
Trotz Massenveranstaltungen hat Spanien den Virus im Griff – was macht das Land besser als die Schweiz?
Der Applaus in Barcelonas Gran Teatre del Liceu reisst nicht ab. Dankend verbeugt sich Gustavo Dudamel. Von seinem mit Plexiglas umfassten Podest leitet der Maestro den Beifall des Publikums an seine Musiker im Orchestergraben weiter. Schon seit Ende März erobert der venezolanische Stardirigent mit Verdis «Otello» im Sturm das Opernhaus der spanischen Mittelmeermetropole. Bisher waren alle Aufführungen ausverkauft. «Das Verlangen der Menschen nach Kultur ist grösser denn je. Sie hilft uns, mental besser durch die Pandemie zu kommen. Gott sei Dank sieht auch unsere Regionalregierung Kultur als notwendiges Grundrecht», erklärt Valentí Oviedo, Generaldirektor des Liceu.
Massenkonzerte, für Spanien kein Problem
Während in der Schweiz Theater, Opern, Konzerthallen und Kinos bis Ende Woche geschlossen sind, wird in Spanien seit über einem halben Jahr wieder aufgetreten. Ende März fand in Barcelona Europas erstes grosses Massenkonzert ohne Abstandsregeln statt. 5000 Menschen besuchten im Palau de Sant Jordi das Konzert der Indie-Popband Love of Lesbians. Alle Besucher mussten vor dem Konzert einen Antigentest machen. Während der Veranstaltung durften die FFP2-Masken nicht abgesetzt und die zugeteilten Zonen nicht verlassen werden. Die Organisatoren installierten in der für 24000 Personen ausgelegten Halle besonders leistungsfähige Belüftungsanlagen. Danach wurden die Teilnehmer zwei Wochen lang überwacht.
«Unsere Sicherheitskonzepte funktionieren», versichert auch Liceu-Direktor Valentí Oviedo. Über 50 Aufführungen habe man seit September veranstaltet und nicht einen einzigen Covid-19-Ansteckungsfall im Publikum verzeichnet.
Um die Abstände einzuhalten, belegt die Oper nur 50 Prozent ihrer 2200 Plätze. Am Eingang wird das Publikum über desinfizierende Fussmatten geleitet und muss sich die Hände desinfizieren, eingelassen wird nach Zone gestaffelt im 15-Minuten-Takt. Bei jedem Besucher wird die Körpertemperatur gemessen, Mundschutzmasken dürfen nicht abgesetzt werden. Eine neue Belüftungsanlage tauscht die Luft fast doppelt so oft aus wie gesetzlich vorgeschrieben. Oviedo dazu:
«Wir machen zwar keinen Gewinn bei einer Belegung von 50 Prozent. Doch die Verluste wären höher, wenn wir geschlossen hätten.»
In der Oper tragen selbst Musiker und Chorsänger permanent Mundschutz – selbst bei Proben und Aufführungen, nur Hauptsänger und Bläser sind davon ausgenommen. Wöchentlich werden bei allen Angestellten Antigentests durchgeführt. Bewusst wählte man zur Einhaltung der Abstandsregeln Opern wie «Don Giovanni» mit kleinen Orchestern und Chören aus.
Ist ein Kulturlockdown noch verhältnismässig?
Im Gegensatz dazu war bis zum Bundesratsentscheid vom 14. April lange offen, ob Marco Armiliato im Juni am Opernhaus Zürich Puccinis «Madama Butterfly» aufführen darf. Der italienische Stardirigent findet, das Beispiel Spanien stelle die Verhältnismässigkeit von Kulturlockdowns in anderen Ländern zumindest in Frage. Im März führte er am Madrider Teatro Real Vincenzo Bellinis «Norma» auf. Bereits letzten Juli hatte sich das Teatro Real mit einer «Traviata» als eines der ersten Häuser in Spanien zurückgemeldet. Fast eine Million Euro investierte das Haus in Covid-19-Sicherheitskonzepte.
Während all der Monate gab es einen einzigen Covid-19-Fall im Publikum ohne weitere Ansteckung. Eine Gruppe aus österreichischen Künstlern zog das Teatro Real deshalb bei einer Klage vor dem Verfassungsgericht in Wien als Beispiel heran, um das «undifferenzierte Stilllegen von Kultureinrichtungen trotz wirksamer Sicherheitskonzepte» zu hinterfragen.
Zwar wurden bei laufenden Proben 24 Infizierte festgestellt. Laut Oper haben sich die Sänger und Mitarbeiter aber ausserhalb angesteckt. Ihre Infektionen seien wegen der wöchentlichen Tests aufgefallen. Selbst die Regionalregierung hält die mediale Aufregung über den Ausbruch für übertrieben. Das Theater hat allein in dieser Woche mehr als 453 Tests durchgeführt, alle waren negativ.