«Zwischen 100 und 200 Millionen»: Burgherr will Fördergelder statt Billag

ZUR PERSON

Thomas Burgherr wurde am Nationalfeiertag 1962 geboren. Er wohnt in Wiliberg, ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Burgherr ist eidg. dipl. Zimmermeister, Geschäftsführer, Eigentümer und VR-Präsident der Burgherr Moosersäge AG in Hintermoos LU. Zudem ist er Dozent an der Höheren Fachschule Holz in Biel. Von 1992 bis 2000 war der SVP-Mann Vizeammann in Wiliberg und zwischen 1997 und 2015 Grossrat. Im Herbst 2015 schaffte er den Sprung in den Nationalrat; dort ist er Mitglied der Staatspolitischen Kommission. Seit 2012 präsidiert er die SVP des Kantons Aargau.

Herr Burgherr, wie überrascht waren Sie, als SP-Ständerätin Pascale Bruderer ihren Rücktritt angekündigt hat?

Sehr. In zweierlei Hinsicht. Erstens, dass sie es so früh macht, wir haben erst die Hälfte der Legislatur hinter uns. Zweitens war für mich Pascale Bruderer immer eine Vollblutpolitikerin, ich habe nie mit einem Rücktritt gerechnet. Sie ist ja noch viel jünger als ich. Andererseits ist sie ja schon rund 20 Jahre in der Politik.

Für die Aargauer SVP auch eine gute Nachricht?

Pascale als Person mag ich sehr. Unser Umgang in Bern ist freundschaftlich. Andererseits möchte ich als bürgerlicher Parteipräsident in Bern eine ungeteilte Standesstimme. Vielfach heben sich ja Philipp Müller (FDP-Ständerat, die Red.) und Pascale Bruderer auf. Aus dieser Optik gibt es eine neue Situation bei den Ständeratswahlen im übernächsten Herbst, das kommt uns entgegen.

Was ist Ihre Strategie?

Wir haben schon länger beschlossen, dass wir bei den Ständeratswahlen antreten, das wird von uns als wählerstärkste Partei selbstverständlich erwartet. Wir haben mit verschiedenen Leuten Gespräche geführt. Der Prozess ist also vom Rücktritt nicht berührt. Die Ausgangssituation ist einfach eine andere.

Ueli Giezendanner verlor 2011 gegen Bruderer, er hätte grosse Chancen.

Ueli hat klar gesagt, dass er als Nationalrat nicht mehr antritt. Vom Ständerat sagte er nichts. Klar hätte er bei der Wahl eine sehr gute Chance und wäre ein überaus guter Ständerat. Aber ich rede heute nicht über die Zukunft von Herrn Giezendanner und über Personen, die wir ins Rennen schicken. Das müssen diese Personen erst selbst einmal entscheiden.

Wann will Ihre Partei entscheiden?

Ziel ist, dass wir im Januar 2019 die Liste für den Nationalrat präsentieren. 2015 haben wir unseren damaligen Ständeratskandidaten …

… das war Hansjörg Knecht …

… ja, genau – den haben wir etwas früher präsentiert. Es kann also sein, dass die Ständeratskandidatur ein paar Wochen davor, Ende dieses Jahres, klar ist. Termine haben wir noch keine festgelegt.

Ein Thema wird dann ein bürgerlicher Schulterschluss.

Wir haben schon in diversen Wahlen versucht, einen bürgerlichen Schulterschluss zustande zu bringen, teilweise erfolgreich, teilweise nicht. Gerade bei den Ständeratswahlen war das schwierig. Für mich unverständlich hat 2011 die Handelskammer Christine Egerszegi unterstützt und nicht Giezendanner als Vollblut-Unternehmer. Aber jetzt schauen wir in die Zukunft. Als Parteipräsident würde ich es sehr begrüssen, wenn wir uns im bürgerlichen Block zu einer Kandidatur entschliessen könnten, insbesondere mit Blick auf einen allfälligen zweiten Wahlgang. Wir haben ein grosses und qualitativ gutes Personal-Reservoir. Wir können die Nationalratsliste wirklich sehr gut besetzen. Mir persönlich ist es wichtig, dass wir unser Milizsystem hochhalten. Unser Wohlstand ist zu einem grossen Teil dem Milizsystem zu verdanken. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir Leute auf der Liste haben, die ein Standbein in der Wirtschaft haben, Unternehmer beispielsweise. So fliessen Impulse direkt von der Wirtschaft in die Politik.

Lassen Sie uns über «No Billag» sprechen. Aber zunächst: Wie sieht Ihr Medienkonsum aus?

Am Morgen hole ich als Erstes die Zeitungen im Briefkasten …

…ich hoffe, auch das «Zofinger Tagblatt»?

