
Ein Aargauer träumt von der National Football League
Wenn in der Nacht von Donnerstag auf Freitag mitteleuropäischer Zeit die neue NFL-Saison beginnt, dann wird einer ganz bestimmt genau hinschauen: Alessandro Cairati. Nicht nur, weil der Footballspieler aus Suhr ein grosser Fan der Houston Texans ist, welche die neue Spielzeit gegen den amtierenden Super-Bowl-Sieger Kansas City Chiefs eröffnen, sondern weil Cairati durchaus das Potenzial hat, um selber irgendwann in einer Kick-off-Partie der NFL auf dem Feld zu stehen.
Ein Schweizer in der NFL? Was in anderen amerikanischen Profiligen wie NHL (Eishockey) oder NBA (Basketball) schon längst der Fall ist, wäre beim American Football ein Novum. Denn in diesem uramerikanischen Sport wartet keiner auf Europäer. Talente gibt es in den Staaten genug. Mit dem zunehmenden Hype im deutschsprachigen Raum scheint es jedoch nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis auch die Schweiz neben Deutschland und Österreich einen Vertreter in der NFL vorweisen kann.
Unterstützung durch Ex-Profi Björn Werner
Alessandro Cairati gehört dabei aktuell zu den grössten Hoffnungen. Der 16-jährige Lineman ist zwar erst im High-School-Alter, bringt aber bei 190 Zentimetern Körpergrösse und 130 Kilogramm bereits die optimalen körperlichen Voraussetzungen mit, um auf seiner Position in der Defensive durchzustarten. Daran glaubt auch die Gridiron Imports Foundation. Die gemeinnützige Organisation, die vom deutschen Ex-NFL-Spieler Björn Werner gegründet wurde, hilft europäischen Talenten, den Sprung in die USA zu schaffen. «Als Björn im vergangenen Juli bei uns zu Hause anrief, da fiel mir gleich beim Morgenessen der Löffel aus der Hand. Für mich ist er nicht nur irgendein Ex-NFL-Spieler, sondern ein echtes Vorbild», sagt Cairati.
Dass er überhaupt mit seinem Idol in Kontakt kam, hat er auch seiner Mutter zu verdanken: «Nach dem Abschluss beim Lernpodium in Wettingen ging ich im 2019 an eine Exchange School in Oklahoma, um dort Football spielen zu können. Während dieser Zeit nahm meine Mutter Kontakt mit Werners Foundation auf, damit ich ein Stipendium an einer High School bekomme. Kaum war ich wieder zurück in der Schweiz, kam der erste Anruf der Foundation.»
Dass ausgerechnet Werner selber auf den Schweizer setzt, ist ein sehr gutes Zeichen. Denn der 30-jährige Deutsche spielte als Defensive End auf einer Position, auf der auch Cairati eingesetzt wird. Dass Werner dies so gut tat, dass er als erster und bisher einziger Deutsche überhaupt an 24. Stelle gedraftet wurde, bekräftigt sein Einschätzungsvermögen.
Innert knapp dreier Jahre 70 Kilogramm zugelegt
Dank Gridiron Imports ist Cairati fündig geworden. Seit August weilt der junge Lineman im 3000-Einwohner-Dorf Bullard im Bundesstaat Texas an der Brook Hill High School. Trotz der Unruhen und hoher Coronafallzahl in den USA: «Es war mir schon bewusst, dass derzeit gerade viel los ist in diesem Land, aber wenn du hier an einer Privatschule bist und auch noch auf dem Areal lebst, dann bist du ziemlich abgeschottet. Hier kann ich mich voll auf den Football konzentrieren.»
Cairati hätte auch noch andere Angebote gehabt: «Mit der Brook Hill High School hatte ich eine Option in der Nähe meiner Gastfamilie aus dem letzten Jahr, zu der ich ein enges Verhältnis habe. Nebenbei ist die Schule bekannt für gutes Coaching auf meiner Position. Als ich erfahren habe, dass ich an diese Schule darf, fühlte sich das schon fast ein bisschen an, als ob ich gerade gedraftet wurde. Ich war überglücklich.»
Wenn man sich Cairatis Weg genauer anschaut, dann ist es umso beachtlicher, dass er dank Football ein Stipendium erhalten hat. Den Sport übt er nämlich erst seit drei Jahren aus: «Als 13-Jähriger startete ich bei den AFC Zurich Renegades. Ich wog damals knapp 60 Kilogramm und spielte als Passempfänger in der Offensive. Als sie dann merkten, dass ich in der Defensive besser aufgehoben bin, kam die Sache ins Rollen.»

Mittlerweile ist er bei 130 Kilogramm angelangt. Damit hat er das gleiche Gewicht wie NFL-Star J. J. Watt, zu dem er aufschaut. Doch Alessandro Cairati ist noch nicht zufrieden: «Bis zum Ende der Saison möchte ich sieben Kilo Muskelmasse zulegen.» Die Aussage ist sinnbildlich für den unermüdlichen Arbeitswillen des Footballspielers, der seine Freizeit am liebsten im Fitnessraum mit Gewichtheben verbringt.
Er wird diesen in den nächsten zwei Jahren auch brauchen, damit er ein Angebot von einem College mit einem Footballteam aus der höchsten Stufe (Division 1) bekommen wird. Denn praktisch nur so kann der Traum weiterleben: «Ich bin eigentlich ein zurückhaltender Typ und lasse den Football für mich sprechen. Aber klar, ich weiss, warum ich hier bin. Ich will auf jeden Fall in die NFL. Falls es bis dahin noch kein Schweizer geschafft hat, wäre das eine Riesenehre für mich, der Erste zu sein. Aber es dauert noch mindestens fünf Jahre, bis ich mich für den Draft anmelden könnte. Es liegt noch viel Arbeit vor mir», betont der Aargauer.