
100 Jahre Schwingklub Zofingen: Ein Miteinander für Sport und Tradition
Draussen tobt ein Schneesturm, die Strassen sind schneebedeckt. Wir schreiben den 9. Februar 1919. Trotz garstigem Wetter finden 57 Schwinger und Schwingerfreunde den Weg ins Restaurant Raben in Zofingen. Sie bringen zu Ende, was Emil Bachmann am 31. Januar in die Wege geleitet hat und gründen den Schwingklub Zofingen und Umgebung (SKZ). 43 Aktivmitglieder und 14 Passive zählt der Verein an jenem denkwürdigen Tag vor exakt 100 Jahren. Im kleinen Rahmen feiern heute Menschen, die den Club in den letzten Jahren geprägt haben oder aktuell für ihn wirken, die Gründung – zur selben Zeit am selben Ort, um 15 Uhr im Raben.
Amtierende Präsidentin des Traditionsvereins ist Silvia Wilhelm. 2004 wurde die Safenwilerin gewählt. Erstmals überhaupt übernahm in der Deutschschweiz eine Frau das Zepter in einem Schwingklub. Silvia Wilhelm fühlte sich von den männlichen Kollegen von Anfang an ernst genommen. Schon damals wollte sie sich nicht herausheben lassen, auch heute sucht sie es nicht, aufgrund ihres Amtes im Fokus zu stehen. «Ein Verein ist wie ein Orchester. Die beste Dirigentin nützt nichts, wenn die Kesselpauke fehlt», sagt sie, «es braucht jeden, es ist ein Miteinander.»
Wie eine grosse Familie
Jenes gemeinsame Schaffen für den Schwingsport und die gute Kameradschaft zeichnet den SKZ seit 100 Jahren aus. «Wir sind ein gesunder Club auf allen Stufen, in allen Bereichen», beschreibt Silvia Wilhelm den Verein. Ein stabiler Vorstand ohne Vakanzen, regelmässige Kranzgewinne von Aktivschwingern, talentierte und motivierte Jungschwinger, Funktionäre mit Herzblut, erfahrene Kampfrichter – all dies seien Bausteine, die den SKZ seit Jahren stetig vorwärtsbringen. Heute verfügt der Verein über 17 Aktivmitglieder, 25 Ehrenmitglieder, 28 Freimitglieder und 82 Passivmitglieder. Etwa 12 Aktivschwinger treffen sich regelmässig zum Training im Schwingkeller in der Stadtsaalturnhalle, dazu gesellen sich bis 25 Jungschwinger. Die Pflege, Förderung und Verbreitung des Schwingwesens im Vereinsgebiet ist der statuarisch festgelegte Zweck des SKZ, der sich zudem die Förderung der heimatlichen und volkstümlichen Bräuche und Spiele auf die Fahne schreibt. «Das Traditionelle ist es, was mir am Schwingen so wichtig ist und mich seit kleinauf begeistert», sagt Silvia Wilhelm. Sie stand schon als Mädchen mit ihrer Mutter oft am Sägemehlring und beobachtete ihren Vater bei der «Arbeit», amtete später als Helferin an Klubschwingfesten und war zwei Jahre Vereinskassierin, ehe sie 2004 zur Präsidentin des SKZ wurde.
«Früher war es selbstverständlich, dass die ganze Familie eines Schwingers bei Anlässen mithilft. Das hat sich heute etwas verloren», sagt sie. Die Schwinger und Schwingfans seien zwar immer noch eine Art grosse Familie, aber die Helfersuche für Veranstaltungen wie den Niklaus-Thut-Schwinget, den der SKZ seit 1980 32-mal durchgeführt hat, sei meist ein Kraftakt, so Silvia Wilhelm. «Ihr» Verein ist veranstaltungserpropt. 2005 fand in Zofingen die Eidgenössische Abgeordnetenversammlung statt. Das grösste und bedeutendste Fest, das der SKZ bislang organisierte, war der Eidgenössische Nachwuchsschwingertag in Aarburg 2015. 3600 Zuschauer füllten die Arena, die Bilanzsumme betrug mehr als eine halbe Million Franken. Der SKZ steht auf gesunden finanziellen Beinen – und im Jubiläumsjahr vor grossen Herausforderungen. Am
26. Mai lädt der Verein zum 113. Aargauer Kantonalschwingfest auf dem Thutplatz. Am Zofinger Stadtfest vom
30. August bis 1. September bringt man der Bevölkerung mit einem Schwingerchalet den Verein näher und im Oktober folgt eine Jubiläumsfeier. Danach bleibt Zeit zum «Feiern und Geniessen», wie es Silvia Wilhelm nennt: Im Herbst sind alle Mitglieder zu einer Vereinsreise ins Berner Oberland eingeladen.
