Viktor Giacobbo: «Das Coronavirus ist überhaupt keine Lachnummer»

Viktor Giacobbo, am «SRF Comedy Roast» haben Sie und Ihre Kollegen Patti Basler, Stefan Büsser, Dominic Deville und Rebekka Lindauer das Virus verbal grilliert. Ist das Witzpotenzial bei Corona noch gross genug, um eine zweite Welle zu überstehen?

Viktor Giacobbo: Das Coronavirus selbst ist überhaupt keine Lachnummer. Nur der Umgang der Menschen mit dem Virus eignet sich so fantastisch für Satire. Ganz egal, was das Virus in unseren Jobs, mit unseren Weltbildern oder mit der politischen Gesinnung der Menschen macht. Wenn die Pandemie andauert, wird sich das Witzpotenzial nie erschöpfen. Man kann allerdings gute oder schlechte Witze darüber machen.

Ob Marco Rima oder Andreas Thiel, ob Renato Kaiser oder Patti Basler: In Ihrer Zunft konnten sich viele die letzten Monate trotz oder gerade wegen fehlender Auftrittsmöglichkeiten als Corona-Skeptikerinnen oder Corona-Warner profilieren. Wie bewerten Sie dieses neu entstandene Tätigkeitsfeld Ihrer Kollegen?

Ich möchte da klar widersprechen, gerade, was die Coronaskeptiker angeht. Von den ungefähr 50 Vertretern der Comedyszene sind das Einzelfälle, die medial aufgebauscht wurden. Der grösste Teil der Comedians, Kleinkünstlerinnen und Satiriker hat auf das Virus wie alle anderen Teile der Bevölkerung reagiert. Man hat sich seine Meinung zu den Massnahmen gebildet. Und ein paar haben sich in dieser Thematik ein bisschen verloren. Ein Punkt geht bei dieser Debatte aber gerne vergessen.

Der wäre?

Unter diesen Coronaskeptikern aus dem Comedyfach sind nun mal auch Familienväter wie ein Rob Spence. Die wurden ihrer Existenzgrundlage komplett beraubt. Die merken, dass sie nächste oder übernächste Woche vielleicht ihre Wohnungsmiete nicht mehr bezahlen können. Da spielen starke Existenzängste hinein. Solche Leute reagieren auf eine Weise, mit der ich zwar nicht einverstanden bin. Aber ich kann das Verhalten trotzdem einigermassen nachvollziehen.

Sind Comedians also doch gefährdeter als ein Orchestermusiker oder eine Theaterschauspielerin?

Nein, das denke ich nicht. Aber man darf trotzdem eines nicht vergessen: Wir sind anders als etwa die Film-, Opern- oder Literaturszene eine komplett unsubventionierte Branche. Es gibt keine einzige Institution, die einem Komiker sagen würde: «Komm, wir geben dir mal 50’000 Franken. Mach ein Programm draus.» Das sind alles kleine Unternehmer. Die investieren ihr eigenes Geld, schreiben selbst Programme, lassen ein Management, Licht- und Tontechniker für sich arbeiten. Das wird in der allgemeinen Kulturszene viel zu wenig wahrgenommen. Beim Lockdown brach für diese Menschen die ganze Existenzgrundlage weg.

Sie sind mit Bühnenkünstlern bestens vernetzt. Ihr Haus, das Casinotheater Winterthur, ist ein Ankerpunkt der Comedyszene. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich bereits nach ernsteren Bürojobs umschauen?

Es gibt einige, die sich das überlegen müssen. Manche versuchen in ihren alten Berufen wieder Fuss zu fassen. Diese Menschen hatten Auslagen, weil sie ein Programm mit ihrem Ersparten produziert haben und können nun vielleicht ihre Unkosten nicht mehr einspielen.

Hat Ihr Theater bei der ersten Welle für die abgesagten Gastspiele Ausfallhonorare gezahlt? Manche Theater tun das aus Solidarität mit den Künstlern.

Rein rechtlich gesehen sind wir bei Gastspielverträgen nicht dazu verpflichtet. Jeder Gastspielvertrag hat eine Klausel, die einen in so einer Situation davon entbindet. Aber wir konnten eine recht grosse Summe einer privaten Spenderin an Künstlerinnen und Künstler verteilen, denen es besonders schlecht ging. Kein Rappen davon ging ans Casinotheater Winterthur. Eine langfristige Hilfe wäre aber, wenn diese Künstler wieder uneingeschränkt auftreten könnten. Das ist im Moment aber nicht gegeben.

Über 3000 Anträge auf Ausfallentschädigung von Kulturschaffenden aus der ersten Welle sind bis heute nicht bewilligt worden. Wie ist die Situation bei Ihnen?

Als nicht subventioniertes Theater haben wir eine Ausfallentschädigung zwar beantragt, bislang aber kein Geld erhalten. Weil wir eine Aktiengesellschaft sind, bilden wir in der Reihe der Antragssteller wahrscheinlich eher das Schlusslicht. Unser Fall wird wohl an eine private Treuhandfirma weitergegeben und dort bearbeitet. Wir sind aber auch nicht so sehr auf schnelle Hilfe angewiesen. Es gibt Kulturunternehmen, die in einem halben Jahr Konkurs machen, wenn kein Geld reinkommt.

Müsste man die Kultur während der zweiten Welle anders organisieren als bisher?

