstimmen um klarzustellen, dass sie ebenso fleissige Bünzlis sind wie der Sensemann.
Ziemlich genau so stelle ich mir die Hölle vor. Jetzt fehlt nur noch Fegefeuer und Rauch. Aber darüber brauche ich mir keine Gedanken zu machen: bestimmt drei der neun Grills, die auf den Balkonen unter mir nur darauf warten, Kadaver-Reste kremieren zu dürfen, werden pünktlich zum Abzug des Sensemanns angefeuert. Vor dieser Art Rauchopfer kapituliere ich endgültig.
Niemals hätte ich so etwas für möglich gehalten: Mittlerweile freue ich mich bereits wieder auf die vielleicht kalten, dafür ruhigen Februarabende auf der Terrasse. Und ich überlege mir gerade, ob ich einen grossen Sack Blumensamen kaufen und mit diesen Anfang Frühling den Golfrasen sabotieren soll. Prost!