«Schwingen ist wie Appenzeller Käse – ein gewisses Geheimnis bleibt»

Denken und handeln Sie zu modern für einen Schwingsport-Funktionär?
Stefan Strebel: Modern oder nicht, das ist nicht das Thema. Ich möchte einfach alle Mittel ausreizen, damit wir den Schwingsport wieder öffnen können. Darum wollte ich die stufenweise Öffnung. Darum suchte ich das Gespräch mit den Behörden, was wie möglich wäre.

Aber Sie wurden vom Zentralvorstand zurückgepfiffen. Es gilt die Devise: Entweder der Schwingsport öffnet für alle oder für niemanden. Der Verband bleibt lieber stur, statt sich der Zeit anzupassen und neue Wege zu suchen.
Das sagen Sie. Klar ist: Ich polarisiere mit meinen Aussagen. Das bin ich mir bewusst und das war schon immer so. Aber das wissen auch alle, die mich gewählt haben.

Was war Ihr Plan?
Es gibt 58 aktive eidgenössische Kranzschwinger. Und etwa 100 Teilverbands- oder Bergfestkranzer. Mein Ziel war, dass 160 Schwinger ab März wieder trainieren dürfen.

Und das wäre von den Behörden akzeptiert worden?
Die Verhandlungen liefen gut. Genaue Zahlen kann ich nicht nennen, weil diese nicht abschliessend definiert wurden. Ich bin sicher, wäre ich nicht zurückgepfiffen worden, hätte ich eine Lösung präsentiert, die mehr als 100 Spitzenschwingern geholfen hätte.


Sie sind eben doch zu modern denkend.
Das Wort modern mögen viele aus der Schwingerfamilie nicht. Ich bin der erste hohe Schwingsport-Funktionär, der auf Instagram ist. Dafür wurde ich von Kollegen teils heftig kritisiert. Aber ich nutze diese Plattformen, um den Puls anderer zu spüren. Ich poste Dinge und schaue auf die Reaktionen. Das wirft manchmal hohen Wellen. Aber ist das schon modern? Ich erhalte auch positive Reaktionen. Sogar ein Schwingerkönig hat mir gratuliert.

Ist die Diskussion, dass alle Schwinger gleich behandelt werden müssen, nicht gesucht? An ein Eidgenössisches dürfen auch nur eine gewisse Anzahl Schwinger.
Da möchte ich widersprechen. Für ein Eidgenössisches kann sich jeder mit starken Leistungen während der Saison empfehlen. Wenn nun eine Behörde sagt, der darf und der nicht, ist das eine Zweiklassengesellschaft, da müssen wir ehrlich sein. Aber man kann ein anderes Beispiel nennen: Einige dürfen den Spitzensport-WK machen, andere nicht. Das ist eine tolerierte Zweiklassengesellschaft, die es im Schwingen gibt.

Ein anderes Beispiel: Mittlerweile dürfen junge Erwachsene, die nicht älter als 20 Jahre sind, wieder trainieren. Spätestens mit 19 Jahren wechselt man beim Schwingen zu den Aktiven. Konsequenterweise müsste der Schwingerverband 19- und 20-Jährigen das Schwingen verbieten. Sonst sind ja auch hier nicht alle aktiven Schwinger gleich.
Mein Job ist, dass so viele wie möglich schwingen dürfen. Darum kritisiere ich das nicht. Aber Eins plus Eins gibt nicht Drei, da muss ich Ihnen recht geben. Auch das ist eine Zweiklassengesellschaft. Man darf nicht vergessen: Es gab schon Schwinger, die wurden mit 19 Jahren König. Der junge Jörg Abderhalden dürfte nun bereits trainieren, obwohl er gerade König wurde. Bisher konnten an Nachwuchsschwingfesten nie 19- oder 20-Jährige teilnehmen. Das wird nun angepasst, damit diese Schwinger Wettkämpfe haben.

Und das wird toleriert?
Ich habe auf Instagram eine Umfrage gemacht, ob das eine Zweiklassengesellschaft sei. 60 Prozent sagten Nein. Aber alle Spitzenschwinger, die sich gemeldet haben, sagten Ja.

Müssten die Spitzenschwinger nicht stärker Stellung beziehen?
Es würde niemand hinstehen und sagen, verbietet es den Jungen. Das will niemand.