Sie können jeden fragen: Alle wissen, wie man es besser machen könnte. Ich vertraue jetzt mal dieser Regierung, die mit Wissenschaftern zusammenarbeitet und auf dem Radar hat, wo Ansteckungen am gefährlichsten sind und die weiss, was man zulassen kann und was nicht. Der Kanton Zürich hat eine Statistik herausgegeben, wonach sich Menschen in Theaterhäusern nachweislich praktisch nicht anstecken. Auch deshalb lassen wir nach wie vor mit Maskenpflicht im Foyer und im Theaterraum die volle Besucherzahl zu. Wir setzen die maskierten Zuschauer innerhalb eines genehmigten Schutzkonzeptes ohne Abstände.

Eine Praxis, die momentan stark kritisiert wird. Bleibt Ihnen aus wirtschaftlichen Gründen keine Wahl?

Natürlich. Auch deshalb finde ich, es bräuchte in dieser Zeit dringend ein Korrektiv. Die grossen subventionierten Theater haben im letzten Lockdown laufend ihre staatlichen Zahlungen erhalten und hatten, weil der Betrieb stillstand, nicht mal das ganze Geld benötigt. Warum kann ein Opernhaus Zürich, das vom Kanton jährlich 80 Millionen Franken Subventionen erhält, in so einer Zeit nicht mal 20 Millionen freigeben für diejenigen, die das Geld dringend nötig hätten? Das wäre doch mal eine schöne Geste.

Stellt Ihr Haus seit dem starken Anstieg der Fälle einen Rückgang bei den Besucherzahlen fest?

Aus den derzeitigen Ticketverkäufen lassen sich noch keine klaren Muster erkennen. Veranstaltungen mit bekannten Namen oder solche, die wegen des Lockdown in den Herbst verschoben werden mussten, sind immer noch gut besucht. Dann gibt es andere, für die momentan praktisch niemand ein Ticket kauft und die wir deshalb absagen müssen. Man ist vorsichtiger geworden. Auch unser Restaurant spürt die Angst der Leute.

Wie und ob man noch auftreten kann, ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Künstler touren aber landesweit. Geht Ihnen dieser Kantönligeist auf die Nerven?

Der Kantönligeist geht momentan so ziemlich allen Menschen auf den Wecker. Egal, aus welcher Branche man kommt. Ich hoffe sehr, dass der Bundesrat am Mittwoch endlich einheitliche Regeln aufstellt. Gerade für Institutionen wie den Zirkus Knie ist das eine sehr schwierige Situation. Für ihn steht mit dem Bundesratsbeschluss viel auf dem Spiel. Erst im September hatte man in Bern relativ spät mit einem grossen Schutzkonzept Premiere gefeiert. Momentan spielt man in Zürich ganz normal weiter. Aber wenn der Bundesrat eine Obergrenze von 50 Menschen beschliessen sollte, kann der Knie mit seinen 2000 Zuschauern seine Zelte gleich wieder schliessen.

Wie werden Sie beim Beschluss einer Personenobergrenze von 50 Personen bei Kulturveranstaltungen verfahren?

Bei einer Obergrenze von 50 Personen werden wir das Theater schliessen müssen, das ist klar. Wir werden dann höchstens unser Restaurant weiterführen. Da haben wir auch räumlich genügend Kapazitäten, um die Abstände notfalls noch auszuweiten. Und wenn es irgendwie geht, versuchen wir vielleicht noch den Eventbetrieb auf sehr schmaler Flamme weiterzuführen.

Die Berner Theaterhäuser haben sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Sie stellen sich gegen die im Kanton bereits beschlossene Schliessung der Häuser und fordern, dass Kultur weiterhin möglich sein soll. Würden Sie den Brief unterschreiben?

Im Moment würde ich den Brief sicher unterschreiben. Auf der anderen Seite sehe ich auch die Entwicklung der Infektionszahlen. Sollten wir eines Tages pro Tag 20′ 000 Neuinfektionen haben und dann alle Spitalbetten besetzt sein, kann man auch nicht mehr fordern, die Häuser weiterhin offen zu halten. Nichts in dieser Pandemie ist schwarz oder weiss, man muss die Entwicklung verfolgen, Massnahmen laufend anpassen – das heisst improvisieren.

Zur Person

Der in Winterthur geborene Viktor Giacobbo (68) ist einer der prominentesten Kabarettisten der Schweiz. Seine Fernsehformate «Viktors Programm» (1990-1994) bzw. «Viktors Spätprogramm» (1995-2002) machten seine Kunstfiguren wie Harry Hasler oder Fredi Hinz unsterblich. Vor allem aber mit der SRF-Late-Night-Show «Giacobbo/Müller» (2008-2016), in der Giacobbo mit Mike Müller im Dreamteam wöchentlich das politische Weltgeschehen zerpflückte, hat er eine ganze Generation von Fernsehzuschauern geprägt. Noch im vergangenen Jahr stand er für die Jubiläumstournee des Zirkus Knie mit Mike Müller in der Manege. Giacobbo ist aber nicht nur Bühnenrampensau. Die «Puffmutter des Schweizer Humors», wie ihn Bühnenkollege Gabriel Vetter mal bezeichnet hat, ist auch ein Strippenzieher im Hintergrund. 2000 initiierte er mit befreundeten Bühnenkünstlern das Casinotheater Winterthur. Mit seinen 600 bis 700 Veranstaltungen jährlich ist das nicht suventionierte Theater ein wichtiger Hotspot der Schweizer Kleinkunst- und Comedyszene . Giacobbo präsidiert bis heute den Verwaltungsrat der Casinotheater AG. (jst)