
«Ich hinterlasse den FC Aarau ohne Leiche im Keller»
Die Art und Weise des Abgangs wird der Leistung nicht gerecht: Nach 13 Jahren tritt Alfred Schmid am Dienstag als Präsident des FC Aarau zurück. Nicht mit Pomp und Getöse, sondern Coronabedingt ganz unprätentiös an einer Videokonferenz mit dem Verwaltungsrat. Vor dem Abschiedsinterview im Hauptsitz seines Telekommunikationsbetriebs WD comtec AG in Schönenwerd zeigt Schmid eine der vielen SMS, die er zum Abschied erhalten hat: René Weiler, der Aufstiegstrainer von 2013, gratuliert aus seiner aktuellen Station in Kairo. Schmid ist die Erleichterung, den FCA in die Hände seines Nachfolgers zu übergeben, anzumerken.
Alfred Schmid, welche Note geben Sie sich für die 13 Jahre?
Alfred Schmid: (überlegt lange) Eine 5.
Eine gute, aber keine hervorragende Note.
Nobody is perfect – es gibt sicher Leute, die es noch besser gemacht hätten. Insgesamt aber bin ich überzeugt, dass der FC Aarau in diesen 13 Jahren souverän geführt war. Schwierige und erfolgreiche Zeiten haben sich abgewechselt, meine Devise war stets: Im Erfolg nicht überschwänglich werden, im Misserfolg kühlen Kopf bewahren. Ich hinterlasse einen gesunden FC Aarau mit finanziellen Reserven, der breit abgestützt ist, die Mitgliederzahlen der Gönnervereinigungen White Socks, Club 100 und anderer sind auf hohem Niveau, das neue Stadion ist auf guten Wegen, mit Philipp Bonorand steht ein kompetenter Nachfolger bereit – das macht mich stolz.
Die finanzielle Lage vor 13 Jahren und die aktuelle unterscheiden sich wie Tag und Nacht. Ist das Ihre grösste Leistung?
In den 13 Jahren sind einige Vereine in Konkurs gegangen. Auch wir hatten schwierige Momente, aber das Überleben war nie gefährdet. Wir haben die Spiellizenz meistens in erster Instanz erhalten – trotz des Nachteils, im heimeligen, wirtschaftlich aber nicht mehr zeitgemässen Stadion Brügglifeld zu spielen. Immer wieder haben Präsidenten anderer Klubs mir gratuliert und gefragt, wie wir die finanzielle Stabilität hinbekommen.
Und was haben Sie geantwortet?
Basis sind die breite Abstützung, die Stabilität im Sponsoring mit langjährigen Partnern wie der Zehnder Group, der NAB oder KIA Motors der Emil Frey AG, zu denen wir in die Chefetage persönliche Kontakte pflegen. Und nicht zu vergessen: Der für Challenge-League-Verhältnisse hohe Zuschauerschnitt an den Heimspielen.
Heisst, Sie machen sich in der Corona-Krise keine Sorgen um den FC Aarau?
Ich sorge mich um die Gesundheit unserer Angestellten und der ganzen Schweizer Bevölkerung. Der FC Aarau wird dank finanziellen Reserven diese Krise überstehen. Ich kann mit gutem Gewissen abtreten, zumal ich privat und als Unternehmer den Verein weiterhin unterstützen werde.
Anders als die exzentrischen Oberhäupter anderer Klubs bleiben Sie als ruhig und besonnen in Erinnerung. Passt Ihnen dieses Image?
Ich lasse die anderen gerne mitfeiern, aber genauso mitleiden. Als Präsident bin ich zwar verantwortlich in letzter Instanz, vor allem aber bin ich Demokrat und habe mir die Meinung meiner Verwaltungsratskollegen immer angehört. Mehr noch: Ich habe die Ressortleiter grösstenteils autonom arbeiten lassen. Gerade zu Beginn meiner Amtszeit hatten wir einige Alphatiere im Verwaltungsrat, da brauchte es am Sitzungstisch einen Mediator.
