
Aarau-Goalie Nicholas Ammeter: «Ich will keinen Jugendbonus»
«Kein Spieler kann sich von sich behaupten, bislang eine gute Saison zu spielen», sagt Sandro Burki über das enttäuschende erste Saisondrittel. Das Zwischenfazit des Sportchefs gilt also auch für Nicholas Ammeter. Im Sommer wurde der 18-Jährige zum jüngsten Stammgoalie des FC Aarau, ein Jahr früher als geplant, weil eine erneute Ausleihe von Djordje Nikolic vom FC Basel nicht zustande kam. Wie blickt Ammeter auf die ersten Gehversuche als Profigoalie zurück? Fühlt er sich von seinen Vorderleuten im Stich gelassen? Und woher kommt seine Stärke mit dem Ball am Fuss? Wir haben ihn am Mittwoch im Restaurant Rathausgarten getroffen.
Nicholas Ammeter, Sie sind gerade auf der Durchreise: Am Vormittag Schule, Mittagessen zuhause und nach unserem Gespräch Training. Wie bewältigen Sie den vollgepackten Alltag?
Nicholas Ammeter: Die Schulnoten sind nicht schlechter geworden und ich fühlte mich bislang vor keinem Training mental nicht bereit – also alles okay. Im Gegenteil: Ich fühle mich privilegiert.
Wie meinen Sie das?
Erst einmal, weil ich meinen Traum leben darf. Das tönt kitschig, ist aber so: Als Kind habe ich im Brügglifeld die früheren FCA-Goalies Ivan Benito und Joël Mall bewundert und wollte sein wie sie. Zudem bin als Fussballer privilegiert gegenüber meinen Mitschülern an der Sportkanti: Sie erhalten weniger Dispensen für Trainings und viele von ihnen müssen Sponsorengelder auftreiben, um ihren Sport zu finanzieren: Ein professionelles Kajak zum Beispiel kostet mehrere tausend Franken. Dagegen sind 300 Franken für Fussballschuhe ein Klacks.
Haben Sie sich überlegt, die Schule, die Sie noch bis 2021 besuchen, zugunsten der Profikarriere abzubrechen?
Das war kein Thema. Raoul Giger, Marco Thaler oder Mats Hammerich sind den gleichen Weg gegangen und haben bewiesen, dass man trotz Doppelbelastung als FCA-Profi Fuss fassen kann. Meine Eltern haben mir klargemacht: Erst die Matur, dann der hundertprozentige Fokus auf den Fussball. Und die Schule ist ein guter Ausgleich für den Geist.
Mit dem Sprung ins FCA-Tor sind Sie auch in den Fokus von Fans und Medien geraten. Wie gehen Sie damit um?
Wenn ich in der Stadt unterwegs bin oder am Bahnhof warte, spüre ich, dass mich einige Leute erkennen. Ich wurde auch schon angesprochen. Das war anfangs speziell, aber bislang immer respektvoll.
Von den 28 Gegentoren in den bisher zwölf Ligaspielen mussten Sie nur das vierte beim 2:5 in Vaduz auf Ihre Kappe nehmen. Trotzdem wird die Gegentor-Flut auch mit Ihrer Person in Verbindung gebracht, konkret mit Ihrer Jugendlichkeit.
Die kritischen Stimmen gab es schon vor der Saison und sie haben mich nur zusätzlich angespornt. Ich bin überzeugt, dass ich ins Tor des FC Aarau gehöre und das will ich dem Trainer jede Woche aufs Neue beweisen.
Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Sandro Burki hat recht mit seinen Worten: Auch ich habe bislang keine gute Saison gespielt. Ich will keinen Jugendbonus. Die Leistung ist entscheidend, nicht das Alter. Ich habe zwar ausser jenem in Vaduz keine krassen Böcke geschossen: Doch mein Ziel ist es, auch sogenannte unhaltbare Bälle zu parieren. In diesem Punkt bin ich nicht zufrieden.
Sie sind nicht zu beneiden: Ausgerechnet in Ihrer Debütsaison hat der FC Aarau massive Defensivprobleme. Fühlen Sie sich im Stich gelassen von Ihren Vorderleuten?
Wie gesagt: Ich lehne mich zuhause nicht zurück und denke: Schuld an den vielen Gegentoren haben die anderen. Es gibt Gegentore, die sind in den Augen der Zuschauer für den Goalie nicht zu verhindern. Bei der Analyse mit Goalietrainer Flamur Tahiraj zeigt sich dann jedoch ein anderes Bild: Manchmal können kleinste Details entscheidend sein, etwa den Fuss 20 Zentimeter weiter nach vorne zu stellen – und ich hätte den Ball halten können. Das Gleiche umgekehrt bei Gegentoren, bei denen es heisst, der Goalie sieht nicht gut aus: Die landläufige Meinung ist, der Goalie müsse auf jede Flanke in den Fünfmeter-Raum kommen. Diese Pauschalisierung greift zu kurz, beim Herauslaufen entscheiden viel mehr Faktoren.
