Bäuerin Colette Basler: «Ich möchte bei den Linken das Verständnis für die Landwirtschaft wecken»

Zur Person

Colette Basler, geboren 1973, ist seit 2017 für die SP im Aargauer Grossen Rat, seit 2021 als Co-Fraktionspräsidentin. Basler ist ausgebildete Lehrerin und Schulleiterin. 2007 übernahm sie den elterlichen Betrieb in Zeihen, unter anderem mit 33 Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche, 40 Kühen und 20 Aufzuchtrindern. Bis 2017 arbeitete Basler zudem als Oberstufenlehrerin, seit letztem Jahr ist sie Kommunikationsverantwortliche bei einem Start-up. Sie ist weiter Präsidentin der Schulpflege Zeihen und Vizepräsidentin des Schulpflegepräsidenten-Verbands. Colette Basler ist verheiratet und hat zwei Kinder. (eva)

 

Zeihen liegt genau zwischen Zürich und Basel. Die Autobahn ist in der Nähe, die SBB-Linie zwischen den beiden Städten geht hier durch. Auf dem Hof der Familie Basler ausserhalb des Dorfs könnte die Stadt aber nicht weiter weg sein. Die Aussicht ist unverbaut, der Blick geht weit in alle vier Himmelsrichtungen. Ausser gelegentlichem Muhen aus dem Kuhstall und dem Zirpen von Vögeln ist es ruhig. Hier ist Colette Basler aufgewachsen, heute führt sie mit ihrer Familie den Milchbetrieb. Seit Anfang Jahr ist sie Co-Fraktionspräsidentin der SP im Grossen Rat, seit kurzem die einzige SP-Vertretung im Vorstand des Bauernverbands Aargau.

Sie wurden am 13. April in den Vorstand des Bauernverbands Aargau (BVA) gewählt. Warum braucht es Sie in diesem Gremium?

Colette Basler: Erstens, weil ich ein breites landwirtschaftliches Wissen habe und gut vernetzt bin. Zweitens bin ich davon überzeugt, dass gemischte Teams besser funktionieren. Jetzt sind zwei Frauen im Vorstand und das politische Spektrum der Bauernfamilien ist besser repräsentiert als vorher.

Wird die Landwirtschaft politisch zu einseitig wahrgenommen?

Viele Leute ordnen sie Mitte-rechts ein, ich werde als Bäuerin oft automatisch der SVP zugeteilt. Auf der anderen Seite gehen Linke schnell davon aus, dass wir einen Biobetrieb haben, weil ich in der SP bin. Das ist auch so ein Klischee.

Warum haben Sie denn keinen Biobetrieb?

Wir haben in erster Linie einen Milchbetrieb, dort sind für die Umstellung auf Bio die Wartezeiten lang, da die Nachfrage nach Biomilch in der Schweiz bereits gedeckt ist. Zudem ist die biologische, mechanische Feldarbeit bei unseren Böden eher bodenverdichtend, der ökologische Gewinn wäre bei uns unter dem Strich vermutlich klein. Wir bezweifeln, dass es sich in unserem Fall rechnet. Da wir eng mit einem anderen Betrieb zusammenarbeiten, der nicht Bio ist, sind wir flexibler.

In Ihrer Bewerbung für den BVA-Vorstand haben Sie gesagt, nicht die Landwirtschaft müsse linker werden, sondern die Linke müsse noch mehr für die Landwirtschaft tun…

Es braucht beides. Ich glaube nicht, dass Bäuerinnen und Bauern wirklich häufiger rechts sind als andere, aber sie wählen traditionell eher rechts. Vieles ist durch den Generationenwechsel im Umbruch, es gibt bereits Verschiebungen.

Es gibt einige Landwirtinnen und Landwirte bei den Grünen. Sie sind bei der SP aber eine Exotin. Warum?

Ich kenne tatsächlich keine anderen Aargauer Bäuerinnen und Bauern in der Partei. Die Landwirtschaft ist nicht unbedingt ein Kernthema der SP.

Wollen Sie das ändern?

Ja, ich möchte hier eine Brückenbauerin sein. Ich möchte bei den Linken das Verständnis für die Landwirtschaft wecken und auf der anderen Seite der Landwirtschaft klar machen, dass die SP nicht einfach gegen die Bauernfamilien ist. Schliesslich setzt sich auch die SVP nicht immer für die Landwirtschaft ein.

Wo sehen Sie das?

Wenn es ums Geld geht, sind auch Bürgerliche nicht unbedingt auf der Seite der Bauern. Ich finde sowieso, wir müssten mehr zusammenarbeiten und sehe nicht ein, warum die SVP die Landwirtschaft als ihr Thema gepachtet hat.

Auf der linken Seite sind es die Grünen. Wurmt es Sie, dass es nicht die SP ist?

