
Freispruch im Prozess um den Vierfachmord von Rupperswil: Forensiker der Kantonspolizei trifft keine Schuld
Vor mehr als viereinhalb Jahren hat Thomas N. in Rupperswil vier Menschen brutal getötet. Der Täter ist letztinstanzlich verurteilt worden und wird verwahrt. Trotzdem ist es am Montag vor dem Bezirksgericht Baden erneut zu einem Prozess im Zusammenhang mit dem Vierfachmord gekommen. Auf der Anklagebank sass der Dienstchef Forensik der Kantonspolizei Aargau.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 64-Jährigen mehrfache Amtsgeheimnisverletzung und mehrfache versuchte Anstiftung zum falschen Zeugnis vor. Der Polizeioffizier soll nach dem Vierfachmord Täterwissen ausgeplaudert haben.
Er soll zwei Personen aus seinem familiären Umfeld erzählt haben, dass Thomas N. den Opfern die Kehlen durchschnitten hat. Eine Information, welche die Strafverfolgungsbehörden bis zum ersten Prozess gegen Thomas N. nicht publik machten. Die Medien berichteten lediglich über Stich- und Schnittverletzungen. Weitere Details wurden bewusst nicht kommuniziert.
Es wurden mehrere Verfahren eröffnet
Doch im Laufe der Ermittlungen erwähnten Personen plötzlich, sie hätten gehört, dass den Opfern die Kehlen durchschnitten worden seien. Die Staatsanwaltschaft wurde hellhörig und befragte mehrere Personen. Einer von ihnen, nennen wir ihn Stephan, erzählte, er habe an einer Familienweihnachtsfeier – wenige Tage nach dem Vierfachmord – weitererzählt, wie die Opfer getötet worden waren.
Er habe die Information von seiner Schwiegermutter oder von seiner damaligen Frau. Pikant: Die Schwiegermutter ist die Lebenspartnerin des Forensikchefs; Mutter und Tochter sagten jedoch aus, sie hätten ihrem Schwiegersohn beziehungsweise Ehemann nie erzählt, dass den Opfern die Kehlen durchschnitten worden seien.
So geriet zunächst auch Stephan ins Visier der Justiz. 2018 stand er wegen falscher Zeugenaussagen vor dem Bezirksgericht Lenzburg. Er wurde nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» freigesprochen.
Für den Forensikchef wiederum bedeutete Stephans Freispruch, dass sein Verfahren, das zwischenzeitlich sistiert worden war, wieder an die Hand genommen wurde.
Neben der Amtsgeheimnisverletzung wirft die Staatsanwaltschaft dem Polizeioffizier vor, er habe versucht, Stephans Sohn zu einer falschen Aussage anzustiften. Er solle bei der Befragung vage bleiben und sagen, dass er nichts mehr genau wisse, so die Anklage. Die Staatsanwaltschaft verlangte für den Beschuldigten eine bedingte Geldstrafe von 270 Tagessätzen und eine Busse von 3000 Franken.
Der Verteidiger des Beschuldigten verlangte einen vollumfänglichen Freispruch für seinen Mandanten. Es bleibe im Dunkeln, wer auf welchem Weg welche Insiderinformationen erhalten habe. Es könne beispielsweise auch sein, dass jemand ein Telefonat belauscht habe.
Er war nach dem Mord rund um die Uhr im Einsatz
Der Forensikchef beantwortete die Fragen des Gerichtspräsidenten ruhig. Er wirkte gefasst und führte aus, er sei gerne Polizist, lebe für seinen Beruf, den er seit 40 Jahren ausübe. Am 21. Dezember 2015 habe er am Mittag nach Rupperswil ausrücken müssen. Danach habe er bis am 24. Dezember durchgehend gearbeitet.
Nach Hause sei er nur, um zu duschen und die Kleider zu wechseln. Es stimme, er sei an vorderster Front dabei gewesen und habe zu den Ersten gehört, die über neue Erkenntnisse informiert wurden. Ihm sei aber von Anfang an klar gewesen, dass es sich bei der Tötungsart um Täterwissen und damit um geheime Informationen handle. Er habe nur mit Fachpersonen aus dem beruflichen Umfeld über Details gesprochen.
Trotzdem kann auch der Forensikchef nicht ausschliessen, dass die Information, dass den Opfern die Kehlen durchschnitten worden waren, von ihm kam. Er habe in dieser Zeit viel telefoniert. Und obwohl er immer – nicht nur beim Fall Rupperswil – versucht habe, sicherzustellen, dass niemand mithören kann, könne er nicht ausschliessen, dass er einmal unaufmerksam war. Falls dem so wäre, bedaure er das sehr.
Vor dem Bezirksgericht Baden haben am Montag erneut mehrere Zeugen ausgesagt. Das Gericht würdigte deren Aussagen und kam zum Schluss, dass keine Seite glaubhafter als die andere sei. Das führte letztlich zu einem vollumfänglichen Freispruch nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten».
Nur weil die Art der Tötung bekannt geworden sei, bedeute das noch nicht, dass der Sachverhalt der Staatsanwaltschaft sich so abgespielt habe, sagte der Gerichtspräsident. Es genüge nicht, zu sagen, es sei gar nicht anders möglich.