Aber ein Präsident muss, wenn nötig, ein Machtwort sprechen.
Diese Momente gab es. Oftmals brauchte es Ansporn, wenn es ums Geld ging: Nur zu sagen, der FCA brauche Geld, hilft nicht. Man muss auf Worte Taten folgen lassen.
War es eines Ihrer Lebensziele, Präsident des FC Aarau zu werden?
Als Kind durfte ich nicht Fussball spielen. Mein Vater sagte, ehrliche und saubere Leute gehen in den Turnverein. In der Jugend besuchte ich erste Spiele im Brügglifeld und es zog mir den Ärmel rein. Nachdem ich als Unternehmer Fuss gefasst hatte, wurde ich dazu ermuntert, beim FC Aarau mitzumachen, was mich zunehmend gereizt hat.
In den Anfangsjahren waren einige finanzielle Kraftakte nötig. Würden Sie rückblickend erneut als Präsident kandidieren?
Hätten meine Crew und ich damals nicht übernommen, wer weiss, ob es noch Profifussball in Aarau gäbe. Dass es 13 Jahre werden, hätte ich nie für möglich gehalten. Der Grund dafür war das Stadionprojekt, in dem es stets zwei Schritte vor, dann wieder einen zurück ging: Die Motivation, dass wir ans Ziel kommen, war immer grösser als der Frust über die vielen Rückschläge. Wir haben gute Beziehungen zur Bauherrin HRS und zu den Behörden aufgebaut und wollten das Projekt mit einem Abgang mittendrin nicht gefährden. In erster Linie aber haben die Unterstützung meiner Frau und meiner zwei Kinder die Kraft für die lange und anstrengende Amtsdauer ermöglicht – ohne sie wäre ich schon lange weg.
Ein Jahr vor Ihrem Amtsantritt wurde Ihre Bewerbung abgeschmettert, da Sie nicht dem Club 100 angehörten, sondern «nur» der Sponsorenvereinigung. 2007 dann, als der FCA kurz vor der Pleite stand, bat man Sie zu übernehmen. Andere hätten nach dieser Vorgeschichte abgelehnt…
Rückschläge gehören dazu. Als Unternehmer erhalte ich auch nicht jeden Auftrag. In dieser Zeit begann sich das Stadion-Projekt im Torfeld Süd zu konkretisieren. Meine Crew und ich dachten von Anfang an langfristig und waren deshalb weiterhin bereit, einzusteigen. Voraussetzung war jedoch, dass wir das nötige Kapital zur Rettung des FC Aarau bereitstellen.
Der Klub sass auf einer Million Franken Schulden, kurz darauf folgte die Hiobsbotschaft, dass der FCA der Beratungsfirma MTO über zwei Millionen zurückzahlen muss. Wie nah war die Pleite?
Wir haben Rechnungen und Löhne immer pünktlich bezahlt. Aber ja, es gab eine brenzlige Situation: Das MTO-Urteil hat uns auf dem falschen Fuss erwischt und enttäuscht. Unsere Anwälte hatten versichert, dass der FCA diesen Prozess niemals verlieren werde. Mit einem Verwaltungsratskollegen habe ich mich am Flughafen Zürich mit einem Vertreter der MTO getroffen. Dieser zwang uns, innerhalb von fünf Tagen eine Million Franken als Sicherheit zu hinterlegen. Mit Hilfe meiner Bank und zusammen mit dem Club 100 konnten wir das Schlimmste abwenden.
Wie viel privates Geld haben Sie durch den FC Aarau «verloren»?
Die genauen Zahlen sind Privatsache. Der FC Aarau war vor allem in der Super League ein teures Nebenamt, mit dem Vorteil, dass sich die Summe auf 13 Jahre verteilt hat (lacht). Ich würde nicht von verlorenem Geld sprechen: Als Präsident habe ich viele Kontakte geknüpft, die sich in beruflicher Hinsicht als interessant erwiesen haben.
