Contact-Tracing überlastet: Jetzt regiert im Aargau das Prinzip Hoffnung

Ich arbeite seit Donnerstag zu Hause – das ist für einen Journalisten nicht weiter ungewöhnlich, seit dem Ausbruch der Coronapandemie sind viele meiner Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice. Bei mir ist der Fall allerdings etwas speziell: Ich bin freiwillig im Homeoffice, müsste aber eigentlich in Quarantäne sein. Denn ich hatte kürzlich Kontakt mit einer Person, die positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Bisher hat mich niemand vom Contact-Tracing-Center angerufen und in Quarantäne geschickt – der Fall zeigt, was die Überlastung der Contact Tracer konkret bedeutet.

Thomas S. (Name geändert) ist ein junger Handballer, der einerseits bei der zweiten Mannschaft des HSC Suhr Aarau in der 2. Liga, andererseits bei der HSG Siggenthal in der 1. Liga spielt. Ich bin Trainer beim HSC II, am vergangenen Samstag hatten wir ein Meisterschaftsspiel gegen den TV Muri. Bei diesem Spiel war Thomas S. dabei, ebenso am Sonntag, als die HSG Siggenthal in der 1. Liga gegen Kloten spielte.

Teams gehen freiwillig in Quarantäne

Er spielte in beiden Partien gut und trug dazu bei, dass die 2. Liga-Mannschaft des HSC und das 1. Liga-Team von Siggenthal ihre Spiele gewannen. Am Montag verspürte Thomas leichte Symptome, die auf eine mögliche Covid-Erkrankung hindeuteten. Am Dienstag liess er sich bei seiner Hausärztin testen, am Mittwochmorgen teilte sie Thomas das Resultat mit: positiv. Kurz darauf meldete sich der Spieler bei mir und informierte mich darüber. Zudem orientierte Thomas auch den Trainer von Siggenthal, dass er positiv auf Covid getestet worden war.

HSC Suhr Aarau II vor dem Spiel gegen TV Muri II am 17. Oktober - wegen eines Coronafalls ist das Team in freiwilliger Quarantäne, eine Verfügung des Kantons gibt es noch nicht.

HSC Suhr Aarau II vor dem Spiel gegen TV Muri II am 17. Oktober – wegen eines Coronafalls ist das Team in freiwilliger Quarantäne, eine Verfügung des Kantons gibt es noch nicht. © Aargauer Zeitung

Die Hausärztin des Spielers meldete den positiven Befund beim Kanton, ich informierte meine Handballmannschaft und ordnete an, dass alle Spieler in Selbstisolation gehen sollten. Zudem informierte ich auch den Trainer unseres Gegners vom letzten Samstag, später hatte ich Kontakt mit der Geschäftsstelle des TV Muri.

Liste der Kontaktpersonen rasch geliefert

Wir halten uns an die Schutzkonzepte des Handballverbandes, beachten die Vorgaben in den einzelnen Spiel- und Trainingshallen, trugen ausserhalb des Spielfeldes am Samstag natürlich Masken – aber Handball ist ein Kontaktsport, und wenn sich ein Spieler infiziert hat, ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegeben, dass andere Mitglieder des Teams ebenfalls angesteckt werden können.

Noch am Mittwoch, kurz nach dem positiven Testresultat, stellte ich eine aktuelle Liste mit den Kontaktdaten aller Spieler zusammen, die am Samstag beim Spiel dabei waren. Dasselbe tat der Trainer von Siggenthal, Thomas reichte die beiden Listen per Mail beim Kanton ein. Seither warten wir –  bisher hat sich das Contact Tracing Center nicht bei seinen Kontaktpersonen gemeldet.

Ärztin gibt andere Auskunft als Hotline

Der Trainer von Siggenthal rief am Mittwoch bei der Hotline des Kantons an und erhielt nach mehreren Anläufen die Auskunft, dass wohl alle Spieler und Trainer, die mit Thomas in der Garderobe waren, in Quarantäne müssten. Wir rechneten deshalb damit, dass bald eine Quarantäne-Verfügung des Kantons eintreffen würde.

Am Mittwochabend rief mich die Hausärztin von Thomas an und fragte, ob wir Hilfe brauchten. Ich fragte sie, wer aus ihrer Sicht in Quarantäne müsse – ihre Antwort: alle Spieler, die mit ihm zusammen trainierten und spielten, die Trainer aber eher nicht, weil der Kontakt für eine Ansteckung zu wenig eng gewesen sei. Entscheiden müsse dies aber das Contact Tracing, sagte die Ärztin und fragte, ob wir vom Kanton schon etwas gehört hätten.

Ich antwortete, dass wir bisher nicht kontaktiert worden seien – das war ungefähr zur gleichen Zeit, als der Kanton seine Medienmitteilung verschickte, wonach das Contact Tracing überlastet sei. In der Mitteilung hiess es, es sei möglich, dass Infizierte erst mit Verzögerung kontaktiert werden könnten. Die Contact Tracer würden schwere Fälle oder Personen mit Priorität behandeln, die im Gesundheitswesen, in der Schule oder in sozialen Institutionen arbeiten.

Contact-Tracing-Center: «Wer ist die positiv getestete Person?»

Das ist durchaus verständlich und nachvollziehbar – schliesslich ist Thomas ein 19-jähriger Sportler, der nicht zur Risikogruppe gehört. Er ist auch soweit gesund, hat derzeit nur etwas Kopfschmerzen und ist leicht erkältet. Auch heute, zwei Tage nach dem positiven Test, haben wir vom Contact Tracing noch keine Quarantäneverfügung erhalten. Wir sind weiterhin der Meinung, dass es richtig ist, die Spieler der beiden Teams zu isolieren. Die anstehenden Spiele am Wochenende haben wir verschoben – das geht auch ohne Verfügung des Kantons, der Handballverband ist in solchen Fällen sehr kulant.

Thomas S. erhielt am Freitagmorgen ein Mail vom Contact-Tracing-Center – als Antwort auf die beiden Mannschaftslisten mit seinen Kontaktpersonen, die er eingereicht hatte. «Könnten Sie uns den Namen der positiv getesteten Person mitteilen?», hiess es in diesem Mail. Thomas antwortete umgehend, dass natürlich er selber positiv getestet worden sei, wie dies seine Hausärztin am Mittwoch schon gemeldet hatte. Darauf erhielt er bisher keine weitere Rückmeldung des Kantons.

Die fehlende Verfügung ist schwierig für Arbeitnehmer

Für mich ist die Situation relativ einfach, ich kann von zu Hause aus arbeiten. Doch es gibt mehrere Spieler in meiner Mannschaft, die keinen Bürojob haben. Für sie ist die Situation mühsam: Sie gehen in Quarantäne, weil Thomas S. positiv ist – das ist richtig, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Aber es gibt keine Verfügung des Kantons, die eine Quarantäne anordnet – arbeitsrechtlich ist das schwierig, denn die Spieler können ihrem Chef nichts vorlegen, um ihre Absenz zu begründen.

Der konkrete Fall zeigt: In der aktuellen Lage mit hohen Ansteckungszahlen und einem überlasteten Contact Tracing regiert zweimal das Prinzip Hoffnung. Zuerst ist es die Hoffnung, dass eine positiv getestete Person selber rasch ihre Kontakte informiert und diese vernünftig genug sind, freiwillig in Isolation zu gehen. Danach ist es die Hoffnung, dass die Arbeitgeber in dieser Situation das nötige Verständnis aufbringen, dass ein Angestellter auch ohne Quarantäne-Verfügung für zehn Tage fehlt.