Doch weniger Viren im Rachen der Kinder: Schweizer Statistiker kritisiert deutschen Virologen Christian Drosten

Es ist wie ein Krimi, der in Echtzeit verfolgt werden kann: Der Streit um die Frage, wie ansteckend Kinder sind, die an Covid-19 erkrankt sind. Die Studie des Deutschen Star-Virologen Christian Drosten sorgte letzte Woche für Aufsehen in Europa, da Drosten zum Schluss kam, im Rachen von erkrankten Kindern würden sich gleich viele Coronaviren tummeln wie bei Erwachsenen.

Drosten zog daraus den Schluss, eine sofortige komplette Öffnung der deutschen Schulen sei nicht zu verantworten.. Schon unmittelbar nach der Veröffentlichung wurde kritisiert, dass die Virenlast nicht alleine die Ansteckungs-Wahrscheinlichkeit ausmacht (sondern auch wie stark jemand Symptome hat und hustet). Nun aber gerät die Studie an sich in Kritik: Bio-Statistiker Leonhard Held von der Universität Zürich, hat Drostens Studie durchleuchtet. Dies im Auftrag von Matthias Egger, Leiter der Covid-19 Task-Force des Bundes.

Christian Drosten von der Charite der Universitätsmedizin Berlin.

Christian Drosten von der Charite der Universitätsmedizin Berlin.

© Michael Kappeler/Keystone

Je jünger die Kinder, desto weniger Viren?

Leonhard Held kommt zum Schluss, dass es einen nicht überwältigenden, aber moderaten Beweis gebe für eine zunehmende Virenlast mit zunehmendem Alter. Oder umgekehrt ausgedrückt: Je jünger die Kinder sind, desto weniger Viren sind in ihren Nasen. Auf Nachfrage verdeutlicht er die Kritik: „Die Autoren von Drostens Studie haben recht traditionelle Methoden angewandt, um es mal so zu sagen. Das kann man kritisieren. Und Drostens Schlussfolgerung, dass Kindergärten geschlossen bleiben sollen, ist damit schwierig zu verantworten. Diese Rückschlüsse stehen auf tönernen Füssen.“

Bio-Statistiker Leonhard Held, Universität  Zürich.

Bio-Statistiker Leonhard Held, Universität Zürich.

© Roger Nickl

Er kritisiert auch, dass kein Statistiker an dieser Studie mitgearbeitet habe, und vor allem: Die Rohdaten sind in Drostens Pre-Paper nicht veröffentlicht. Laut Held hätten Kollegen aus dem Ausland die Autoren um die Rohdaten gebeten, sie aber nicht erhalten. „Es kann natürlich sein, dass sie einfach sehr beschäftigt sind“, sagt Held, „und deshalb kein Feedback geben. Jedenfalls ist es nicht im Sinne der heute üblichen Open Sience nicht ideal, dass man die Daten nicht veröffentlicht.“

Held kritisiert an der Methode, dass die Autoren nur in Altersgruppen gearbeitet haben. Sie haben die Virenlast der Personen nicht individuell angeschaut, sondern je nach Altersklasse in einen Topf geworfen. „Wenn man nur die Gruppen analysiert, verliert man Informationen.“ Mit einer linearen Verfolgung hätte man vielleicht sehen können, dass die Virenlast mit dem Alter kontinuierlich zunimmt, so Held. Das sieht auch eine Gruppe von internationalen Kinderärzten so laut ihrer Veröffentlichung.

Nur 49 Fälle von erkrankten Kindern in der Studie

Dies ist wahrscheinlich, weil die Gruppe der 1-10-jährigen Kindern zwar als einzige, aber eben doch einen signifikanten Unterschied aufweist (wenn auch mit nur 49 Fällen vertreten von total 3712). Genau diese Haltung vertritt der Bund: Bis zehn Jahre sind Kinder weniger ansteckend. Daniel Koch sagt sogar: Sie seien ohne Symptome nicht ansteckend.

„Die Studie untersuchte zudem nicht, wie lange die Personen schon krank waren“, sagt Held, „dabei ist bekannt, dass die Virenlast mit der Dauer der Erkrankung sinkt. Das hätte berücksichtigt werden müssen.“

Dass Drostens Pre-Studie nun mit einer Reanalyse von Held kommentiert wird, ist nicht ungewöhnlich – doch während der schnell gemachten Studien in der Coronakrise wir dies noch häufiger praktiziert.

Kinder stecken sich in Haushalten seltener an als Erwachsene

Die Hypothese der weniger ansteckenden Kinder erhält laufend mehr Support. In einer chinesischen Studie wurden von 105 Covid-19-Fällen 392 Kontakte in Haushalten verfolgt: 16 % der Mitbewohner steckten sich an, am häufigsten der Partner/die Partnerin (28%), allgemein Erwachsene in 17% der Fälle und nur 4% der unter 18-jährigen Mitbewohner.

Viele dieser Studien hat die Schottischer Forscherin Muge Cevik gesammelt und auf Twitter veröffentlicht. Darin kommt sie ausserdem zum Schluss, dass man sich relativ nahe und lange exponieren muss, um sich mit dem Coronavirus anzustecken. Wie auch diese Studie im The Lancet zeigt.