Schwertkampf-Training online und im Wohnzimmer – wie funktioniert das?

 

«Sieht gut aus, noch einmal», tönt es aus dem Fernseher, wo Master Giovanni wieder so nahe gekommen ist, als ob er wirklich direkt in die Stube der Greiers schauen würde. «Funktionierts?» fragt er nach der schwierigsten Aufgabe. Vom Duo Greier gibt es zwei Daumen nach oben. «Noch vier Minuten», sagt der Master nach einem Blick auf die Uhr und befiehlt Rumpfbeugen und Liegestützen. Elias Greier könnte noch stundenlang weitermachen, als auf einmal der Bildschirm weiss wird. Etwas gar abrupt endet das Live-Videotraining, die sonst traditionelle Verabschiedung entfällt. Die Gratis-Version der Zoom-App ist auf 45-minütige Sequenzen beschränkt. «Wir haben auch schon geplaudert nach einem Training mit denen, die noch im Chat blieben. Da hatte jener Master wohl eine Business-App», sagt Manuel Greier, lacht und wischt sich den Schweiss von der Stirn. «Gut wars», finden er und Elias, und wollen sich beim nächsten Training wieder einklicken.

Hier gibt es Impressionen von der Haidong-Gumdo-Schweizer-Meisterschaft 2017 in Dagmersellen.

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Gleich geht es los. Manuel Greier und sein neunjähriger Sohn Elias sind bereit fürs Haidong-Gumdo-Training. Der 40-Jährige zupft den schwarzen Gurt zurecht, der Sohnemann richtet seinen Blaugurt. Der Dobok, wie der traditionelle Anzug der Schwertkämpfer heisst, soll im Training genauso korrekt sitzen wie bei Prüfungen und Wettkämpfen. Normalerweise trainieren die Greiers im Dojang in Hägendorf. Dieses ist, wie alle Schweizer Sportstätten, wegen des Corona-Virus zu. Alle Haidong-Gumdo-Events bis im Juni wurden abgesagt oder verschoben.

Die Swiss Haidong Gumdo Association, der nationale Dachverband, hat sich aber etwas einfallen lassen, damit «gemeinsame» Trainings möglich bleiben. Der Vorstand und die Master des Verbandes bieten seit gut zwei Wochen Video-Livetrainings an. Den Online-Link kann jeder bestellen, der sonst in einem Dojang dem Haidong Gumdo frönt – und im Wohnzimmer oder im Garten mitmachen. Schwertkampf in der eigenen Stube – wie funktioniert das? «Es ist speziell», sagt Manuel Greier, «wir schoben das Sofa beiseite, um Platz zu gewinnen. Und es sind nicht alle Übungen mit dem Schwert möglich, die Decke hängt ja tiefer als im Dojang.»

Erst winken sie einander zu, dann schwitzen sie

Manuel Greier hat seinen Laptop mit dem Fernseher verbunden, damit er und Elias die Instruktionen auf dem grossen Bildschirm gut sehen. Punkt 18.30 Uhr erscheint Master Giovanni Ambesi vom Dojang in Meggen. Er ist heute der Trainingsleiter und begrüsst alle, die auf der kostenlosen Plattform «Zoom» in einer Art Telefonkonferenz zugeschaltet sind. Auf dem Monitor sind auf kleinen Rechtecken rund 30 Teilnehmende zu erkennen. Aus Finnland, England und Italien ist jemand dabei und aus allen Regionen der Schweiz. Viele kennt Manuel Greier. «Hallo Sabrina», ruft er und winkt, als er mit seinem Sohn nah am Fernseher kauert, «schau da ist Claudia, und da winkt Ralf.» Jetzt wird deutlich, warum die Swiss Haidong Gumdo Association das Video-Livetraining in Form einer Konferenzschaltung durchführt. «Wir sind wie eine Familie. Dieses Gemeinschaftsgefühl wollen wir auch in dieser aussergewöhnlichen Zeit pflegen», sagt Manuel Greier, «das Video-Training gibt dir das Gefühl, mit anderen unterwegs zu sein, die Idee ist mega.»

Vor dem Live-Training begrüssen sich die Teilnehmenden, die sich aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland einklicken.
Vor dem Live-Training begrüssen sich die Teilnehmenden, die sich aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland einklicken.

 

Zum Aufwärmen kreisen alle in ihrem Zuhause mit den Armen, Hüften und Knien, dehnen die Muskeln rund ums Handgelenk und im Nacken. Dann greift Master Giovanni nach einem Springseil. «Wir hüpfen ein paar Minuten, wer kein Seil hat, tut einfach so, als hätte er eines in den Händen.» Die Greiers lachen, «zum Glück hab ich keines», sagt Manuel und springt an Ort und Stelle. Der jüngere Sohn Noel hat für Elias ein Seil aufgetrieben. Master Giovanni wirft einen kritischen Blick auf seine Schützlinge. Die Konferenzschaltung ermöglicht ihm den Blick in die 30 privaten Trainingszimmer. «Wenn er nahe an seinen Bildschirm tritt, kann er korrigieren und Tipps geben, fast als würde er vor einem stehen», sagt Manuel Greier. «Weiter so, springen springen springen», tönt es aus den Lautsprechern. Die Greiers geraten ins Schnaufen – und sind wohl wie alle anderen froh, dass sie ihre Mikrofone vor Trainingsbeginn auf «stumm» geschaltet haben. Nur der Master spricht und soll zu hören sein. Sonst wäre so manches Lachen erklungen, als der Übungsleiter die An-Ort-Renn- und Spring-Sequenzen namens Krokodil, Frosch und «Speedy Gonzales Maus» in mehreren Sprachen erklärte.

Durch begrenzten Raum zum Perspektivenwechsel

Dann dürfen alle ein paar Mal tief ein- und ausatmen. «Nun greift zum Schwert, wenn ihr eines bereit und genügend Platz habt», sagt der Master. Elias Greier schnappt sich sein Holzschwert. Sein Vater absolviert die Übungen ebenfalls mit einer hölzernen Version statt mit seinem richtigen Schwert, «weil das kürzer ist und ich so sicher keinen Strich an die Decke ziehe.» Der begrenzte Raum sei Herausforderung und gute Übung zugleich. «Eigentlich nutzt du die Weite und Höhe, um mit voller Energie mit dem Schwert zu arbeiten, das Training in der Stube führt zu einer Art Perspektivenwechsel. Es wird einem bewusst, dass grundsätzlich ein Quadratmeter reicht, um viele Formen sauber und kraftvoll zu zeigen.» Master Giovanni zeigt vor, welche Schwertführungsübungen und Bewegungsabläufe die Frauen, Männer und Kinder am anderen Ende der «Leitung» üben sollen. Manuel Greier wirft, während er die strikt vorgegebenen Bewegungen ausführt, ein Auge auf Elias. Er macht seine Sache mit wenigen Tipps des Papas souverän. Nächstes Mal will auch sein Bruder und Gelbgurtträger Noel (7) mittun.

Manuel Greier kam vor acht Jahren zum Haidong Gumdo. Ein Lehrerkollege an der Schule in Oftringen stellte die koreanische Form der Schwertkampfkunst mit mehr als 1700 Jahre alter Tradition vor. Mittlerweile ist Greier Instruktor und hat die Leitung des Chong Yong Dojangs in Hägendorf inne. Er geniesst es an jenem Abend, mal wieder instruiert zu werden, statt selbst Anweisungen zu geben.

Aus Platzgründen wird das kürzere «Holzschwert» verwendet.
Aus Platzgründen wird das kürzere «Holzschwert» verwendet.