Da kann ich nur für mich persönlich reden. Natürlich wünschte ich mir, die Landwirtschaft hätte in der SP einen anderen Stellenwert. Aber sie ist einfach nicht prioritär.

Sie sind seit Januar Co-Präsidentin der SP-Fraktion im Grossen Rat, zusammen mit Claudia Rohrer. Setzen Sie die Prioritäten der Fraktion jetzt neu?

Meine beiden Spezialgebiete waren immer die Bildung und die Landwirtschaft, 20 Jahre lang war es hauptsächlich die Bildung. Weil meine Schulpflege-Ämter Ende Jahr aber wegfallen, hat sich mein Fokus mehr in Richtung Landwirtschaft verschoben. Aber ich stelle auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen ein höheres Interesse an Agrarthemen fest und ich werde gerne als Fachperson beigezogen. Jetzt, in Hinblick auf die Agrarinitiativen, gibt es sowieso Gesprächsstoff.

 

Colette Basler mit einem wenige Tage alten Kalb auf ihrem Hof in Zeihen.
Colette Basler mit einem wenige Tage alten Kalb auf ihrem Hof in Zeihen.

 

Diese sind für Sie vermutlich nicht einfach. Sie und der Bauernverband bekämpfen die Initiativen, die SP steht hinter ihnen.

Ich schätze es, dass mir die Partei die Möglichkeit gibt, mich dazu zu äussern, wie kürzlich an einem Debattenabend zum Thema. Ich hatte noch keinen Moment den Eindruck, dass ich mit meiner Meinung nicht akzeptiert werde. Meine Kolleginnen und Kollegen können einordnen, warum ich mich gegen die Agrarinitiativen einsetze.

Sie waren bei der Abstimmung über die neuen Führungsstrukturen an der Volksschule im letzten September in einer ähnlichen Situation. Sie sind Vizepräsidentin des Schulpflegepräsidenten-Verbands und stellten sich gegen die Abschaffung der Schulpflege. Wie sehen sie das jetzt, ein paar Monate vor der Umsetzung?

Ich glaube, die Schulpflege ist als Bindeglied wichtig. Bereits zeichnet sich ab, dass die Schule durch ihr Wegfallen politischer wird. Ich höre auch aus einzelnen Gemeinden, dass sie befürchten, den Mehraufwand nicht stemmen zu können. Die Abschaffung der Schulpflege wird vielleicht in grösseren Gemeinden ohne Probleme über die Bühne gehen, andere aber werden mehr Mühe haben.

Wie war dieser Abstimmungskampf für Sie?

Wir sind immer auf der Sachebene geblieben, schliesslich waren bei uns im Komitee alle Parteien vertreten. Man hat uns danach zum fairen Abstimmungskampf gratuliert, das hat mich berührt. Ich hatte mich bei meinem Engagement noch gefragt, ob ich damit meine Wiederwahl gefährde. Aber auch hier konnten die Leute erkennen, warum ich nicht auf Parteilinie war.

 

Abstimmungskampf verloren: Vertreterinnen des Nein-Komitees zur Abschaffung der Schulpflege sind nach dem Urnengang enttäuscht. Colette Basler (rechts) mit Die-Mitte-Grossrätin Maya Bally (links).
Abstimmungskampf verloren: Vertreterinnen des Nein-Komitees zur Abschaffung der Schulpflege sind nach dem Urnengang enttäuscht. Colette Basler (rechts) mit Die-Mitte-Grossrätin Maya Bally (links).

 

Für die Regierungsrats- und die Ständeratswahlen konnte die SP keine Frauen aufstellen, ist dieses Co-Präsidium im Grossen Rat jetzt eigentlich ein Kompromiss?

Nein. Natürlich müssen wir eine repräsentative Vertretung von Frauen in allen Gremien anstreben, das ist klar. Dass wir jetzt zwei Frauen im Co-Präsidium sind, hat sich aber so ergeben – auch wenn ich immer sage, gemischte Teams funktionieren besser. Claudia Rohrer und ich arbeiten sehr gut zusammen und ergänzen uns bestens. Wir sind zwei unterschiedliche Personen, das passt.

Viele Sitzungen hatte der Grosse Rat in diesem Jahr noch nicht. Können Sie trotzdem eine Zwischenbilanz ziehen?

Ich bedaure es ausserordentlich, dass nur so wenige Sitzungen stattfinden. Das macht es schwieriger, an Geschäften dran zu bleiben. Das Amt ist eine Herausforderung, ich wollte vor meinem Antritt gar nicht wissen, wie gross der Aufwand ist. Aber es ist spannend, wir haben eine sehr gute Fraktion, auch wenn wir Stimmen an die Grünen verloren haben.