Solange hierzulande ein Klub nicht in der Champions League spielt oder für viele Millionen Spieler verkauft, wirft man als Präsident das Geld in ein Fass ohne Boden – einverstanden?
Einspruch: Wir haben immer so budgetiert, dass die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen. Es gab Momente, in denen es einen Sondereffort brauchte, etwa wenn die Mannschaft erfolgreicher als erwartet spielte und sich das auf die Prämien auswirkte. Mit Robert Kamer hatte ich während der 13 Jahre einen Geschäftsführer im Brügglifeld, der penibel auf die Finanzen achtete. Ich garantiere, den FC Aarau ohne Leichen im Keller zu übergeben. Meinem Nachfolger gebe ich den Rat auf den Weg, vor allem die Spielerverträge genaustens zu studieren. Schnell werden aus vermeintlich günstigen Spielern teure, weil sie neben dem Fixlohn eine Wohnung, ein Auto oder sogar Essensgutscheine zu Gute haben.
Es gibt die Anekdote mit Mittelfeldspieler Artur Ionita: Sie versprachen, ihm beim Hausbau in seiner Heimat Moldawien zu helfen, wenn er den Vertrag verlängert.
Das hat leider nicht geklappt, weil er eine zu grosse Veranda wollte (lacht).
Wie nah dran waren Sie an den Spielern und Trainern?
Zu den Trainern und Führungsspielern hatte ich stets ein vertrauensvolles Verhältnis und kann heute allen in die Augen schauen. Viele Spieler, die bei anderen Klubs mehr verdient hätten, haben bei uns unterschrieben, weil in Aarau die Löhne pünktlich überwiesen werden und der Präsident immer ein offenes Ohr hat.
Die Abstiege 2010 und 2015 sind sportlich die Tolggen im Reinheft.
Sportlich wäre mehr möglich gewesen, das wurmt mich. Finanzielle Ausrutscher kann man korrigieren, eine Tabelle ist schonungslos. In den Anfangsjahren haben wir sportlich Fehler gemacht und teure Spieler verpflichtet, die ihrem Lohn nicht immer gerecht wurden. Aber es gibt auch viel Positives: Der Wiederaufstieg 2013 und der Aufbau von Spielern wie Shkelzen Gashi, Davide Callà, Artur Ionita, Silvan Widmer, Joël Mall oder Varol Tasar, die nach ihrem Weggang für Furore gesorgt haben. Und natürlich René Weiler, der bei uns seine Trainerkarriere lancierte.
War Weiler Ihre beste personelle Entscheidung?
Während des ersten Gesprächs habe ich gespürt: Das wird ein grosser Trainer. Sein Fleiss, seine Unnachgiebigkeit und seine Ideen waren faszinierend. Im Training hat er viele Übungen selber vorgezeigt und genoss dadurch eine hohe Glaubwürdigkeit bei den Spielern.
Mit der Bitte um eine schnelle Antwort: Wie viele Trainer hat der FC Aarau seit 2007 beschäftigt?
Zehn bis fünfzehn?
Nicht schlecht – Patrick Rahmen ist Nummer 11. War der Trainerverschleiss zu hoch?
Bei der Einstellung eines Trainers kann man sich nur auf sein Gefühl verlassen. eine Garantie, dass er die richtige Wahl ist und Erfolg bringt, gibt es nicht. Ich kann hinter allen Entscheidungen stehen, wobei wir uns von einigen Trainern schneller getrennt haben, als wir eigentlich wollten, weil der mediale Druck zu gross wurde. Wobei: Bei Patrick Rahmen haben wir im Herbst 2018 dem Druck standgehalten und mit der Barrage-Qualifikation Recht bekommen.
Wie haben die Medien Ihre Arbeit als Präsident beeinflusst?
