
«Die Willkür ist nicht nachvollziehbar»
Es herrscht gespenstische Ruhe, wo sonst jeden Tag viele Tonnen Eisen bewegt und Hunderte Kilometer zu Fuss oder auf dem Velo abgespult werden. Wie viele andere Branchen hat die Corona-Krise auch die Fitnesscenter hart erwischt. Vor fünf Jahren hat Marc Esslinger das Physical Fitness übernommen, musste zuerst damit umgehen lernen, dass seither in der Region mehr als zehn neue Fitnesscenter eröffnet wurden und sieht sich nun einer ganz neuen Problemstellung gegenüber. Wie geht er damit um?
Was haben Sie in den letzten vier Wochen, seit Sie Ihr Fitnessstudio wegen der Corona-Pandemie schliessen mussten, gemacht?
Marc Esslinger: Es gibt zwei Aspekte. Privat habe ich noch einen Grosseinkauf Beton gemacht, im Wissen darum, dass ich am Haus weiterarbeiten werde, wenn ich das Studio schliessen muss. Ausserdem geniesse ich die Zeit mit der Familie. Geschäftlich musste ich natürlich zuerst alles regeln. Ich habe sicher eine Woche gebraucht, bis alles organisiert war. Ich habe 100 Prozent Kurzarbeit beantragt und mich mit meinem Treuhänder besprochen, wie mit welcher Geldforderung umgegangen werden muss.
Sind Sie selbst zwischendurch im Studio und trainieren?
Ich bin sicher zwei bis drei Mal pro Woche hier und schaue noch öfters nach der Post. Ich trainiere mit meiner Frau zwei Mal wöchentlich im Studio, allerdings bei Dunkelheit, damit ja niemand auf die Idee kommt, reinzuschneien. Das müsste eigentlich erlaubt sein. Der Rest der Angestellten ist aber nicht hier anzutreffen, ausser sie nehmen im obersten Raum ein Video auf, welches dann alle Mitglieder zuhause schauen und mittrainieren können. Den Rest versuchen wir konsequent zu vermeiden, weil es nicht erlaubt ist.
Hobbysportler, die sich regelmässig körperlich ertüchtigen, fragen sich, wie schnell es geht, bis die hart erarbeiteten Muskeln oder die Kondition wieder weg sind.
Bezüglich Muskulatur ist es so, dass es rund 14 Tage geht, bis die Muskulatur langsam abbaut. Dann kommt es natürlich auch noch darauf an, was du beruflich machst, ob du beispielsweise noch auf einer Baustelle tätig bist oder auch das nicht mehr geht. Es kann relativ zügig eine Spirale abwärts geben, die du auch merken wirst. Wenn du dann wieder zu trainieren beginnst, wirst du sicher einen Drittel weniger Gewicht nehmen können. Es wird aber auch wieder relativ schnell kompensiert, die Muskulatur bleibt relativ lange in Bereitschaft und es geht schnell wieder vorwärts. Selbstverständlich kommt es aber darauf an, wie lange der Lockdown noch dauert.
Was raten Sie dem «normalen» Fitnessstudio-Besucher für die Zeit zuhause?
Aktiv bleiben, nach draussen oder in den Wald gehen, mindestens spazieren, wenn nicht sogar joggen. Zuhause kann man auch bestens Übungen mit dem Eigengewicht machen oder auf den Vita-Parcours, wo es vorgeschriebene Übungen gibt. Meistens fehlt einfach ein bisschen die Fantasie und dann kann es einseitig werden. Oder Videos mit Anregungen schauen.
Bieten Sie auch Gruppenlektionen im Netz an?
Mehrere Instruktoren produzieren momentan für unsere Kunden Livestreams in verschiedenen Bereichen und verbreiten sie über unsere Facebook-Seite. Welche Lektionen wie oft zu sehen sind, kommt nicht zuletzt auf den Goodwill und die Eigeninitiative der Instruktoren an. Schliesslich haben wir Kurzarbeit angemeldet.
Onlineberatungen bezüglich Krafttraining gibt es aber nicht?
Das ist sehr schwierig. Das kommt auf das Niveau an und vor allem darauf, welche Möglichkeiten man zuhause hat. Man müsste die Leute besuchen und das ist ja momentan nicht erlaubt. Im vornherein hätte ich aber das halbe Studio verkaufen können. Es gab Kunden, die Hantelsätze, ein Laufband, ein Velo oder ein Rudergerät mitnehmen wollten. Mittlerweile ist es aber relativ ruhig.
Haben Sie Angst, dass die Kunden nach der Krise ins Netz abwandern, weil jetzt jeder merkt, dass man auch online trainieren kann?
Nicht zwingend, denn diese Möglichkeit gab es schon immer. Vielleicht der eine oder andere, der aber sowieso im Sommer wieder im Freien trainieren will. Viele von ihnen werden aber hoffentlich im Herbst wieder zu uns zurückkommen.
Können Sie den Entscheid eigentlich nachvollziehen, dass Geschäfte, die nicht «überlebensnotwendig» sind, schliessen mussten?
