
Bilanz nach 120 Tagen im Amt: «Wir konnten den Eisberg umfahren»
So soll Wikons Verwaltung aufgestellt sein
Die Gemeinde Wikon reorganisiert ihre Verwaltung. Es sollen vier klar voneinander getrennte Abteilungen aufgebaut werden. Doris Fischer wird Leiterin Bau, Infrastruktur und Verkehr; Silvan Gilgen wird die Abteilung Finanzen und Steuern leiten; und Melanie Winiger führt die zentralen und sozialen Dienste inklusive dem Gemeindeschreiberamt. So wandert das Fachwissen in die Verwaltung und geht bei einem Abgang des Gemeinderates nicht verloren. Ausserdem ist es dann nicht mehr zwingend, dass der Gemeinderat ein grosses Fachwissen seines Bereichs besitzen muss. (kpe/mts)
Frau Tschuor, im März sagten Sie, dass Sie Ihren Job darin sähen, zwischen Meinungsmachern zu vermitteln und sie zusammenzubringen. Wie ist Ihnen dies in den ersten 120 Tagen als Gemeindepräsidentin gelungen?
Michaela Tschuor: Ich verstehe meine Rolle noch immer so und habe vieles in diese Richtung erreicht. Manchmal nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Aber das gehört dazu.
Zum Beispiel?
Es gab ein paar Situationen, in denen ganz schnell klar wurde, dass es nicht gelingen wird, die entsprechenden Personen und Meinungen näher zusammenzubringen. Aber auch damit muss man umgehen, auch wenn man weiss, dass es besser wäre, wenn man sich findet.
Haben Sie sich das Amt der Gemeindepräsidentin so vorgestellt?
Ja, das habe ich. Mir war die Arbeit als Vizepräsidentin und interimistische Präsidentin ja schon bekannt. Ich wusste, worauf ich mich einlasse.
Wie hat sich Ihr Privatleben nach der Wahl verändert?
Ich musste wahnsinnig viel zurückstecken. Meine privatwirtschaftliche Tätigkeit musste ich komplett aufgeben, da ich jeden Tag auf der Verwaltung bin. Der Mittwoch ist der einzige Tag, den ich mir freigebe.
Das ist aber deutlich mehr als Ihre 30-Prozent-Anstellung.
Ja, das ist unbestritten. Zu Spitzenzeiten sind es sogar oft 80 Prozent.
Wie würden Sie die jetzige Stimmung im Gemeinderat beschreiben?
Die Stimmung ist gut und professionell, sodass wir zielgerichtet zusammenarbeiten können.
Trotz hängiger Strafanzeige von Finanzverwalter Wolfgang Kunzelmann (SVP), dem der Gemeinderat vergangenen Herbst alle Dossiers entzogen hat?
Ich gebe zu, dass es privat schwierig ist, mit der Anzeige umzugehen. Doch im Gemeinderat merkt man aktuell zum Glück nichts. Wir arbeiten sehr konsensorientiert und professionell. Der Dialog findet statt und es bringen sich alle ein. Ich muss aber ehrlich sagen, dass das von allen Beteiligten viel Grösse brauchte. Dass wir es geschafft haben, eine Art Neuanfang zu machen, war für mich ein wichtiger Meilenstein. Wir sind alle vom Stimmvolk gewählt und diesem verpflichtet.
Wie schaffte der Gemeinderat diesen Neuanfang?
Durch viele Gespräche. Schon bevor ich zur Gemeindepräsidentin gewählt wurde, habe ich mit Herrn Kunzelmann viel telefoniert und diskutiert über das Amt. Mir war klar, dass wir den Dialog wiederaufbauen müssen, wenn wir die Gemeinde vorantreiben möchten.
Welche Arbeiten raubten Ihnen die meiste Zeit in den letzten vier Monaten?
Ganz klar die Personalrekrutierung. Zuvor mussten wir aber die komplette Gemeindeverwaltung reorganisieren, bevor wir überhaupt wussten, wen oder was wir suchen. Wir kamen zum Schluss, dass wir abteilungsleitende Personen brauchen, die auch ein entsprechendes Persönlichkeitsprofil mitbringen. Uns war von Anfang an klar, dass dies ein ambitioniertes Ziel ist.
Wikon besitzt knapp 1800 Einwohnerinnen und Einwohner. Da sollte sich die Organisation der Verwaltung doch einfach gestalten?
Auch in einer kleineren Verwaltung wie der in Wikon sind von Zeit zu Zeit Neuerungen und Strukturierungen notwendig. Dies ist in der Vergangenheit nicht oder zu wenig geschehen. Unsere Verwaltungsangestellten hatten keine klaren Aufgabenverteilungen mehr. Dies führte zu Stress bei den Angestellten und zu Unzufriedenheit bei der Bevölkerung, weil diese nie wusste, wer die Ansprechperson war. Ausserdem verloren wir jedes Mal, wenn ein Gemeinderat demissionierte, ein enormes Wissen. Meiner Meinung nach war nicht der Eklat im vergangenen Oktober ausschlaggebend gewesen für die jetzige prekäre Situation, sondern nur die logische Konsequenz der fehlenden Anpassungen und Strukturen. Es ist für Wikon unabdingbar, dass auf der Verwaltung das ganze Wissen gelagert wird und nicht bei den Gemeinderäten selbst.