Aber die Spitzenschwinger könnten sagen: «Wir wollen auch!»
Ich habe die Unterstützung von vielen Spitzenschwingern. Es gab eine Telefonkonferenz des Zentralvorstands mit den 28 besten Schwingern. Da sprachen sich viele für mein Modell aus. Ich habe also eine Lobby. Aber die brauche ich auch. Ich stand sehr unter Druck, viele aus der Schwingerfamilie, die anderes denken, haben mich scharf kritisiert. Da war es wichtig, Spitzenschwinger hinter mir zu haben. Das Einzige, was sie besser machen könnten: Sie sind alle ein wenig zu lieb und zu ruhig. Ich wäre vor 20 Jahren, als ich aktiv war, extremer vorgeprescht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich rufe nicht zu einer Revolte auf. Aber einmal hinstehen und etwas fordern.

Warum tun das nicht mehr?
Einige haben Angst, dass sie dann in Zukunft bei der Einteilung benachteiligt werden. Dass sich die Funktionäre so verspätet für die Kritik rächen. Aber das ist Schwachsinn. Ich garantiere, dass nie einer einen Nachteil hat, weil er seine Meinung kundtut. Noch etwas: Es gibt Spitzenschwinger, die mein Konzept nicht gut fanden. Aber nimmt man die 50 besten Schwinger des Landes, sind wohl 40 meiner Meinung.

Doch es gibt über 2500 Schwinger, die alle gerne schwingen würden.
Absolut. So wird begründet, warum man keine stufenweise Öffnung will. Aber in jeder Sportart wird stufenweise geöffnet. Das ist im Fussball so und im Volleyball nicht anders.

Auffällig ist: Viele Berner Spitzenschwinger, darunter König Christian Stucki, fordern eine Öffnung. Aber offenbar reicht das Wort des Königs allein nicht.
Den Nordwestschweizer Teilverband habe ich hinter mir. Den Südwestschweizer auch. Die Berner waren Mal für meinen Vorschlag, dann kurz dagegen und jetzt wieder dafür. Da hat sicher geholfen, dass viele Spitzenschwinger Partei ergriffen. Es sind die Innerschweizer und Ostschweizer Verbände, die sich strikt gegen die Öffnung wehren.

In der Innerschweiz wurden bereits erste Fest ins Jahr 2022 verschoben. Offenbar ist man dort bereit, noch eine Saison zu verpassen.
Das ist eine Katastrophe. Und ich befürchte, dass viele weitere Feste folgen werden. Allein im Mai finden zahlreiche Kantonale statt. Und vergessen wir nicht: Vier Wochen Vorbereitung brauchen die Schwinger, da kann ja jeder selbst rechnen, wie sehr die Zeit drängt. Die Frage ist, wann ist Breitensport wieder erlaubt. Im April, Mai, Juni?

Die Saisonhighlights, das Eidgenössische Jubiläumsfest in Appenzell und der Kilchberger Schwinget, finden erst im September statt. Entspannt das?
Natürlich sind das unsere Höhepunkte und natürlich geht es darum, dass diese stattfinden können. Aber es geht nicht nur darum, zwei Feste im Jahr zu haben.

Sie sagten, Sie wurden scharf kritisiert. Wie äusserte sich das?
Ich erhielt immer mal wieder die Aufforderung, doch besser zurückzutreten. Aber das kommt für mich nicht in Frage. Ich wurde gewählt und ich werde meine Amtszeit erfüllen.

Kam die Kritik auch vom Zentralvorstand?
Nein, nicht in Form von Rücktrittsforderungen. Die kamen von ausserhalb. Aber natürlich haben nicht alle im Zentralvorstand immer Freude an mir. Ich bin sicher nicht der Ruhigste. Ich bin einer, der sagt, was er denkt. Ich lasse mir nicht das Wort verbieten. Ich bin kein Verwalter, der mit dem Strom mitschwimmt, ich bin ein Visionär. In Verhandlungen bin ich direkt. Manchmal sogar extrem direkt, das muss ich in der Selbstreflexion auch eingestehen. Aber mir macht die Arbeit im Zentralvorstand Spass und wir können am Abend immer alle zusammen friedlich ein Bier trinken gehen.

Verstehen Sie, wenn der Schwingsport wegen seiner Sturheit belächelt wird?
Schwingen ist wie der Appenzeller Käse. Ein gewisses Geheimnis bleibt. Da bin ich wieder voll bei allen. Das Anderssein macht den Schwingsport sympathisch. Wir dürfen speziell sein. Das macht uns aus. Auch wenn ich für die stufenweise Öffnung bin.