Gericht bestätigt: Altersguthaben müssen zur Schuldentilgung genutzt werden

Wer Sozialhilfe bezieht, kann verpflichtet werden, sein Freizügigkeitsguthaben aufzulösen und damit zumindest einen Teil der entstandenen Schulden bei der Gemeinde zurückzuzahlen. Das Verwaltungsgericht bestätigt in einem Urteil vom 6. Mai seine diesbezügliche Rechtssprechung. Das Freizügigkeitsguthaben diene zwar grundsätzlich der Deckung des Lebensunterhalts, werde es aber aufgelöst, so bestehe kein besonderer Schutz dieses Kapitals. So die Begründung des Gerichts.

Die Praxis ist umstritten. Im letzten Herbst berichteten «Beobachter» und «Kassensturz» über mehrere Betroffene aus dem Aargau. Sie bezogen Sozialhilfe, wurden dann von ihrer Gemeinde zur Frühpensionierung und damit dem Bezug ihrer Freizügigkeitsleistungen gedrängt. Mit dem bezogenen Geld mussten sie ihre Sozialhilfeschulden ganz oder teilweise der Gemeinde zurückerstatten. Über Jahre Erspartes war damit weg, die ehemaligen Sozialhilfebezügerinnen wieder auf Ergänzungsleistungen angewiesen.

Regierungsrat prüft das Vorgehen

Therese Dietiker (EVP) und weitere Grossratsmitglieder von SP, Grüne, GLP und Die Mitte wollten das Vorgehen per Motion unterbinden. Freizügigkeitsleistungen seien als Altersvorsorge zu definieren, womit sie für die Rückerstattung der Sozialhilfe nicht zur Verfügung stehen, stellten sie klar. Der Regierungsrat lehnte die Motion zwar ab, war jedoch bereit, die Forderung zu prüfen. Dem kam der Grosse Rat nach, Anfang Mai überwies er die Motion als unverbindlicheres Postulat.

Eine Ausnahme von der Rückerstattungspflicht müsste in einem Gesetz oder in einer Verordnung statuiert werden, hält das Verwaltungsgericht fest. Das hat der Grosse Rat damit angestossen. Doch umgesetzt ist der Vorstoss noch nicht, die Gemeinden, die Freizügigkeitsleistungen zur Tilgung von Sozialhilfeschulden verlangen, stützen sich weiterhin auf die Rechtssprechung des Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Und dieses bestätigt mit dem Urteil seine Praxis.

Leistungen bezogen, aber nicht zurückbezahlt

Die Beschwerdeführerin bezog während rund neun Jahren Sozialhilfe, insgesamt über 160’000 Franken. Wegen gesundheitlicher Beschwerden arbeitete sie nicht. Die Invalidenversicherung attestierte ihr, für angepasste Tätigkeiten, volle Arbeitsfähigkeit. Die Frau stand kurz vor der Pensionierung, die Gemeinde hielt sie deshalb nicht dazu an, eine Stelle zu suchen. Stattdessen wurde von ihr verlangt, entweder zwei bis drei Stunden pro Tag Freiwilligenarbeit zu leisten oder das Freizügigkeitsguthaben von rund 130’000 Franken zu beziehen, sich von der Sozialhilfe abzulösen und rund 65’000 Franken der bezogenen Sozialhilfe zurückzuzahlen.

Die Beschwerdeführerin entschied sich laut Gericht für den Bezug des Freizügigkeitsguthaben, ihre Schulden wollte sie aber nicht zurückbezahlen.

Kein Rechtsanspruch auf Verwendungszweck

Wer wieder zu Geld kommt, muss grundsätzlich seine Sozialhilfe zurückerstatten. Das gilt auch, wenn die verbesserte wirtschaftliche Situation durch den Bezug von Pensionskassengelder eintritt, hält das Gericht fest. Die Rückerstattung sei im vorliegenden Fall zumutbar gewesen, insbesondere sei die betroffene Frau nicht zur Auflösung gedrängt worden, die geforderte Summe tragbar erschienen.

Schliesslich besteht kein Rechtsanspruch darauf, das ausbezahlte Freizügigkeitsguthaben einzig zur Deckung des Lebensunterhalts im Alter verwenden zu können, teilt das Gericht mit. Das Geld könne auch für Anderes ausgegeben werden, auch zur Tilgung von Schulden – und darum sei es auch zulässig, wenn Sozialhilfe zurückgefordert werde.