
«Das Vorgehen ist einfach nur peinlich und unprofessionell»: Mitte und GLP kritisieren Krisenmanagement der Regierung scharf
Am Montag wurde publik, dass in 27 Schulen im Aargau wegen Corona-Ausbrüchen wieder Maskenpflicht gilt. Zudem zeigten Recherchen der AZ, dass sich vier Mitarbeiter des Contact-Tracing-Centers angesteckt haben und das Conti bei der Bearbeitung von rund 500 Fällen im Rückstand ist.
Am Dienstag traf sich das Kantonsparlament zum ersten Mal seit anderthalb Jahren wieder im Grossratsgebäude in Aarau zur Sitzung. Im Ratssaal galt eine strikte Maskenpflicht, mit Ausnahme der Zeit am Rednerpult. Diese wurde durchwegs eingehalten, die Coronamassnahmen vor Ort waren im Rat kein Thema. Sehr wohl thematisiert wurde hingegen die Covid-Situation im Aargau und das Krisenmanagement des Regierungsrats.
Mitte-Grossrat: Vorgehen des Kantons ist «einfach nur peinlich»
In einer Fraktionserklärung kritisierte Mitte-Grossrat und Schulleiter Jürg Baur das Vorgehen und die Planung des Kantons zur Eindämmung der Pandemie in den Schulen als «einfach nur peinlich und weit weg von Professionalität». Es sei nur schwer nachvollziehbar, dass das Testmaterial zum Schulstart nicht zur Verfügung gestanden habe, bemängelte Baur. Zudem seien keine Nachtests von Klassen vor Ort möglich gewesen, und diese Woche habe die automatische Nachbestellung der Test-Sets nicht funktioniert.

Mitte-Grossrat und Schulleiter Jürg Baur.
«In der Zwischenzeit konnte sich das Virus munter weiterverbreiten», sagte der Mitte-Grossrat und ergänzte, es sei absehbar gewesen, dass Ferienrückkehrer zu mehr Coronafällen führen würden. Dennoch sei das Contact-Tracing offenbar überfordert, die Regierung warte lange, bis sie Entscheide treffe, es gebe immer wieder unnötige Nachfragen – «das können wir nicht akzeptieren», sagte Baur.
GLP fordert, dass alle Schulen repetitive Tests anbieten müssen

GLP-Fraktionspräsidentin Beatrice Portmann.
Danach ergriff GLP-Fraktionspräsidentin Barbara Portmann das Wort und sagte, ihr fehle eine Sensibilisierung der Bevölkerung darüber, «dass wir aktuell am selben Punkt stehen, wo wir letztes Jahr im September standen». Ohne konsequentes Handeln drohe eine erneute Überlastung des Gesundheitssystems, warnte Portmann. Für die GLP braucht es neben den freiwilligen Pool-Tests an Schulen «schnell und zielgerichtete weitere Massnahmen, um Kinder vor einer Corona-Infektion an Schulen zu schützen».
Dass man eine Durchseuchung der Kinder in Kauf nehme, sei keine Option, betonte Portmann. Die Grünliberalen fordern deshalb kantonale Vorgaben, wo immer dies rechtlich möglich sei. Dies könne eine Kombination aus Maskentragpflicht, richtigem Lüften und C02-Messgeräten umfassen, sagte Portmann. Als wichtigste Sofortmassnahme sieht die GLP-Fraktionschefin, dass die Schulen verpflichtet werden, das repetitive Testen anzubieten.
Handelskammer, Gesundheitsverband und sechs Parteien rufen zum Impfen auf
Kurz nach Beginn der Ratssitzung traf bei der Redaktion die Mitteilung einer ungewöhnlichen Allianz ein: die Aargauische Industrie- und Handelskammer (AIHK), der kantonale Gesundheitsverband (Vaka) und die Kantonalparteien FDP, Mitte, EVP, GLP, SP und Grüne rufen die Aargauer Bevölkerung dazu auf, sich impfen zu lassen. Es sei den Parteien und Verbänden ein grosses Anliegen, eine erneute Ansteckungswelle sowie schwere Verläufe bei Covid-19-Erkrankungen zu verhindern, heisst es in der Mitteilung.
Mit einer Impfung und einer höheren Impfquote liessen sich weitere Einschränkungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Alltag verhindern, steht im Aufruf. «Gleichzeitig bildet die Impfung auch einen Akt der Solidarität: Jede und jeder, der sich impfen lässt, entlastet auch jene in der Gesellschaft, die sich nicht impfen lassen können.» 98 Prozent der neuen Infektionen treffen gemäss der Mitteilung ungeimpfte Personen – «das wäre nicht nötig», schreiben die Parteien und Verbände. Und sie halten fest: «Wer sich impfen lässt, hilft mit, einen Anstieg der Fallzahlen zu verhindern und leistet einen Beitrag, dass wir zur Normalität zurückkehren können.»
Gallati: Personal für Aufstockung der Intensivbetten um 20 Prozent fehlt

Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati.
Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati (SVP), dessen Partei den Impfaufruf nicht mitträgt, äusserte sich im Grossen Rat nicht direkt zur Kritik der Mitte und den Forderungen der GLP. Gallati wies am Nachmittag bei der Diskussion über die Entschädigung der Spitäler für Ausfälle und Mehrkosten wegen der Pandemie darauf hin, dass der Kanton am Beginn der vierten Pandemiewelle stehe.
Der Regierungsrat sagte weiter, insbesondere die Angestellten in den Intensivstationen der Spitäler hätten die Hauptlast bei der Bewältigung der Pandemie getragen. Es dürfte kaum möglich sein, die Zahl der Intensivbetten im Aargau erneut um 20 Prozent zu steigern, weil dafür nicht genug Pflegepersonal vorhanden sei, mahnte Gallati.
Grosser Rat genehmigt Spitalentschädigungen von 125 Millionen Franken
Zu den Entschädigungen der Spitäler sagte der Regierungsrat, eigentlich müsste der Bund, der die Operationen verboten habe, einen Teil der Kosten übernehmen. Bisher sei aber nichts in diese Richtung passiert, eine entsprechende Standesinitiative aus dem Aargau sei in Bern noch nicht einmal in der Vorberatung. Auch FDP-Grossrat Tobias Hottiger sagte, es sei äusserst störend, dass der Bund die Einschränkungen verfügt habe und der Kanton bezahlen müsse.
Dennoch unterstützten die FDP und alle anderen Fraktionen im Grossen Rat den Antrag für einen Kredit von 125 Millionen Franken, um die Spitäler zu entschädigen. Auf diesen Betrag hatten sich die Regierung und die vorberatende Kommission geeinigt, wie deren Sprecher Severin Lüscher sagte. Der Grünen-Grossrat betonte weiter, es gehe nur um den Gesamtbetrag, die Verteilung der Gelder an die einzelnen Spitäler werde durch eine Verordnung geregelt.
Der Grosse Rat genehmigte den Kredit von 125 Millionen Franken ohne Diskussion und mit 127 zu 0 einstimmig. Ob die ganze Summe gebraucht wird, ist laut Gallati noch offen – er rief die Grossratsmitglieder auf, sich bei Aargauer Bundesparlamentariern dafür einzusetzen, dass der Bund doch einen Teil der Ausfälle übernimmt.