Tönt, als hätten Sie noch nie einen perfekten Match gespielt.
Den perfekten Match werde ich nie spielen, es gibt immer Dinge zu verbessern. Ich will an den Punkt kommen, an dem ich in jeder Spielsituation intuitiv das Richtige tue.
Ihre Stellvertreter Anthony von Arx, 18, und Marvin Hübel, 16, sind gleich alt oder jünger als Sie. Ich behaupte, ein erfahrener Goalie, an den Sie sich im Training wenden können und der seine Aufgabe darin sieht, Sie besser zu machen, würde guttun.
Einspruch! Wir Drei pushen uns in jedem Training gegenseitig und sind getrieben vom Traum, eine grosse Goaliekarriere zu machen. Ein junger, hungriger Konkurrent bringt mir mehr als einer ohne Ambitionen, selber im Tor zu stehen. Wir sind Konkurrenten, gleichzeitig freuen sich Anthony und Marvin über gelungene Aktion von mir. Genau gleich wäre es von meiner Seite, sollte einer von ihnen spielen.
Haben Sie ausserhalb des FC Aarau einen Mentor, mit dem Sie ihre Leistungen analysieren?
Niemanden, mit dem ich mich regelmässig über meine Technik austausche. Es gibt viele Arten des Goaliespiels, zu viele verschiedene Inputs wären verwirrend. Ich fokussiere mich auf meinen Stil. Letztens aber war Swen König, der beim Schweizerischen Fussballverband zuständig für die Nachwuchs-Goalies ist, im Brügglifeld und ich habe ihn gefragt, wie er auf der Tribüne meine Ausstrahlung wahrgenommen habe.
Was hat er geantwortet?
Dass man mich mittlerweile auch auf der Tribüne wahrnimmt, wenn ich die Teamkollegen dirigiere.
Hat Ihnen dafür anfangs der Mut gefehlt?
Es brauchte schon Überwindung, einem Serey Dié, Zverotic oder Neumayr, die ich früher vor dem Fernseher bewundert habe, Anweisungen zu geben, und das auch schreiend. Mittlerweile habe ich keine Hemmungen mehr und ich merke, dass mein Wort immer mehr Gewicht hat.
Was auffällt: Mit dem Ball am Fuss sind Sie überdurchschnittlich gut.
Heutzutage muss ein guter Goalie ein guter Fussballer sein, in fast 80 Prozent meiner Aktionen habe ich den Ball am Fuss. Der Trainer will, dass wir auch in Drucksituationen den Ball flach spielen, das kommt mir entgegen. Ich übe nach jedem Training Ballannahmen und Pässe – im Gegensatz zum Schusstraining brauche ich dafür keinen Mitspieler.
So kämpft Ammeter für das Stadion
Mindestens so engagiert wie auf dem Fussballplatz ist Nicholas Ammeter daneben: Der 18-jährige waschechte Aarauer (im Gönhard und Zelgli aufgewachsen) setzt sich als Präsidiumsmitglied des Komitees «Unser Torfeld» für ein neues FCA-Stadion ein. «Der FC Aarau ist viel, viel mehr als die Profimannschaft. Der Klub ist ein Aushängeschild für den Kanton und Ansporn für tausende Mädchen und Buben, Sport zu treiben.» Ammeter erinnert sich an seine eigene Kindheit: «Es war ein Privileg, als Aarauer Bub vor der eigenen Haustüre Super-League-Fussball erleben zu können.» Ammeter ist sich sicher, ein neues Stadion gebe dem Aargauer Sport viel Aufschwung. Er sagt: «Die Sanierung des Aarauer Kunsthauses hat für viel mehr Besucher gesorgt als erwartet, die Stadt und die Region profitieren davon. Den gleichen Effekt hätte auch ein neues Stadion. Die ganze Aargauer Sportfamilie unterstützt das Projekt im Torfeld Süd – von allen Verbänden haben wir Vertreter im Pro-Komitee. Man darf den Stellenwert des Fussballs in der Gesellschaft nicht einfach wegdiskutieren, das Stadion Brügglifeld ist eine der bestbesuchten Freizeitstätten im Kanton Aargau.» Der junge Goalie verweist nicht zuletzt auf die Bedeutung des FC Aarau für die Gesellschaft: «Der Frühling, insbesondere die Barrage-Woche, hat eindrucksvoll bewiesen, wie der FCA die Massen mobilisiert. Es wäre unglaublich schade, wenn durch ein Nein in der Stadionabstimmung der Spitzenfussball im Kanton Aargau vom Aussterben bedroht wäre.»