Hat der Gemeinderat auch eine Auslagerung der Verwaltung geprüft?
Ja. Der Vorteil daran wäre, dass man das Personal nicht selber rekrutieren muss. Der Nachteil aber, dass für das wenige Personal, das noch hier wäre, keine Stellvertretungsmöglichkeiten bestünden. Die Auswirkungen davon hat die Bevölkerung diesen Sommer gespürt, als wir unsere Öffnungszeiten extrem reduzieren mussten, weil wir schlichtweg nicht genügend Personal auf der Gemeindeverwaltung hatten. Das darf nicht mehr passieren. Wir verstehen Dienstleistung anders. Auch bei der Bauverwaltung haben wir gemerkt: Wikon möchte, dass diese Dienstleistung in der Gemeinde vorhanden ist und auch in Zukunft bleibt.
Wie haben Sie das gemerkt?
Eine Bauverwaltung war bis dato in Wikon nicht existent. Wir mussten viele Dienstleistungen einkaufen, weil wir intern kein Fachwissen zur Verfügung hatten. Bei den Gesprächen mit den Gemeinden Zofingen, Reiden und Dagmersellen wurde uns Hand geboten und wir erfuhren, wie andere Gemeinden diese Herausforderung angehen. In Gesprächen mit der Bevölkerung und der Baukommission wurde dann klar, dass eine eigene Bauverwaltung wichtig ist.
Was können Sie über die drei neuen Mitarbeiter sagen, die Sie eingestellt haben?
Auf den 1. September haben wir Doris Fischer als Bauverwalterin angestellt, die bereit ist, die ganze Abteilung aufzubauen und neu zu gestalten. Sie wird in einem kleinen Pensum ausserdem als stellvertretende Gemeindeschreiberin fungieren. Zur gleichen Zeit kommt Silvan Gilgen zu uns. Er stammt beruflich aus dem Bankensektor und wird die Abteilung Finanzen und Steuern leiten. Ab dem 1. Dezember freuen wir uns auf Melanie Winiger als Gemeindeschreiberin, die zurzeit noch in Buttisholz arbeitet. Sie ist die erste Gemeindeschreiberin mit Luzerner Patent, nach Hans Arnold und Nadja Britschgi. Jemand wie Melanie Winiger, die sich gut im Luzerner Recht auskennt, war unser Wunsch. Sie hat sich in wichtige Themen unserer Gemeinde bereits eingelesen und weiss, was auf sie zukommt. Wir haben nichts beschönigt.
Dann wird sich in Wikon die Situation bald entspannen.
Es ist falsch zu glauben, dass ab dem 1. September alles besser wird. Sie müssen sich zuerst bei uns einleben.
Was wird in Zukunft Ihre Zeit in Anspruch nehmen?
Theoretisch würde das Einarbeiten der drei Neuen reichen (lacht). Im Finanzbereich ist es sicherlich die Umstellung auf das neue Finanzhaushaltsgesetz. Bis Ende Jahr muss sich der Gemeinderat auch im Klaren sein, welches Führungsmodell er möchte. Mit der Umstellung der Verwaltung wird es entweder das Geschäftsleitungs- oder das Geschäftsführermodell. Oder aber es wird eine komplett eigene Lösung für Wikon. Das wird sich zeigen. Auf alle Fälle wird diese Entscheidung weitreichende Konsequenzen haben und viel Reorganisationsarbeit nach sich ziehen. Schlussendlich muss darüber die Wikoner Bevölkerung an der Urne entscheiden.
Wissen Sie schon, ob sie nächstes Jahr wieder kandidieren?
Im Moment konzentriere ich mich voll und ganz auf die Reorganisation. Zentral sind für mich darum die Fortschritte, die wir für die Zukunft erreichen. Vor ein paar Monaten steuerte Wikon noch geradewegs auf einen Eisberg zu und wir waren kurz davor, die Selbstverwaltung abzugeben. Heute kann ich sagen, dass wir den Eisberg umfahren konnten, wenn auch äusserst knapp. Die Umstrukturierung der Verwaltung ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung. Damit sich Wikon weiterhin in eine positive Richtung entwickelt, sind noch einige Meilensteine zu bewältigen und einzig darauf liegt mein derzeitiger politischer Fokus.
Von welchen Meilensteinen reden Sie?
Der Gemeinderat muss die Bevölkerung von einem tauglichen Führungsmodell überzeugen. Negativ Denkende könnten behaupten, dass wir eigentlich schon zu spät sind und dass wir für den nächsten Gemeinderat entscheiden, wie sie zu arbeiten hätten. Ich sage aber, wir räumen auf und ermöglichen ein Amt, das endlich wieder miliztauglich ist. Wenn wir eine Gemeinde mit kompetenten und interessanten Gemeinderätinnen und Gemeinderäten sein möchten, dann muss das Gemeinderatsamt miliztauglich sein. Im Moment ist es nämlich nicht adäquat.