Das «Zofinger Tagblatt» ist die erste Zeitung, die ich lese. Ich habe zudem die «Aargauer Zeitung» abonniert. Das sind die beiden Zeitungen, die ich in Papierform lese. Zum täglichen Konsum gehören auch die NZZ und die «Basler Zeitung», Letztere ist für mich eine wichtige Zeitung, ich finde, sie ist unabhängig. Ich lese auch gerne Magazine, sonntags gehört die «Weltwoche» dazu, ebenfalls ein unabhängiges Blatt. Fernsehen schaue ich nicht so viel, wenn, dann Informationssendungen oder Dokus. Ab und zu vielleicht einen «Tatort» am Sonntagabend. Radio höre ich im Geschäft und im Auto.

Schütten wir mit einem Ja zu «No Billag» nicht das Kind mit dem Bade aus? Um die Freiheit in der Schweiz zu wahren, brauchen wir Öffentlichkeit und Plattformen zum Austausch von Meinungen. Das schneiden wir einfach aus der Verfassung raus.

Zunächst: Mich erstaunt, dass bei der SRG kein Plan besteht, was sie im Fall eines Ja zu «No Billag» unternimmt. Zurzeit wird den Leuten Angst gemacht: Bei einem Ja müsst ihr auf ganz vieles verzichten, das Lauberhornrennen, den «Samschtig-Jass», «10 vor 10» und so weiter. Ich sehe es anders. Die SRG wird nach einem Ja weiterleben, einfach auf einem anderen Niveau. Die SRG hat mit den Zwangsgebühren heute zu viel Geld zur Verfügung. Ein Beispiel: Vor einer Weile war bei mir ein «Tagesschau»-Team zu Besuch. Die kamen zu dritt. Der Chef – was ich sehr schätzte – der Kameramann und einer, der das Material trug. Sie waren dreieinhalb Stunden bei mir im Betrieb. Wenn jemand von «Tele M1» kommt, dann taucht eine Person auf, und es geht effizienter. Klar, die Qualität ist nicht genau die gleiche. Ich will aber damit sagen: Wenn man nicht mehr so viel Geld zur Verfügung hat, dann muss man sich halt entsprechend ausrichten. Ich habe zwar keinen Business-Plan, aber ich bin sicher: Es wird weitergehen mit der SRG, einfach auf einem anderen Niveau. Die Privatmedien haben dann im Markt auch eine bessere Chance. Ich würde begrüssen, wenn sich die SRG auf nationale und internationale Themen fokussieren würde und die regionalen Themen den Regionalmedien überlässt. Zudem müsste ein Austausch stattfinden: Die Privatmedien könnten nationale und internationale Themen von der SRG übernehmen, die SRG umgekehrt regionale Themen von den Regionalmedien. Das wäre ein gangbarer Weg.

Es wäre nicht mehr möglich, ein Programm zu betreiben. Es kommt zum Lichterlöschen.

Warum? Klar, Geld muss dann verdient werden. Die SRG muss sich dann auf dem Markt bewähren. Sie hat eine hervorragende Ausgangslage. Ihre Infrastruktur bleibt, und sie hat Mitarbeiter mit gutem Knowhow. Damit und mit guten Ideen wird die SRG weiterbestehen.

Zurück zu meiner vorletzten Frage: Muss der Staat nicht dafür sorgen, dass er eine Öffentlichkeitsplattform schafft, um die demokratische Auseinandersetzung zu garantieren? Kann das der Markt wirklich übernehmen?

Ein Teil kann der Markt übernehmen, aber richtig, in gewissen Bereichen reicht das nicht aus. Wir müssen darüber diskutieren, in welchen Bereichen Fördergelder notwendig sind; ich denke an einen Abstimmungssonntag. Heute wird von mittags um zwölf Uhr bis abends um acht Uhr darüber berichtet; Gewinner und Verlierer kommen zu Wort – das ist der beste Staatskundeunterricht, den man sich vorstellen kann. Sicher kann man damit nicht viel Geld verdienen. Dafür könnte der Staat Gelder sprechen, damit solche Sendungen weiterhin möglich sind.

So einfach ist das nicht. Der Bund subventioniert nach einem Ja zu «No Billag» keine Radio- und Fernsehstationen, das steht in der Initiative.

Stationen ja, Stationen dürfen nicht mehr subventioniert werden, einzelne Themenfelder oder -formate schon.

Sie sprechen von Fördergeldern. Von wie viel – über den Daumen gepeilt – sprechen wir?

Zwischen 100 und 200 Millionen Franken. Damit kämen wir auch der Kultur des Landes mit seinen vier Sprachen entgegen. Klar: Einfach wird es bei einem Ja nicht, dann braucht es Ideen. Einfach zur Tagesordnung übergehen können wird man nicht. Dann sind wir gefordert. Aber das ist in der Wirtschaft jeden Tag so.