Sie haben auf die öffentliche Wahrnehmung einen bedeutenden Einfluss, positiv wie negativ. Mein Grundsatz war in guten und in schlechten Zeiten: Solange die Leute über den FC Aarau reden, ist alles halb so wild. Bedeutungslosigkeit ist das Schlimmste in der Unterhaltungsindustrie.
Sie haben in 13 Jahren etliche Entscheidungen treffen müssen – welches war die beste?
(überlegt lange) Dass der Verwaltungsrat nach dem Abstieg 2010 nicht zurückgetreten ist. Wir waren drei Jahre im Amt und wurden von vielen Seiten kritisiert. Wir haben uns geschworen, den Scherbenhaufen wieder zu flicken und uns drei Jahre Zeit für den Wiederaufstieg gegeben – der Plan ist perfekt aufgegangen.
Und welche Entscheidung bereuen Sie bis heute?
Bereuen ist der falsche Begriff: Doch rückblickend hätte ich nach dem Aufstieg 2013 zurücktreten sollen. Meine Familie hat mich dazu ermuntert, ich hingegen empfand es als zu früh, wollte den FC Aarau noch in der Super League etablieren und den Einzug ins neue Stadion erleben. Dieser war damals zum Greifen nah.
Trotz Interessenten war es für Sie immer ausgeschlossen, dass die Aktienmehrheit der FC Aarau AG an ausländische Investoren verkauft wird. Wieso?
Mit einem Investor fliesst zwar neues Geld in den Klub, gleichzeitig aber versiegen andere Geldströme, da sich viele Unterstützer vom FC Aarau abwenden würden. Ich will mein Geld nicht einem chinesischen Investor überweisen und so denkt man auch im Club 100 und bei den White Socks. Die grosse Stärke des FC Aarau ist es, nicht einer Einzelmaske ausgeliefert zu sein. Sobald das neue Stadion steht, prognostiziere ich dem FCA eine gute Rolle in der Super League, das Finanzierungskonstrukt ist besser als jene in Thun oder Neuenburg.
Sofern Corona will, werden Sie an der Generalversammlung am 21. September gebührend verabschiedet, vier Tage nach Ihrem 65. Geburtstag. Treten Sie dann auch in Ihrer Firma für Telekommunikation kürzer und werden Rentner?
Mein Sohn Fabian ist bereits stellvertretender Geschäftsführer der WD comtec AG und wird dereinst die Firma übernehmen, bis 70 möchte ich aber noch operativ tätig sein. Dazu habe ich diverse Verwaltungsratsmandate und zuhause einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb mit Pferden und Schafen – langweilig wird mir nicht.
Welchen Traum werden Sie sich nach dem Rücktritt erfüllen?
Seit ich 20 bin, träume ich von einer Reise um das Mittelmeer. Als Ex-Präsident werde ich sicherlich genügend Zeit haben, diese zu planen. Und nun liegt es mir sehr am Herzen, allen Personen, die den Verein und mich in den vergangenen 13 Jahren begleitet und unterstützt haben, zu danken. Es war mir stets eine Freude, mich für den FC Aarau zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen.
Unternehmer und viel mehr
Der Gränicher Alfred Schmid (64) entdeckt früh seine Begeisterung für den Fussball. Doch sein Vater legt das Veto ein, Schmid wird Kunstturner wider Willen. Während der Lehre als Elektromonteur wird sein Geschäftssinn geweckt, als er mit Kollegen in Suhr den «Gipsy Club» gründet. Mit 26 wird er Projektleiter bei der Firma Wiedmann-Dettwiler, einem Kabelnetz-Betreiber. 1992 gründet er die Wiedmann-Dettwiler Comtec AG. 1996 kommt die Alinag AG dazu (Alarm- und Sicherheitssysteme). Langweilig wird ihm auch nach dem Rücktritt als FCA-Präsident nicht: In seiner Freizeit ist Schmid noch Bauer, Wirt und Fischer.