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Zusammen schaffen wir das: Adele verarbeitet ihre Scheidung

Zusammen schaffen wir das: Adele verarbeitet ihre Scheidung

Auch auf «30», dem neuen Album von Adele, das an diesem Freitag erscheint, geht es wieder traurig zu und her. Aber nicht nur. Es klingt nach Selbstbestärkung und nicht nach Selbstmitleid.

Michael Graber

Ihre Stimme ist ein Ereignis: Adele.  

Bild: Simon Emmett

Adele weint. Sie, die mit ihren Schmachtsongs Millionen Menschen zum Griff zu den Papiertaschentüchern genötigt hatte, schluchzt nun selber. In «My Little Love» erklärt sie ihrem Sohn, warum sie, Adele, nun nicht mehr mit seinem Vater zusammenlebt. Sie macht das mit Sprachaufnahmen, auf denen sie, eben, weint und sich auch bei ihrem Kind entschuldigt: «Es tut mir leid, dass ich dich traurig gemacht habe». Auch das Kind ist zu hören. Und natürlich: Das ist zum Mitweinen gemacht. Taschentücher raus. Im Kollektiv schaffen wir auch diese Krise.

Adele Laurie Blue Adkins, 33, hat in den vergangenen sechs Jahren seit ihrem letzten Album Simon Konecki zunächst geheiratet und sich nach überschaubarer Zeit auch wieder getrennt. Der gemeinsame Sohn Angelo ist mittlerweile 9 Jahre alt. So wie Adele und Konecki geht es vielen. Beinahe jede zweite Ehe wird geschieden. Ihre Geschichte könnte unsere sein. Sie könnte auch hier, gleich nebenan im Nachbarhaus spielen – oder gar in unserem eigenen.

Irgendwann scheint dann auch die Sonne wieder

Das war, nebst dieser einzigartigen Stimme, schon immer das Erfolgsgeheimnis von Adele. Sie wirkte stets, als wäre sie eine von uns. Mit einem Kübel voller Liebeskummer. Kennen wir alle. Und wie sie dann diese Kübel zu pathosgeladenen Balladen zimmerte – irgendetwas zwischen Frustbewältigung und Frustabladen –, war schlicht grossartig. Ihr vorletztes Album «21» ist eine Wucht.

«30» kommt nicht daran heran. Aber es ist besser als «25», das 2015 erschienen ist. Und es ist mindestens ein Wüchtchen. Gerade im Mittelteil der Platte ist die musikalische Tränendrückmaschine angenehm runtergefahren – mit «Can I Get It» ist da sogar ein waschechter Pop-Song. Und «OMG» liebäugelt im Minimum mit der Tanzfläche. Allgemein ist die neue CD sehr vielfältig ausgefallen. Zwar kreist Adele textlich immer um die Liebe (beziehungsweise um deren Scheitern), aber sie lässt das nicht selbstmitleidig klingen, sondern es wirkt wie eine Platte zur Selbstbestärkung. Ein Erinnern daran, dass nach dem Regen irgendwann auch mal wieder die Sonne scheint. Auch musikalisch berührt sie locker etwas R’n’B und gemahnt einmal an Frank Sinatra und öfter an Amy Winehouse.

Diese Stimme turnt so locker herum

Aber klar, es gibt sie auch, die mit viel Bombast angerührten Balladen. Streicher inklusive. Und auch Gospelchöre dürfen nicht fehlen. Was diese Songs vor einer Überdosis Pathos rettet, ist die Stimme von Adele. Die voller Soul alles auslotet, was es da auszuloten gibt. Durchaus mutig und von einem beeindruckenden Umfang. Da macht sie gar Zeitgenossen sprachlos, die mit all diesen pudergezuckerten Herzschmerzsongs herzlich wenig anfangen können. Wie sie in «Easy On Me» auch in den höchsten Lagen elegant und kraftvoll bleibt, macht diesen Song eindringlich.

48 Millionen verkaufte Platten weltweit sind die logische Folge. Die Frau mit der aussergewöhnlichen Stimme ist mit ihren gewöhnlichen Sorgen längst zur erfolgreichsten Künstlerin der Gegenwart geworden. Keiner und keine kommt an Adele ran und vorbei schon gar nicht. Und genau hier liegen auch die grössten Stolperfallen auf dem Weg der Jederfrau. Ihre Albumpräsentation hielt sie hoch über Los Angeles, im Publikum sassen Stars wie Leonardo DiCaprio. Davor gab sie noch Oprah Winfrey ein Interview, bei dem sie in einem unglaublich adretten Hosenanzug in einem sehr akkuraten Rosengarten einen Einblick in ihr Seelenleben gab. Ein Abend voller Exklusivitäten.

Vorsicht vor Abnutzungserscheinungen

Das alles kratzt schmerzlich an der schönen Illusion der Normalität, die wir von Adele hatten. Schon bei den gefeierten Konzerten 2016 in der Schweiz war spürbar, dass es halt tatsächlich nur eine Illusion ist – aber damals versteckte es Adele zumindest noch charmant. Natürlich, all das schmälert das persönliche Elend nicht, das mit einer Scheidung einhergeht, aber es lässt es für uns Jedermänner etwas weiter wegrücken – zuerst die Schmachtfetzen singen und dann ab zum Lachsbrötchen.

Das kann zu Abnutzungserscheinungen führen. Im schlimmsten Fall klingt der Liebeskummer dann plötzlich etwas hohl und selbstmitleidig. Davon ist Adele noch ein gutes Stückchen weg. Zum Glück.

«30» steht hoffentlich auch für einen Übergang in ein neues Leben – die neue Liebe hat sie mittlerweile gefunden. Im Idealfall gibt es für die folgenden vier Platten gar keinen Grund mehr für Liebeskummer und damit verbundene Schmachtballaden mit Sehnsuchtsklavier. Für Adele wäre das eine gute Nachricht. Für uns alle wäre es eigentlich himmeltraurig. Aber vielleicht würde es ja auch fantastisch klingen, wenn sich Adele einfach mit uns freut. Sich gemeinsam freuen soll mindestens so schön sein wie miteinander trauern.

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