1150 Stufen zum Nachdenken über das Corona-Virus

Es ist eine Art Triathlon, was ich am Donnerstagnachmittag absolviere. Er besteht aus Radfahren, Laufen und Nachdenken. Vom Homeoffice radle ich zum 1000er-Stägli. Am Fusse der Bornstiege parkiere ich mein Velo. Es ist ruhiger hier, als ich dachte. Nur wenige Läuferinnen und Läufer nehmen die 1150 Stufen in Angriff. Es ist kein Problem, den momentan so wichtigen Abstand zu anderen Menschen einzuhalten. Wie immer gerate ich nach den ersten 200 Stufen ausser Atem. Ob es sich so anfühlt, wenn bei Infizierten das Corona-Virus ausbricht? Ich halte auf dem nächsten Zwischenboden an, verschnaufe und bin dankbar, dass meine Lunge sich sofort erholt. Das Corona-Virus auszukurieren dauert bekanntlich einiges länger, schiesst es mir durch den Kopf.

Weiter geht es. Einer, der das 1000er-Stägli abwärts bezwingt, kommt mir entgegen. Er spuckt ins Laub und ich hüpfe verunsichert zur Seite, ehe wir uns kreuzen. Ob das noch unter «Social Distancing» geht, wenn sich Breitensportler so nahe kommen? Mit jedem Atemzug, der mir schwerer fällt, verdränge ich solche Gedanken und halte mir vor Augen, dass ich eigentlich etwas Gutes für mich und meine Fitness tue. Bis die Stufe kommt, auf der «Zum Andenken an Oski Reichert» steht. Er war einer der 1000er-Stägli-Pioniere und Teil des Unterhaltstrupps. Heute besteht jene unermüdliche Equipe, die das Stägli pflegt, aus älteren Menschen. Für sie ist das Corona-Virus besonders gefährlich. Sie führten auch diesen Montag ihre ehrenamtliche und lobenswerte Arbeit am Born aus. Ich hoffe, sie tragen momentan ganz fest Sorge zu sich.

Das nächste kleine Täfelchen an einer Stufe lässt mich schmunzeln: Happy 2020. Glück können wir heuer alle brauchen. Nun noch die letzten 150 Treppchen, sie sind so steil, wie die Kurve an Covid-19-Infizierten hoffentlich nicht ansteigen wird. Im Ziel oben bin ich happy und k.o und in guter Gesellschaft. David (7) aus Oftringen sagt mir, er habe das Stägli «bubi» gefunden, nicht streng. Sein Vater lacht und ist froh, können sich seine Kinder im Wald austoben, solange Sohnemanns Handballtraining ausfällt. An ein reguläres Training kann derzeit auch Severin Staub nicht denken. Der 17-jährige Schwinger aus Melchnau wagte sich deshalb erstmals aufs 1000er-Stägli. «Ich habe keine Angst, mir hier was einzufangen, man kann ja Abstand nehmen», sagt er, «irgendwie muss ich mich ja bewegen. Wenn wir dann nicht mehr raus dürfen, wird es richtig hart.»

Via Rundweg renne ich zum Ausgangspunkt des Stäglis zurück. Dort ist nun alles anders, rund zwei dutzend Leute warten darauf, die Stufen hinauf zu laufen. Sie versuchen, Abstand zu halten, auch unterwegs. Trotzdem bin ich nicht sicher, ob das 1000er-Stägli momentan eine wirklich gesunde Trainingsgelegenheit ist. 

Das 1000er-Stägli


Die Bornstiege wurde ab 1896 entlang der Druckleitung des inzwischen zurückgebauten Hochdruck-Speicherkraftwerkes Ruppoldingen gebaut und 1904 in Betrieb genommen. Die Speicherteiche oben auf dem Born existieren noch, die Leitung ist hingegen abgebaut. Der Hausberg Born Aarburg liegt auf 420 m über Meer. Der Kulminationspunkt des Born, ein Ausläufer des Juragrates, liegt 664 m über Meer. Die Strecke des 1000er-Stäglis ist rund 515 m lang. Die Bewältigung der 244 m Höhendifferenz auf einer Strecke von nur etwa einem halben Kilometer entspricht einer Steigung von 47,3 Prozent.