
Badener Corona-Patient (48) lag acht Tage im Koma auf Intensivstation: «Ich habe keine Vorerkrankungen»
Wenn man mit Marc Halter am Telefon spricht und seine kräftige Stimme hört, würde man nicht glauben, dass er vor zwei Wochen um sein Leben kämpfte – wegen des Coronavirus. Und das, obwohl der 48-Jährige nicht im Ansatz einer Risikogruppe angehört. «Ich hatte keinerlei Vorerkrankungen, rauche nicht und bewege mich auch viel und regelmässig.»
Anfang März hätten sich bei ihm die ersten Grippesymptome gezeigt. «Obwohl das Virus damals schon für Schlagzeilen sorgte, dachte ich nicht an Corona», so Halter. Vielmehr dachte der Primarlehrer, er habe eine normale Grippe aufgelesen. Fieber habe er kein hohes gehabt, dafür aber gefroren und über Gliederschmerzen geklagt. «Ich war aber extrem schwach und habe gemerkt, dass dies ein gröberes Kaliber war», erinnert sich Halter. Nach rund fünf Tagen habe er plötzlich Mühe mit Atmen bekommen. «Meine Hausärztin hat mich untersucht und den Beginn einer Lungenentzündung diagnostiziert und mich ans Kantonsspital Baden überwiesen.»
Nachdem er im KSB positiv auf das Coronavirus getestet worden war, blieb er die nächsten zwei Tage auf der Allgemeinabteilung, «bevor sich meine Sauerstoff-Sättigung plötzlich massiv verschlechterte und ich zur besseren Überwachung auf die Intensivstation verlegt wurde». Diese Momente habe er bewusst wahrgenommen. «Panik hatte ich keine, aber Angst vor der künstlichen Beatmung und darüber, die Kontrolle zu verlieren», sagt Halter. Auch habe er sich machtlos gefühlt, weil seine Familie zu Hause war und er nichts gegen die Situation habe machen können. «Gleichzeitig fühlte ich mich im KSB wahnsinnig gut aufgehoben», betont Halter. Weil sich sein Zustand weiter verschlechterte, entschieden die Ärzte, Marc Halter in ein künstliches Koma zu versetzen und ihn künstlich zu beatmen. Er habe seiner Frau und seinen zwei Töchtern im Teenageralter vor diesem Schritt angerufen und gesagt: «Ich schaffe das!»
«Habe die Verarbeitung unterschätzt, weinte viel»
Das tat er denn auch: Nach acht Tagen wurde er langsam wieder aus dem Koma geholt. An diese Woche hat Halter natürlich keine Erinnerung. «Offenbar haben Freunde und Familie mir Lieder und bekannte Stimmen per Whatsapp geschickt, die das Spitalpersonal mir dann vorgespielt hat.» Der Aufwachprozess selber sei dann «heavy» gewesen. «Man verliert völlig das Gefühl für Raum und Zeit. Ich hatte wegen der starken Medikamente regelrechte Halluzinationen und ein extremes Durstgefühl.» Nachdem ihm der Beatmungsschlauch entfernt worden sei, habe er noch drei Tage auf der Allgemeinabteilung verbracht. «Die Nächte waren sehr schwer. Ich bin sonst einer, der sofort ein- und durchschläft. Im Spitalbett hat es aber angefangen zu drehen und ich habe mich regelrecht in etwas hineingesteigert.»
Deshalb war Marc Halter froh, als er vor gut einer Woche – nachdem er zweimal negativ auf das Coronavirus getestet worden war – aus dem Spital entlassen wurde. «Das Wiedersehen mit meiner Familie war natürlich sehr emotional und berührend.» Die erste Nacht wieder zu Hause und bei seinen Liebsten habe ihm sehr gutgetan. «Doch ich habe den psychischen Verarbeitungsprozess wohl unterschätzt. Ich musste immer wieder weinen und wurde vom Erlebten eingeholt.»
Nun ist auch seine Frau am Coronavirus erkrankt
Doch viel Zeit zum Grübeln bekam Marc Halter gar nicht. Denn nur wenige Tage nach seiner Heimkehr wurde seine Frau positiv auf das Coronavirus getestet. «Sie muss sich wahrscheinlich kurz vor dem Spitaleintritt bei mir angesteckt haben», so Halter. Die Diagnose war vor allem für die beiden Töchter ein harter Schlag, hatten sie doch erst gerade zwei Wochen in völliger Quarantäne verbracht. «Wir haben natürlich sofort auch sie beide getestet, aber sie waren negativ. Doch gerade bei meiner älteren Tochter kann es gut sein, dass sie das Virus schon hatte. Wir sind froh, wenn bald Antikörpertests zur Verfügung stehen.»
Seiner Frau gehe es den Umständen entsprechend gut, sie habe nur leichte Grippesymptome, verlasse aber das Zimmer nicht. «Zum Glück werden wir von Freunden unterstützt. Denn meine Kräfte reichen noch nicht aus, um den Familienalltag zu stemmen.»
Auch wenn er keine bleibenden Schäden davongetragen hat, stellt sich Marc Halter auf einen langen Genesungsweg ein. «Meine Schulleiterin hat mir gesagt, dass ich mir viel Zeit lassen soll. Ich hoffe, ich werde nach und nach wieder in den Beruf zurückkehren können – wahrscheinlich in Form des derzeit bestehenden Fernunterrichts.»
Was bleibt nach diesem Erlebnis? «Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich jetzt bewusster lebe. Das haben wir schon vor der Erkrankung getan und auch unseren Töchtern vermittelt, wie unglaublich privilegiert wir es hier in der Schweiz haben.»
Aber es sei schon «eingefahren», wie «ein fernes Virus in China» plötzlich das eigene Leben auf den Kopf gestellt habe. «Ich denke, wir alle haben zu spät realisiert, was für eine Gefahr da auf uns zukommt. Ich glaube und hoffe, die Gesellschaft wird daraus die richtigen Lehren ziehen.»