Wo soll die SP in nächster Zeit wirken, um wieder Stimmen zu gewinnen?

Der Slogan «Für Alle statt für Wenige» der SP passt für mich sehr gut. Wir haben grosse Themen in der Bildung, im Sozial- und Gesundheitswesen, die wir anpacken oder weitertreiben müssen: Lehrermangel, schlechte Entlöhnungen in der Pflege. Man soll uns wieder als die Partei wahrnehmen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Menschen mit geringem Einkommen einsetzt.

Denken Sie, dass die SP darum nach der Coronakrise wieder gefragter sein wird?

Wir setzen uns auf jeden dafür Fall ein. Soziale Sicherheit ist schliesslich eines unserer Kernthemen. Leider aber wurde unser Vorstoss für einen Mindestlohn im Grossen Rat abgelehnt. Für mich ist klar, dass wir dort nicht lockerlassen dürfen.

Warum braucht es einen Mindestlohn?

Ich bin überzeugt davon, dass Geld gespart werden kann, zum Beispiel in der Sozialhilfe, wenn die Menschen von ihrem Lohn würdig leben können.

Einen Mindestlohn kennen erst die Kantone Neuenburg, Jura, Genf und Tessin. Ist es realistisch, so etwas im Aargau zu fordern, wenn es in der Nachbarschaft sonst niemand hat?

Ja. Auch der Aargau darf einmal eine Vorreiterrolle haben. Darum fasst die SP Aargau eine Resolution für einen Mindestlohn. Vielleicht sehen die umliegenden Kantone dann, dass dieser eine gute Sache ist. Ich denke grundsätzlich immer positiv und habe noch nie etwas gemacht oder unterlassen, nur um auf keinen Fall abzuweichen.

Sie sind erst seit 2017 im Grossen Rat. Wie kamen Sie zur SP?

Ich war immer links aber habe erst spät angefangen, mich zu engagieren. Ausschlaggebend war die Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat im Jahr 2003. Eine Woche später ist die halbe Familie der SP beigetreten.

Sind Sie in einer politischen Familie aufgewachsen?

Mein Grossvater und mein Vater waren beide links, aber nicht in der Partei, sicher auch, weil sie Bauern waren. Wir haben aber zu Hause immer politisiert. So wie wir auch alle Versli schreiben.

Ihre Schwester Patti Basler hat das zum Beruf gemacht. Erfährt man in Ihren Geschichten von früher auch etwas über Sie?

Es steckt viel Wahres in diesen Geschichten, insofern: ja. Das Dichten wurde uns in die Wiege gelegt. Mein Vater hat seitenlange Gedichte geschrieben, die wir am Samichlaustag aufsagten, so hat das angefangen. Meine Schwester hat es zu einer Karriere ausgebaut, darauf bin ich sehr stolz. Ich dichte und schreibe nebenbei.

Sie haben den Hof übernommen, machen Politik, sind in verschiedenen Verbänden und für die Kommunikation eines Start-ups verantwortlich. Wie finden Sie die Zeit dafür?

Ich kann natürlich nicht alles alleine machen. Meine Eltern sind auch hier auf dem Hof engagiert, meine Mutter kocht immer, ich muss mich um vieles nicht kümmern. Die Kinder jetzt 18 und 19 Jahre alt und coronabedingt häufig daheim. Ansonsten würde ich sie wohl kaum noch sehen, da sie ihr eigenes Programm hätten.

Sie sind hier in Zeihen aufgewachsen. Eine SP-Hochburg ist das nicht, wo kamen Sie zu ihrem ersten Amt?

Im Dorf besteht die SP aus mir. Meine Familie stellt vier von fünf der Parteimitglieder. Die SVP hat 49,5 Prozent Wähleranteil. Ich war in Zeihen nie in einem politischen Amt, wurde aber 2009 angefragt, ob ich für den Grossen Rat kandidieren will. Ich liess mich überreden und hatte dann ein sehr gutes Resultat, ich war direkt erster Ersatz. Beim zweiten Mal hat es geklappt.

Möchten Sie auch in den Nationalrat?

Ich arbeite sehr gerne auf nationaler Ebene. In meinem Amt als Co-Geschäftsführerin des nationalen Bäuerinnen- und Landfrauenverband konnte ich mir ein grosses Netzwerk aufbauen. Ich bin auch als Vizepräsidentin des Metzgerpersonalverbands national tätig. Das finde ich sehr spannend.

Könnten Sie, gerade in der Landwirtschaft, im Nationalrat auch mehr bewirken?

Bestimmt. Auch in der Bildung finde ich, wäre es einfacher, wenn man manches national regeln würde.

Die SP Aargau braucht sicher auch für die nächsten Ständeratswahlen eine Kandidatin. Ist das dieses Mal ein Thema für Sie?

Wir werden sehen.