
Lockdown-Ausstieg: Jetzt fängt die Zeit der widersprüchlichen Regeln wieder an – neun Absurditäten
–Schönwetter-Regel: Weil sich draussen 15 Leute treffen dürfen, können Sie 14 Personen zur Grillparty in Ihren Garten einladen. Beginnt es zu regnen, haben Sie Pech. Sie dürfen nur vier andere mit in die Wohnung nehmen. Die anderen schicken Sie bitte wieder nach Hause – oder lassen sie mit der Bratwurst im Regen stehen.
–Abstand reicht nicht: Beim Tennis ist der Abstand riesig, die Hallen sind gross. Doch der Sport ist nur draussen erlaubt. Sie dürfen draussen mit Ihren Freunden aber viel näher stehen, als Sie sich im Tennis je kommen. Und auch die Schützen reklamieren: Ihre Schiessstände sind halboffen, der Abstand meist gegeben. Geschossen werden darf aber nicht.
– Ledig hat’s leichter: Singles haben es gerade etwas einfacher. Fünf Personen drinnen kann bedeuten: Fünf Singles aus fünf Haushalten. Für die vierköpfige Familie sind Treffen da viel eingeschränkter.
–Arbeiten im Lesesaal: Es gilt Homeoffice-Pflicht, doch Lesesäle an Unis öffnen wieder. In den Hörsaal dürfen Studenten aber nicht.

– Kontakt ohne Körperkontakt: Sportanlagen im Freien wie Kunsteisbahnen und Fussballplätze sind wieder zugänglich. Allerdings gilt: Falls Sie über 20 Jahre alt sind, dürfen Sie trotzdem nicht Fussball spielen. Denn Sportarten mit Körperkontakt wie Fussball oder Basketball bleiben verboten. Immerhin dürfen Sie ein Techniktraining durchführen – in einer Gruppe von maximal 15 Personen.
Die Widersprüche mögen manche zum Schmunzeln bringen, bei anderen regt sich die Zornesfalte. Vor allem aber: Politisch werden einige die Chance packen, die Absurditäten auszuschlachten, um die Coronapolitik des Bundesrats in Frage zu stellen. Dieser wies zwar wiederholt darauf hin, dass kleine Widersprüchlichkeiten in der jetzigen Situation nicht zu vermeiden seien. Dennoch: Absurditäten, die sich kaum logisch erklären lassen, bieten eine geeignete Angriffsfläche, um Massnahmen des Bundesrats zu kritisieren – und etwa die rasche Öffnung der Restaurants zu fordern.
Übrigens: Manche Widersprüchlichkeiten lösen sich ab Montag auf. Alle Läden dürfen dann wieder öffnen – und alles verkaufen. Dann muss sich immerhin niemand mehr fragen, weshalb Blumen und Parfums zu den «Gütern des täglichen Bedarfs» gehören, Schuhe aber nicht.
Nein, Sie müssen längst nicht alles verstehen, was in Bern passiert. Seit dem Frühling ist bekannt: Es ist schwieriger, aus einem Lockdown zu kommen als hinein. Zur Erinnerung: Der Weg zurück war damals bereits mit Widersprüchen gepflastert.
Das erstaunt nicht. Zwar arbeiten die Juristen in der Bundesverwaltung seit Monaten unter Hochdruck, um alles so perfekt wie möglich zu formulieren. Doch innert Stunden werden Paragrafen verfasst; zu gewöhnlichen Zeiten bleiben für so etwas Monate Zeit. In Vernehmlassungen werden alle angehört, Probleme ausgemerzt. In der kurzen Zeit kann nicht alles so ausgewogen herauskommen, die dies sonst der Fall ist.
Damit schwindet das Vertrauen der Bevölkerung
Darin liegt eine grosse Gefahr: Denn ohne Vertrauen und Selbstverantwortung der Bevölkerung ist die Pandemie nicht zu bewältigen. Je widersprüchlicher aber die Regeln sind, umso rascher schwindet die Unterstützung. Wenn die das dürfen, weshalb darf ich jenes nicht? Das ist die Frage, die sich Bürger dann stellen – und ihren Ausweg suchen, um sich nicht an gewisse Regeln halten zu müssen.
Mit den Regeln, die ab Montag gelten, gibt es aber besonders viele Widersprüche. Die Beispiele:
–15 ist nicht gleich 15: Sie dürfen sich mit Kolleginnen und Kollegen an der Brätelstelle im Wald treffen und dort feiern. Bis zu 15 Personen sind draussen erlaubt. Sie dürfen aber nicht eine Generalversammlung eines Vereins mit 15 Leuten abhalten, auch nicht draussen.

–Baden gehen: Freizeit- und Wellnessanlagen draussen dürfen öffnen. Im Thermalbad müssen Sie je nachdem drinnen ins Wasser steigen, um nach draussen zu schwimmen. Drinnen dürfen Sie nicht bleiben. Draussen können Sie planschen, wie Sie wollen.
–Affentheater? In den Zoo dürfen Sie – draussen. Die Innenbereiche bleiben geschlossen. Gleichzeitig aber dürfen Museen öffnen – und Sie dürfen da vorbehaltlos rein.
–Take-away statt Terrasse: Terrassen von Restaurants, wo üblicherweise genügend Abstand zwischen den Vierertischen herrscht, müssen geschlossen bleiben. Sie dürfen Ihr Bier aber im Take-away holen und mit bis zu 14 anderen Personen gemeinsam draussen trinken. Je länger der Abend dauert, umso geringer dürfte der Abstand werden.
