
«Zuerst waren wir hilflos, als die riesigen Wassermengen kamen»
Als am 8. Juli 2017 das Uerkental unter Wasser stand, kämpften 65 Feuerwehrleute aus dem Uerkental gegen die Fluten. Thomas Räss, Kommandant der Feuerwehr Uerkental, war an vorderster Front mit dabei. Welche Schlüsse zieht er aus der Naturkatastrophe?
Erinnern Sie sich, was Sie gerade gemacht haben, als am Abend des 8. Juli das Wasser kam?
Thomas Räss: Ich war in meinem Haus in Uerkheim und hatte meinen Göttibueb bei mir. Schon am Nachmittag hatte ich ein ungutes Gefühl, es hatte ja den ganzen Tag über stark geregnet. Dann kam das Wasser plötzlich alle Hänge runtergelaufen. Da merkte ich, dass wir es mit riesigen Wassermengen zu tun hatten. Ich machte mich gleich daran, ums Haus Sandsäcke aufzuschichten. Kaum war ich fertig, erhielt ich den ersten Alarm, wegen eines Kellers, der unter Wasser stand.
Dabei blieb es aber nicht.
Gleich danach hagelte es Alarme. In der ersten Einsatzstunde bekamen wir über 150 Meldungen rein. Wir hatten damit gerechnet, dass es noch den einen oder anderen Einsatz geben wird, aber niemals in diesem Ausmass.
Wie unterscheidet sich das Hochwasser 2012 von demjenigen im letzten Juli?
Es kam deutlich mehr Wasser in derselben Zeit als fünf Jahre zuvor. Das Ausmass der Schäden war dementsprechend grösser. Zudem gab es Hangrutsche, die wir so auch noch nie erlebt hatten.
Die Uerke wuchs am Abend des 8. Juli 2017 zum reissenden Fluss an, schoss über die Ufer und bahnte sich einen Weg der Zerstörung durch Uerkheim. Ist das Uerkental dem Untergang durch Hochwasser geweiht?
Das würde ich so nicht sagen. Wo es Wasser hat, kommt es zu Überschwemmungen. Der Umfang dieses Hochwassers war ein ausserordentliches Ereignis, das niemand voraussehen konnte und das auch keines der Messmodelle berechnet hatte.
Beim Löschen ist das Wasser der Freund der Feuerwehr, beim Hochwasser der Feind. Was ist schwieriger zu bewältigen: ein Brand oder eine Überflutung?
In dem Ausmass, wie wir es im letzten Juli erlebten, war das Hochwasserereignis klar anspruchsvoller als ein klassischer Brand.
Die Uerke schwoll auf das 90-fache an und richtete immensen Schaden an. War dies die logische Konsequenz, nachdem die Uerkner 2012 und 2015 kantonale Hochwasserschutzprojekte abgelehnt hatten?
Das denke ich nicht. Das eine ist ein Naturereignis, das aus Wetterkapriolen entsteht. Das andere ist ein politischer Prozess.
Durch den politischen Prozess könnte man doch aber die Schäden eines Hochwassers in dieser Grösse zumindest eindämmen.
Meines Wissens sind die Experten daran, aufgrund der Erkenntnisse des Hochwassers von 2017 einen Entwurf für ein neues Projekt auszuarbeiten.
Werden Sie sich persönlich dafür einsetzen, damit das nächste Hochwasserschutzprojekt angenommen wird?
Meine Funktion ist Feuerwehrkommandant der drei Dörfer Uerkheim, Bottenwil und Wiliberg. Da sollte ich darauf achten, dass ich politisch neutral bin. Meinungen zum Thema gibt es mehrere. Politisieren gehört jedoch nicht zu meinen Aufgaben.
Hat die Gemeinde aus Feuerwehr-Sicht aus dem Ereignis gelernt?
Wir haben zusätzliche geografische Punkte entdeckt, bei denen es mit dieser Menge Wasser Probleme geben kann. Eine wesentliche Erkenntnis war aber, dass wir gesehen haben, dass die Hochwasserkarte des Kantons in Bezug aufs Uerkental ziemlich exakt stimmt. Manche Gefahren waren theoretische Berechnungen, die sich nun als korrekt herausgestellt haben.
Was müsste aus Sicht der Feuerwehr beim nächsten Hochwasser besser gemacht werden?
Bei dieser Menge Wasser ist der Mensch gegen die Natur machtlos. Wir können nur nach Dringlichkeit priorisieren, wenn die Katastrophe schon eingetroffen ist. Wobei dort zuerst geholfen wird, wo Menschen oder Tiere gefährdet sind.
Sie sagten später, die Feuerwehr sei dem Ereignis zunächst mit grosser Hilflosigkeit gegenübergestanden.
Als Feuerwehr wollen wir helfen, in dem Moment mussten wir aber erkennen, dass wir aufgrund des reissenden Stroms durch das Dorf erst mal nichts machen konnten. Mit dieser Wassermenge war noch niemand von uns je konfrontiert gewesen. Oberstes Gebot ist die Sicherheit. Uns blieb nichts anderes übrig als zu warten. Die ersten Rückmeldungen von Bewohnern darauf waren nicht gerade positiv, doch wir hätten viele Liegenschaften gar nicht oder nur unter grosser Gefahr erreicht.
Sie und ihre Leute wären auch in den eigenen Wohnungen gebraucht worden, mussten aber anderswo anpacken.
Mein Haus hat dank den Sandsäcken keinen Wasserschaden erlitten, so war mein Kopf frei für unsere Einsätze. Anders sah es bei vielen Kollegen aus. Sie gingen im ganzen Dorf helfen, hatten zu Hause aber selber das Wasser stehen. Die Männer und Frauen bei der Feuerwehr möchten aber anderen helfen, sie empfinden es nicht als ein Müssen. Diese Einstellung liess sie die Situationen besser bewältigen. Dazu haben wir den Einsatzplan so gestaltet, dass die Leute zwischendurch auch bei sich zu Hause anpacken gehen konnten.
Gleich nach dem Hochwasser folgte eine Welle der Solidarität unter den Einwohnern.
Das haben wir stark gespürt. Einerseits kamen sich die Leute in den Dörfern gegenseitig zu Hilfe, andererseits boten auch uns viele ihre Hilfe an. Das hat uns zusätzlich zusammengekittet. Wir konnten den Freiwilligen darauf die Liegenschaften nennen, deren Bewohner Hilfe brauchten.
Beschäftigt Sie die Katastrophe immer noch?
Meine Einsätze diesbezüglich dauern noch an, es gibt immer noch Administratives zu erledigen. Wir erhalten etwa Anfragen von Anwohnern, die wissen möchten, worauf sie beim Bauen achten müssen. Auch Referate über das Ereignis aus Feuerwehrsicht halte ich hie und da. Der Feuerwehreinsatz im engeren Sinne war am Donnerstag nach dem Unwetter abgeschlossen. Damals veranstalteten wir eine Nachbesprechung mit dem gesamten Corps, wo der ganze Einsatz Revue passiert werden konnte.
Hatte das Hochwasser auch positive Auswirkungen für die Feuerwehr?
Durch die zahlreichen Erlebnisse und Eindrücke in diesen Tagen wurden die Feuerwehrleute stark zusammengeschweisst. Wir konnten 23 neue Feuerwehrleute rekrutieren seit vergangenem Sommer. Möglich, dass den Leuten durch das Hochwasser wieder einmal bewusst wurde, dass es uns braucht.