Weiter so, Patrick Rahmen!

Nach dem GC-Spiel war Aarau-Trainer Patrick Rahmen einerseits fassungslos, anderseits riesig enttäuscht vom Auftreten der Mannschaft, vor allem von dem seiner Führungsspieler mit klangvollen Namen. Schon kurz nach Abpfiff im Letzigrund reifte in Rahmen der Gedanken, den sogenannten Stars Markus Neumayr, François Affolter und Jérôme Thiesson einen Denkzettel zu verpassen. Ähnliche Gedanken hatte Rahmen nach früheren Niederlagen auch schon, kam jedoch bis zum nächsten Spieltag wieder darauf zurück und gab schliesslich der Erfahrung wieder den Vorzug gegenüber der Jugend. 

Ein Horrorerlebnis für den Sinneswandel

Dieses Mal nicht. Es scheint, als hätte Rahmen ein Horrorerlebnis wie den Match gegen GC gebraucht, um den Sinneswandel auch in die Tat umzusetzen. Dazu kam der Druck auf seine Person. Vorgabe der Klubführung war, dass die Mannschaft in dieser Woche gegen Wil und in Chiasso ein anderes, ein kämpferisches Gesicht zeigt. Ansonsten wäre Rahmen trotz Vertrag bis 2021 wohl schon bald seinen Job los gewesen. 

Mit dem Rücken zur Wand sprang Rahmen über seinen Schatten, um auch seine Glaubwürdigkeit gegenüber den gegen GC nicht aufgebotenen Spielern zu wahren. Im Sinne von: Egal, wie einer heisst und was er bisher erreicht hat – ein Minimum an Engagement ist Pflicht. Der Trainer nahm tatsächlich Neumayr (34 Jahre), Affolter (29) und Thiesson (32) aus der Startelf, brachte insgesamt gleich sechs neue Spieler im Vergleich zum GC-Match. 

Anstelle von Routine setzte Rahmen auf Jugend: Gegen Wil spielten zwei 18-Jährige, ein 19-Jähriger, ein 20-Jähriger und zwei 22-Jährige von Beginn an, acht Titulare waren 25 Jahre oder jünger. Die älteren Drei bildeten die zentrale Achse: Elsad Zverotic (33) als Abwehrorganisator, Olivier Jäckle (27) als Mittelfeldstratege und im Sturm Marco Schneuwly (35) als Steuermann für den physisch beeindruckenden, taktisch aber noch sehr unbeholfenen Yvan Alounga.

Es war mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren die jüngste Aarauer Startelf der Saison – der Altersschnitt der Zweitjüngsten betrug 25,6 Jahre. Das Durchschnittsalter aller 25 FCA-Startformationen in dieser Saison: 26,9. 

Auf der Tribüne im Brügglifeld-Stadion dürfte der Verwaltungsrat seine helle Freude gehabt haben beim Blick aufs Matchblatt. Unmittelbar vor dem Wil-Spiel hatte Klubführung um Präsident Philipp Bonorand getagt und die sportliche Strategie für die kommenden Jahre beschlossen. Für deren Ausbreitung im Detail ist es noch zu früh, aber was die FCA-Mannschaft gegen Wil verkörperte, widerspiegelt gemäss AZ-Informationen die Zukunftspläne: jung, regional, Freude am Fussball, Mut zur Offensive. Die neue Stossrichtung ist alternativlos: Wie in den letzten fünf Jahren weiterhin auf altgediente Super-League-Granden zu setzen, kann sich der FC Aarau nach Corona nicht mehr leisten. Und will es auch nicht mehr: Stattdessen soll endlich eine Identität her, eine Handschrift und eine Nachhaltigkeit. Die Zeiten, in denen das Kader jedes Jahr ein neues Gesicht erhält, sollen vorbei sein.

Jäckle: «Die Jungen sollen mehr Raum bekommen»

So dürfte das Kader nur noch wenige erfahrene Kräfte beinhalten, als Stütze für die Jungen. Einer davon ist Olivier Jäckle, 27, Eigengewächs und vor sieben Jahren in der gleichen Situation wie die heutigen Talente. Er sagt: «Als Spieler kann ich die Klubpolitik nicht beeinflussen. Doch sollte es tatsächlich in die Richtung gehen, dass die jungen Spieler mehr Raum zur Entfaltung bekommen, freut mich das. Ich denke, das goutieren auch unsere Fans.» 

Jäckle appelliert an die Geduld der Öffentlichkeit, sollte beim FCA künftig «Jugend forscht» gelten: «Ich verstehe, dass ein Traditionsklub wie der FC Aarau hohe Erwartungen weckt. Nur mit jungen Spielern sind diese nicht zu erreichen, darum ist der Balanceakt für die Klubführung zwischen Jugendförderung und Einbindung von arrivierten Kräften sehr schwierig zu meistern.» Der Birmenstorfer hofft, dass es in den verbleibenden elf Spielen bis zum Saisonende im gleichen Stil wie gegen Wil weitergeht, denn: «Die praktisch leeren Stadien sind ein Vorteil für unsere jungen Spieler, es drohen keine Pfiffe, wenn es in einem Spiel mal nicht läuft.»

Zurück zu Trainer Patrick Rahmen: Bleibt er mutig und setzt auch heute in Chiasso auf die Jugend? Es ist zu hoffen, dass sein Sinneswandel Bestand hat. Denn: Das Gute am bisher enttäuschenden Verlauf der Saison ist die Tatsache, dass nun sportlich mehr oder weniger bedeutungslose Spiele folgen, die jedoch die ideale Bühne für eine Talentschau sind.