Die Initiative ist sehr radikal und geht einfach mal mit dem Rasenmäher durch. Ist das der schweizerische Weg?

Unsere Partei hat in Bern vorgeschlagen, die Billag-Gebühren auf 200 Franken zu senken. Leider sagte das Parlament Nein. Deshalb sind wir in der jetzigen Situation. Man muss sagen: In den letzten Jahren war es nicht möglich, über den Service public der SRG zu debattieren und diesen anzupassen. Im Leutschenbach sassen sie wirklich auf dem hohen Ross. Es war auch nicht möglich, über die Gebühren zu diskutieren, das war in Stein gemeisselt. Die Folge davon ist «No Billag».

Profitieren würde vor allem Christoph Blocher. Er hat schon einen Fuss in der Medienbranche und Milliarden in der Kriegskasse. Er kann das Vakuum füllen, das bei einem Ja zu «No Billag» entsteht, Resultat wäre eine stark SVP-getriebene Publizistik. Ist das im Sinne der Schweiz?

Wir kennen das aus dem Ausland, Sie sprechen beispielsweise Italien mit Berlusconi an. In der Schweiz ist das nicht möglich, das wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht, und ich bin überzeugt, dass auch Christoph Blocher solche Verhältnisse nicht will, das hat er auch schon deutlich gesagt.

Gesagt hat er schon viel. Immerhin hat er vor ein paar Monaten ein Gratiszeitungs-Imperium gekauft und ist in den Startlöchern.

Ich bin 100 Prozent überzeugt davon, dass es nicht die Absicht Blochers ist, beispielsweise TV-Stationen zu kaufen und die Schweiz zu «berlusconisieren». Das würde in der Schweiz auch nicht funktionieren. Eine solche Entwicklung fände ich persönlich auch sehr schlecht.

Wären Sie bereit, für ein Abo zu zahlen, beispielsweise für die «Tagesschau»?

Ja, ich wäre bereit, Informationssendungen zu abonnieren, aber auch Unterhaltungsformate. Die Kosten dafür? Vielleicht im Bereich von 200 bis 400 Franken. Aber: Es ist mir freigestellt, was ich will und was nicht. Das ist das grundsätzlich Störende an den Billag-Gebühren: Dass man sie zahlen muss, ob man das Angebot nutzen will oder nicht. Eine Gebühr ist immer von einer Leistung abhängig. Ich parke das Auto und zahle eine Parkgebühr. Ich entsorge den Abfall und zahle eine Abfallgebühr. Als Unternehmer stört mich besonders, dass ich die Gebühr doppelt bezahlen muss. Ab 500 000 Umsatz muss ja jeder Betrieb Billag-Gebühr abliefern. Dies, obwohl die Mitarbeiter in der Regel nicht TV schauen oder Radio hören, da sie nämlich arbeiten.

Wie viel macht das bei Ihnen aus?

Ich habe extra nachgeschaut. Bei einem Nein zur Initiative muss ich in meiner Firma ab 2019 74 Prozent mehr bezahlen. Allgemein ausgedrückt: Bis jetzt zahlten die Unternehmen rund 40 Millionen Franken, ab 2019 würden es etwa 170 Millionen. Eine Vervierfachung. Das geht nicht.

Interessant ist aber, dass unter Gewerbetreibenden ein Ja zu «No Billag» überhaupt kein Konsens ist. Im Gegenteil: Der Aargauer Gewerbeverband empfiehlt – trotz Ihren Einwürfen – ein Nein.

Ich war bei diesem Entscheid dabei. Die Diskussion war gut und offen. Das Resultat ist für mich eher unverständlich, aber ich akzeptiere es selbstverständlich.

Warum unverständlich? Offenbar überwiegen auch beim Aargauer Gewerbeverband die Argumente, dass für unsere Demokratie ein öffentlich-rechtliches Medienhaus zentral ist.

Wir Gwerbler müssen uns nach der Decke strecken, wir müssen immer effizienter werden, der Kostendruck wird überall grösser. Bei der SRG schauen wir einfach zu. Wir sagen ja zu den hohen Löhnen – Durchschnittslohn 107 000 Franken – und wir sagen ja zu den hohen Ausgaben, die sie haben. Nur noch ein Beispiel dazu: Bei der Wahl von Ignazio Cassis in den Bundesrat waren 238 Leute von der SRG im Bundeshaus. In Sotschi waren 380 Leute im Einsatz, zwei SRG-Mitarbeiter pro Sportler. Klar: Ich kann die grundsätzlichen Argumente nachvollziehen. Aber es wird jetzt auch mit der Angst gespielt und zu schwarz gemalt. Es wird gesagt, wenn ihr Ja zu «No Billag» sagt, gibt es die SRG nicht mehr. Man müsste sagen: Wenn ihr Ja sagt, gibt es die SRG in der heutigen Form nicht mehr, aber es geht weiter mit ihr.