
«Zoom-Fatigue»: Was virtuelle Sitzungen mit uns machen – und warum sie so anstrengend sind
Berufliche Meetings finden seit Monaten nur noch online statt, genauso wie Treffen mit Freunden und Weiterbildungen. Die Folge: Viele von uns starren jeden Tag öfter in Bildschirme statt in anwesende Gesichter. Und merken: Diese ständigen Video-Calls gehen uns gehörig auf die Nerven, sie machen müde und unkonzentriert.
«Zoom-Fatigue» heisst der neu kreierte Begriff dafür. Alles nur Einbildung? Mitnichten. Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben ebenfalls festgestellt, dass uns Video-Konferenzen übermässig anstrengen. Und auf Dauer unserer Gesundheit schaden können.
Denn Video-Konferenzen sind zweidimensionale Ereignisse. Wir sehen und hören die anderen, aber wir können sie nicht erfühlen. Nonverbale Impulse und Informationen, die für den Menschen zentral sind in der Beurteilung von Interaktion, werden quasi ausgelöscht. Das Gehirn versucht aber trotzdem ständig, die Informationen zusammen zu suchen. Das löst Stress aus.
Kleine Unstimmigkeiten ermüden das Gehirn
Auch die zeitliche Mini-Verzögerung von Gesehenem und Gehörtem, also das Asynchrone, kumuliert sich zusammen mit Verbindungsschwierigkeiten und Reinreden zu einer anstrengenden Mischung. Deshalb werden wir nicht nur physisch schneller müde, sondern leiden auch eher unter Konzentrationsschwierigkeiten, Gereiztheit, Kopf- und Rückenschmerzen sowie Glieder- und Magenschmerzen, wie eine Studie der Universität Ludwigshafen festhält.
Wissenschafter haben auch herausgefunden, dass Menschen sich in Videocalls weniger vertrauen und weniger Verständnis füreinander aufbringen können. Dies auch, weil der direkte Blickkontakt fehlt: Man schaut meist nicht direkt in die Kamera, sondern auf den Bildschirm. Die Gesprächspartner wiederum hocken einem viel zu nahe frontal gegenüber.
Anstrengung, den Kopf richtig zu quadrieren
Ein weiterer Stressfaktor ist, dass wir uns selber sehen: Wir checken ständig, wie wir beim Sprechen wirken. Das kann zu erhöhtem Druck führen und zu negativen Emotionen aufgrund unserer Ansprüche, attraktiv oder angemessen zu wirken. Wir müssen uns also ständig auf uns selbst konzentrieren und auf gleichzeitig potenziell Dutzende weitere Gesichter. Eine Überlastung für unser Gehirn.
Die erste peer-reviewte Studie der Universität Stanford, die Ende Februar publiziert wurde, bestätigt die obigen Punkte. Und streicht heraus: Die kognitive Anstrengung ist in einem virtuellen Meeting um einiges höher als in einem realen. Wir müssen schauen, dass unser Kopf richtig quadriert ist, wir versuchen durch exzessives Lächeln dem anderen zu signalisieren, dass wir ihn verstehen, wir fühlen uns dermassen beobachtet, dass wir uns kaum ein paar Sekunden Wegschauen gönnen, weil das missverstanden werden könnte.
Wir brauchen körperliche und emotionale Impulse
Dabei ist es genau dieses ständige Sendungsbewusstsein, das unsere Konzentration zunichte macht. Dabei braucht der Mensch Pausen. Und er braucht Impulse auch auf der emotionalen und körperlichen Ebene. Stunden vor dem PC sind nicht per se das Problem, wenn die Zeiten vor dem Bildschirm immer mal wieder von anderen Aufgaben und Aktivitäten unterbrochen werden.
Als die verschiedenen Lebensbereiche noch getrennter waren, war das einfacher: Die Zugfahrt, der Gang ins Restaurant am Mittag, das Fussballtraining am Abend … , sogar der Stau auf der Autobahn war für Augen und Körper immerhin eine zusätzliche Erfahrung. Diese Balance müssen wir im Home-Office bewusster herstellen. Die Müdigkeit ist real, wir bilden sie uns nicht ein. Diese Erkennnis ist der erste Schritt, um mit Video-Calls besser umgehen zu können.