Hat dem Koch die Nase getropft? Ich habe ein Dutzend Restaurants besucht – und einige Schreckmomente erlebt

Gleich mit Platz 1 der «Schreckmomente im Restaurant» zu beginnen, wäre unfair. Es war auch vor dem 16. März in Restaurants nicht alles gut: Alter Fisch, teure Weine, schlechter Service… Der Restaurantbesuch konnte grauenvoll sein. Und wunderschön. Fast wie die Liebe.

Seit 11. Mai wird wieder serviert. Hingehen, dabei sich und andere gefährden? Oder besser unserem im Lockdown ausgefeilten Bocuse-Dilettantismus noch bis Weihnachten frönen, statt in einem Raum mit anderen zu sitzen und zu überlegen, ob dem Koch die Nase tropft?

Hier sah ich eben noch Sepp Blatter

«Nur Mut!», sagte schon der Kleine Nick. Am 12. Mai trat ich ins Zürcher Restaurant «Casa Ferlin», wo ich bei meinem letzten Besuch im Februar Ex-Fifa-Chef Blatter gesehen und Lucerne-Festival-Intendant Haefliger die Hand geschüttelt hatte. Nun desinfizierte ich im Vorräumchen meine Hände, ein Kellner mit Maske wies mich an den Tisch, der nun von den anderen durch eine Glaswand abgeschirmt war.

Ich bestellte ein Mineralwasser und wartete auf mein Gegenüber. Wir hatten keine Angst vor uns, obwohl wir naturgemäss weniger als zwei Meter auseinander sitzen und uns die Tröpfchen ins Gesicht spucken würden. Etwas Angst vor dem Kellner allerdings durchaus, auch wenn er nach fast jedem Kontakt mit unserem Tisch die Hände desinfizierte.

Kaum die speckige, in schwarzem Plastik eingehüllte Speisekarte in der Hand, wurde es mir noch mulmiger. Gar schlecht, als die «Weinkarte» gebracht wurde, galt es nun nämlich ein Tablet zu bedienen. Schon früher fand ich es eklig, mit dem Finger Apéro-Häppchen in den Mund zu schieben und gleichzeitig den Bildschirm zu bedienen. Wir legten das Tablet weg, fragten nach offenem Wein.

Wir spielten mit dem Messer, und dieses landete auf dem Nachbartisch

Nummer 1 der Schreckmomente kam fünf Tage später. Nachdem wir im Zürcher Restaurant «Amici» beim Kartenlesen mit dem Besteck gespielt hatten, entschieden wir uns für Pizza, worauf der Kellner «unser» Messer und Vorspeisenbesteck abräumte und es auf dem Nachbartisch bereitlegte. Als der Kellner mir mit seinen langen Fingern half, in der Weinkarte zu blättern, dachte ich nicht bloss wegen des 1200 Franken teuren «Massettos», den er mir andrehen wollte, ob er Fieber habe.

Zum Weineinschenken nahm er dann das Glas in die Hand, schwenkte es theatral, als sei da nicht der einfache Chianti für 59 Franken, sondern tatsächlich der Massetto drin.

Nicht nur im «Amici» stand die Frage im Raum, wie man es schafft, weiterhin ins Restaurant zu gehen und nicht den Virologen zu spielen. Sorglosigkeit haben wir bezüglich Covid-19 verlernt. Gerade das Weineinschenken ergibt unnötigen Tisch-Kontakt – und jeder unnötige Kontakt war in den letzten Wochen einer zu viel, entwickelte sich zu einem Moment der Angst.

Es wurde im Laufe der mittlerweile drei Wochen seit Wiedereröffnung der Restaurants schnell klar, dass es das ideale, virengeschützte Restaurant nicht gibt. Vielmehr geht darum, uns die Angstmomente zu nehmen.

Masken sieht man praktisch nie

Aber alle zehn besuchten Lokale machten etwas, worüber man den Kopf schüttelte. Einen Tag nach dem «Ferlin» besuchte ich das Zürcher Restaurant «Didi’s Frieden». Noch wusste niemand, wie «es» gehen würde – im «Didi’s» auch das Personal nicht. Dass man keine Masken trug, überraschte mich damals noch, später merkte ich, dass sie fast nie verwendet wurden.

Kreativer als die BAG-Plakate: Hinweis eines Hotels.

Kreativer als die BAG-Plakate: Hinweis eines Hotels. © Anna Granta (31. Mai 2020

Aber eben: Gewissen Menschen schlug das schon in der ersten Woche auf den Magen. Die Unsitte, dauernd Wein nachzuschenken – selbst dann, wenn man kaum am Glas genippt hatte –, lebt im «Didi’s» trotz Corona fort. Drei Mal sagten wir, dass wir es selbst übernehmen würden, es half nichts. Es wäre zurzeit nötiger als sonst, im Restaurant seine Wünsche deutlich zu äussern, zu sagen, was man möchte. Und was nicht.

Wir sassen zu zweit an einem Vierertisch, dessen Ende an die Wand anstiess. Es wäre ideal gewesen, mit gebotenem Abstand von links über den Tisch hinweg nach rechts einzuschenken. Die Kellnerin aber kam an die Wand und schenkte, wie in der Hotelfachschule gelernt, von rechts über die Schulter ein, berührte das Gegenüber dazu. Der süsse Schauer war eisig kalt. Und warum drei Leute an einen Tisch schicken? Wäre es nur eine Person, wären es zwei Gefahrenherde weniger.