Schwingerkönig und Obmänner
Dort werden auch Momente kommen, in denen man an sportliche Erfolge zurückdenken kann. Für den grössten in der Vereinsgeschichte war Silvia Wilhelms Vater Max Widmer besorgt. 1958 wurde der Oftringer am «Eidgenössischen» in Freiburg Schwingerkönig. Der Empfang, den er danach in seiner Wohngemeinde erlebte, bleibt vielen SKZ-Mitgliedern ebenso unvergessen. Im letzten August, fast 60 Jahre nach Widmers Triumph, schaffte der Rothrister Yanik Bucher einen weiteren Grosserfolg für den Schwingklub aus der Thutstadt. Der 15-Jährige eroberte am Eidgenössischen Nachwuchsschwingertag im Jahrgang 2003 den Sieg. «Der Sport hat sich in all den Jahren kaum verändert», findet Silvia Wilhelm, «die Schwünge sind ja die selben geblieben.»
Das «Drumherum» habe sich aber modifiziert und fordere Sportler und Funktionäre, sagt die 54-Jährige, die ihr Präsidentenamt 2020 an Martin Anderegg abgeben wird. «Dass ein Schwinger seine Trinkflasche zu Werbezwecken ständig bei sich trägt oder man bei einem Zelt am Fest die Beschriftung abkleben muss – das gab es früher nicht, als das Schwingen noch jungfräulicher war», sagt Silvia Wilhelm mit einem Schmunzeln. Im Sog der Professionalisierung und Kommerzialisierung entstanden Reglemente und per 2017 erfolgte die offizielle Aufnahme des Eidgenössischen Schwingerverbandes in den Kreis von Swiss Olympic. Das mediale Interesse am urchigen Sport hat zugenommen, was für Silvia Wilhelm Positives und weniger Positives birgt. «Als meine Söhne mit Schwingen begannen, wurden sie in der Schule komisch angeschaut. Heute ist es völlig normal, diesen Sport zu betreiben.» Dank der Präsenz in Fernsehen und Zeitung würden auch Kinder aufs Schwingen aufmerksam, was der Nachwuchsförderung diene.
Aus dem Schwingklub Zofingen traten aber nicht nur aus sportlicher Sicht mit elf Eidgenossen – unter ihnen nebst Max Widmer Hans Pauli, Peter Schär und Patrick Räbmatter – herausragende Persönlichkeiten und Kranzgewinner hervor. Im Eidgenössischen Schwingerverband liessen sich Emil Bachmann (1941), Hans Bäni (1979) und Hans Pauli (2002) zum Obmann wählen. «Drei Obmänner aus dem gleichen Klub in 100 Jahren ist einmalig und wird noch lange unerreicht bleiben», steht in den Historien des SKZ. Die Funktionärsarbeit heute sei im Zuge der Digitalisierung mit jener von einst kaum zu vergleichen, sagt Silvia Wilhelm. «Früher kamen Informationen aus den Verbänden per Post und man gab auch so Antwort, heute ist mit Email, SMS und Sozialen Medien alles schneller und es wird erwartet, dass auch die Reaktion schneller erfolgt.» Das erhöhe den Druck auf die ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder.
Damit der Schwingklub Zofingen, einer von acht im Kanton, die nächsten 100 Jahre in Angriff nehmen kann, seien alle gefordert. Ob Präsidentin oder Jungschwinger, Harassenschlepper am Schwingfest oder «Recheler» am Sägemehlkreis, Aktiver oder Ehrenmitglied, Verfasser von Jubiläumsschriften oder Lebendpreisspender: «Für einen gesunden Verein braucht es wirklich alle», sagt Silvia Wilhelm.
Meilensteine SK Zofingen
31. Januar 1919: Vorbesprechung der Vereinsgründung im Raben Zofingen
9. Februar 1919: Geburtsstunde des Schwingklubs Zofingen
1941: Emil Bachmann wird Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV)
1958: Max Widmer aus Oftringen wird Eidgenössischer Schwingerkönig
1979: Hans Bäni aus Uerkheim wird Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes
1980: Eidgenössischer Kranz für Hans Pauli aus Oftringen in St. Gallen
1980: Zusammenführung des Frühlings- und Herbstschwingets zum Niklaus-Thut-Schwinget
1993: Die Zofinger Stadträtin Dilli Schaub präsidiert das OK des Aargauischen Kantonalschwingfestes
1995: Eidgenössischer Kranz für den Aarburger Peter Schär in Chur
2002: Hans Pauli wird Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes
2004: Silvia Wilhelm aus Safenwil wird Präsidentin des Schwingklubs Zofingen und ist seither im Amt
2005: Eidgenössische Abgeordnetenversammlung des ESV in Zofingen
2015: Eidgenössischer Nachwuchsschwingertag in Aarburg
2016: Kranz für den Uerkner Patrick Räbmatter am «Eidgenössischen» in Estavayer-Le-Lac
2018: Yanik Bucher aus Rothrist siegt am Eidgenössischen Nachwuchsschwingertag in Landquart
26. Mai 2019: 113. Aargauer Kantonalschwingfest in Zofingen




