
Gemeindefusionen: Softe und harte Fakten
Vor einer Woche wurde eine neue und flächenmässig die grösste Gemeinde im Kanton ins Leben gerufen. 8 von 9 involvierten Gemeinden im östlichen Rheintal haben an der Urne beschlossen, sich zur Gemeinde Zurzach zusammenzuschliessen. Nein gesagt hat einzig Mellikon – wo 220 Menschen leben.
Den Fokus auf gescheiterte Fusionspläne in der Region Zofingen gerichtet, interessiert, ob es im östlichsten Norden des Kantons ein Erfolgsgeheimnis gab. Exakt dies gab es nicht: Geheimnisse. Ein kritischer Punkt auf dem Weg zur Fusion ist zu wenig Transparenz – zu wenig Information. Eine neue Adresse oder Schulstandorte sind brennende Themen. Kommunikation mit der Bevölkerung ist ein zentraler Erfolgsfaktor, den es professionell anzugehen gilt.
Ein nächster Punkt ist ein psychologischer. Hauptort des Bezirks Zurzach ist Bad Zurzach. Der Name der neuen Gemeinde – Zurzach – ist quasi eine Dachmarke, in der es acht Ortschaften mit eigenen Postleitzahlen und eigenen Wappen gibt. Damit wird den Ortsteilen sehr viel ihrer Identität belassen. Das erinnert irgendwie an den Sechseläuten-Umzug in Zürich, wo ein Teil der Zünfte die Insignien eingemeindeter Stadtteile mit sich führt.
Ein Fusionswunder am Rhein? Das ist es nicht – sondern vielmehr das Resultat einer jahrzehntelangen Entwicklung. In den 1990er Jahren war es, als sich Kleinstgemeinden am Rande des Aargaus – ohne Blick auf die Alpen, dafür hinüber nach Deutschland – entschlossen, ihre Verwaltungen zusammenzulegen. «Verwaltung 2000» nennt sich der Verbund. Sieben Gemeinden betreiben eine Finanz- und Steuerverwaltung, ein Gemeindebüro mit Einwohnerkontrolle – und haben einen gemeinsamen Pool an Gemeindeschreiberinnen und -schreibern. In drei der Gemeinden gibt es weder Schule noch Kindergarten, Ladengeschäft oder Beiz.
Im Zusammenspiel mit der direkten Demokratie ist die Gemeindeautonomie ein wichtiger Erfolgsfaktor des Modells Schweiz – mitverantwortlich für die Bürgernähe und Bedarfsgerechtigkeit der staatlichen Leistungserbringung. Genau diese Autonomie wird aber zunehmend ausgehöhlt. Die Gründe sind die zunehmenden gesetzlichen Anforderungen – die Gemeinde wird mehr und mehr zur Vollzugsebene – und die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger, welche sich heute als zahlende Konsumentinnen und Konsumenten öffentlicher Dienstleistungen sehen.
Die Folgen sind die schleichende Zentralisierung von Aufgaben und Auslagerung eines immer grösseren Anteils von Aufgaben in Gemeindeverbände und andere Formen der Zusammenarbeit. Viele Gemeinden verkommen so – überspitzt formuliert – zu leeren Gefässen, deren letzte Mission es ist, Heimatgefühl zu vermitteln, indem der Schein einer Autonomie aufrechterhalten wird. Das Budget und die Rechnung von Mellikon bestehen zur Hauptsache aus Rechnungen der Zweckverbände, die es ohne grosse Mitsprache bei der Erbringung der Leistungen zu begleichen gilt.
Die Gemeindeversammlung hatte denn auch mit grossem Mehr der Fusion zugestimmt. Was ist inzwischen geschehen? «Motor» waren Neuzuzüger, die hier ihr ländliches Glück gefunden haben und möchten, dass ihr Ort klein bleibt. Und sie befürchten, dass ihnen die künftige Gemeinde Zurzach etwas aufzwingen könnte.