Als wir beim Zahlen sagten, dass in der Nachbarschaft im «Casa Ferlin» zur Bedienung des Kartenlesegeräts ein Desinfektionsmittel gereicht wird, wurde erwidert, dass man sich im Laufe des Abends dauernd die Hände desinfiziere. Ich tippte den Pin ein und gab das Gerät gestenreich meinem Gegenüber. Da begriff die Kellnerin, was ich gemeint hatte.

Die Sache mit den Pissoirs

Ob Regel oder nicht: Es war unnötig, eines von zwei Pissoirs zu versperren. Als ob hier ein Gedränge wie im Biergarten herrschen würde. Der gesunde Menschenverstand ist ziemlich munter in diesen Monaten.

Immerhin war es in Zürich möglich, spontan in sonst ausgebuchten Restaurants Platz zu finden. Im «Alten Löwen» an einem Freitag um 21 Uhr? Nur zu! Hier wurde auch als einziges Lokal, wo wir nicht elektronisch reserviert hatten, unsere Adresse aufgenommen – in fünf anderen Fällen nicht.

Aufatmen? Der Krieg ist vorbei, wie ein Plakat an der Piazza Grande in Locarno zeigt.

Aufatmen? Der Krieg ist vorbei, wie ein Plakat an der Piazza Grande in Locarno zeigt.

© Anna Granta (1. Juni 2020

Doch warum notiert das Personal die Namen nicht selbst, warum wird ein Kugelschreiber rumgereicht, der in unserer Hand wie eine Virenschleuder liegt? Restaurants sollten versuchen, positive Zeichen zu setzen. So wie im «La Scaletta» in Locarno, einer kleinen Bahnhofschenke.

Hier lagen am Pfingstmontag Messer und Gabel in Plastik verpackt auf dem Tisch. Notwendig oder nicht, ist nicht die Frage, aber die Geste zählt. Auch Salz und Pfeffer gab es nicht aus der abgegriffenen Mühle, sondern in Einweg-Tütchen. Aber den einen «Fehler» machte man auch hier: Essig & Öl standen in der Flasche bereit, der Salat kam saucenfrei auf den Tisch, wie seit eh und je im Süden.

 
Das Besteck in Plastik im Ristorante Scaletta in Locarno vermittelt Sicherheit.

Das Besteck in Plastik im Ristorante Scaletta in Locarno vermittelt Sicherheit.

© Anna Granta (1. Juni 2020

Obwohl es in der edlen Osteria «Boato» in Brissago am Vortag genauso war, halfen über die erste Verwunderung, dass keine Masken getragen werden, die grosszügig verteilten Tische hinweg: die Hälfte unter der Veranda, die andere am Seeufer unter freiem Himmel. Und als der Saibling im Salzmantel diskret serviert wurde, wars um jegliches Coronadenken geschehen. Ganz kurz überlegte ich gar, ob ich Corona vorschieben könnte, um zu fragen, ob ich den Fisch selber zerteilen dürfe.

Endlich wird der Kellner wieder zum Schatten

50 Meter daneben im «Kalea» wurde abends um 20 Uhr wieder scharwenzelt, als gäbe es durch schöne Reden, Messerchen hin- und Gäbelchen wegtragen, Nachfragen, ob es schmecke und dauerndes Weinnachschenken heutzutage Extrapunkte. Dabei ermahnt uns Corona endlich wieder, dass der Kellner nicht der Duzfreund ist.

Wie oft habe ich deswegen mit Freunden und Freundinnen gestritten, wie oft haben sie sich über meine Distanziertheit geärgert. Aber Aufgabe des Personals ist und war es, die Speisen so unauffällig wie möglich an den Tisch zu bringen. Dafür gibt es heute Trinkgeld.

Die Weinflasche versteckten wir im «Kalea» alsbald hinter der Plastikblume. Dort liegen blieb auch unser Desinfizier-Döschen. Am nächsten Tag stand es tatsächlich hinter der Theke und der Chef sagte: So ein Döschen ist heute wertvoller als eine Gucci-Sonnenbrille.

Ob denn das Essen gut gewesen sein. «Jaja», logen wir, anstatt zu sagen: «Das vermisste Feriengefühl tröstete über die Durchschnittlichkeit der Speisen hinweg.» Aber das ist ein anderes Thema.

Bitte, liebe Restaurant-Besitzer, beachtet diese neun Punkte!


1. Personal soll Masken oder Gesichtsschutz tragen

2. Den Gast fragen, ob er den Wein selber nachschenken möchte

3. Desinfektionsmittel nach der Bestellung und zum Bezahlen mit Kartenlesegerät an den Tisch bringen

4. Abstand zum Tisch halten, auf Scharwenzeln verzichten

5. Salat immer mit Sauce servieren, auf Öl und Essig am Tisch verzichten

6. Gewisse vermeintliche Anstandsregeln vergessen: Wenn es zu einer unnötigen Berührung kommt, nicht von rechts über die Schulter servieren

7. Nur eine Servicefachkraft pro Tisch den ganzen Abend lang einsetzen

8. Wird die Adresse aufgenommen, nicht den Kugelschreiber den Gästen reichen, sondern das Personal den Namen und die Adresse notieren lassen

9. Statt speckige Speisekarten gut sichtbare Holztafeln verwenden