Nein.
Weshalb nicht?
Ich habe manchmal das Gefühl, ich sei zu dumm, um diese Welt zu verstehen. Für mich ist es einfach ein Virus. Vielleicht ansteckender als andere, aber die Mortalität ist nicht grösser als bei einer schweren Grippe. Ich verstehe nicht, weshalb man ausgerechnet hier und jetzt ein solches Tamtam macht und in anderen Jahren nimmt man es hin. Für mich ist auch die Willkür nicht nachvollziehbar: Hier schliesst man, hier lässt man offen. Der öffentliche Verkehr, der Bau, Handwerkerbetriebe oder Garagen werden beispielsweise offengelassen. Andere Firmen, die dieselben Massnahmen treffen könnten, werden geschlossen. Bei den Supermärkten darf man noch eine Person pro zehn Quadratmeter reinlassen. Würde man dieselbe Rechnung für unser Studio machen, dürften bei uns 200 Kunden trainieren und so viele haben wir auf einmal selten im Studio. Wir haben aber nach dieser Panikmache schon vor dem Lockdown gemerkt, dass aus Angst weniger Leute gekommen sind. Deshalb war ich nicht nur unglücklich, als die Massnahmen verschärft wurden, denn so konnte ich auch Einsparungen machen. Andernfalls wären die gesamten Kosten weitergelaufen.
Wie waren die Reaktionen der Mitglieder, als es hiess, das Physical Fitness werde für mindestens fünf Wochen geschlossen?
Ich habe mit einer einzigen Person gesprochen, die komplett verstanden hat, was jetzt abgeht. Über 90 Prozent, mit denen ich geredet habe, mussten aber den Kopf schütteln.
Was bedeutet das finanziell für Sie? Kann man das überhaupt schon abschätzen?
Das kann ich erst abschätzen, wenn ich das Studio wieder öffnen darf. Es wird aber sicher eine fünfstellige Summe sein – trotz Kurzarbeit.
Bangen Sie um Ihre Existenz?
Irgendwann fängt es an zu schmerzen. Es gibt viele Betriebe – wie zum Beispiel unserer –, die sind am Abzahlen. Wir konnten keine Rückstellungen für böse Zeiten machen, weil wir erst vor fünf Jahren das Studio übernommen haben. Irgendwann könnte es tatsächlich eng werden, wenn das Ganze bis zu den Sommerferien dauert.
Zuletzt sind Fitnessstudios in der Region auch noch wie Pilze aus dem Boden geschossen.
In den letzten sechs Jahren wurden in der Umgebung 13 neue Fitnesscenter eröffnet. Das haben wir natürlich gemerkt, obwohl wir uns relativ gut behaupten konnten. Wir sind auf einem guten Level geblieben.
Werden Sie die Abos der Mitglieder automatisch um die Zeit, in der das Studio nicht zugänglich war, verlängern?
Ich hatte schon viele Anfragen diesbezüglich. Aber es ist schwierig zu sagen. Weil es etwas ist, das wir noch nie erlebt haben, bewegen wir uns in einer gesetzlichen Grauzone. Letztlich wird es eine Frage der Solidarität sein. Unser Verband ist mit Hochdruck daran, den ganzen Sachverhalt abzuklären. Wenn absehbar ist, wie lange wir geschlossen haben müssen, werden wir mit den Kunden das Gespräch suchen.
Zahlen Sie derzeit Studiomiete?
Der Vermieter ist uns sehr entgegengekommen und hat uns einen Monat Miete erlassen.
Was für andere Kosten fallen ausserdem durchgehend an?
Das Putzen, das wir extern vergeben haben, ist der grösste Brocken. Dieser Vertrag läuft noch bis Ende April. Dazu etwas Strom und Wasser. Die Kosten sind aber natürlich deutlich geringer als üblich.
Heute Mittwoch soll der Bundesrat wieder informieren. Wann erwarten Sie das O. K., Ihr Fitnessstudio wieder öffnen zu dürfen?
Ich gehe von negativen News aus und erwarte, dass der Lockdown verlängert wird. Ich hoffe, dass nur zwei Wochen dazukommen, rechne aber schlimmstenfalls mit einer Verlängerung bis zu den Sommerferien. Zudem hoffe ich einfach, dass es nicht tröpfchenweise wieder losgeht, denn dann wären die Kosten sehr hoch und wir hätten trotzdem mit Einbussen zu kämpfen.
Marc Esslinger
Alter: 43
Wohnort: Strengelbach
Familie: verheiratet, zwei Kinder – ein Mädchen (12) und ein Junge (9)
Erlernte Berufe: Siebdrucker, dann Ausbildung zum Sozialpädagogen und schliesslich zum Fitnessinstruktor.
Physical Fitness: Trainieren im Studio seit dem Jahr 2000, angestellt seit dreizehn Jahren und das Studio übernommen vor fünf Jahren.
Beschäftigte: Um die 37 Angestellte, insgesamt etwa zehn Vollzeitstellen.