
Wird der Lärmschutz zur Sisyphusarbeit?
Die Vorgabe des Gesetzgebers ist klar – die Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz sind vor übermässigem Lärm zu schützen. Was das ist, definiert eine Verordnung des Bundes mit Grenz- und Alarmwerten. Die gelten nicht nur für Menschen an sehr stark befahrenen Strassen, sondern für alle.
In der Praxis und vor dem Hintergrund sehr hoher Kosten sieht das anders aus. Auf der kleinen Ortsverbindungsstrasse gibt es kaum eine Sanierung an der Quelle – dafür an jedem schönen Sonntagmorgen Töffhorden auf ihrem lauten Ausflug. Mein Nachbar ist Motorradfahrer. Sein Töff ist leise. «Mit so einem wirst du in der Szene nicht ernstgenommen», hat er mir eine entsprechende Frage beantwortet. «Akustisch Aufmerksamkeit erregen, gehört bei einigen Motorrad-Treffen dazu.»
Offenbar gilt dies heute auch für das Auto. Leise ist nur der «Bünzli» unterwegs. Der junge Mann von heute leistet sich einen «fetten Schlitten» mit Auspuffklappe. Einem Balzruf gleich röhrt er mit seinem Boliden bevorzugt innerorts.
Das darf der? Ja und Nein. Die Schweiz hat hier EU-Vorschriften übernommen. Klar verboten sind Systeme, die ausschliesslich dem Zweck dienen, die Geräuschemissionen in bestimmten Fahrsituationen so zu ändern, dass die Lärmgrenzwerte nicht mehr eingehalten werden.
Die werden bei Fahrzeugen mit Klappenauspuffsystemen hörbar überschritten, sobald die Klappe per Knopfdruck geöffnet wird. Nur: Viele teure Fahrzeuge namhafter deutscher Hersteller werden serienmässig oder optional mit einer «Sporttaste» versehen, die für Formel-1-Feeling mit zugehörigem «Sportsound» sorgt. Verboten ist diese Vorrichtung nicht – zu viel Lärm schon.
Aber wie diesen Tatbestand beweisen? Ob ein Auto oder Motorrad bei der Vorbeifahrt gesetzlich zu laut ist, kann die Polizei kaum kontrollieren. Die Vorgaben, wie der Lärm ermittelt werden muss, sind komplett realitätsfern – im Grundsatz eigentlich nur mit einer Prüfung in einem Strassenverkehrsamt. Und auch hier dürfte es bei einem Serienfahrzeug schwierig werden.
Ein Auto oder ein Töff sowie alle seine speziellen Bauteile müssen eine Typenprüfung bestehen, um zugelassen zu werden. Die Schweiz führt die Prüfungen nicht selber durch, sondern übernimmt die Ergebnisse der EU-Zulassungsprüfung – aufgrund der bilateralen Verträge und des Gesetzes über den Abbau von technischen Handelshemmnissen.
Von Töffli-Buben und Auto-Fans der speziellen Sorte abgesehen, werden Motorfahrzeuge eigentlich immer leiser. So leise, dass bereits akustische Massnahmen für Elektromobile gefordert werden. Der künftige Strassenlärm wird primär durch das Abrollgeräusch von Autoreifen verursacht – da helfen innerorts sogenannte «Flüsterbeläge» und Tempo 30 gegen den Lärm.
Lärmschutz greift – wenn er an der Quelle zum Einsatz kommt. Investitionen in den Lärmschutz bringen wenig, wenn Sporttasten erlaubt sind, die den Anwohnern an den Nerven zerren.
Strassenlärm ist ein Lärm. Einen anderen verursachen die Bedürfnisse der 24-Stunden-Gesellschaft. Die neuste Forderung: mehr Méditerranée nördlich der Alpen – Strassenbeizen, die an Wochenenden erst um zwei Uhr schliessen – in Aarau bereits Realität. Was ist mit den hier lebenden Menschen? Wer will so noch in der Altstadt wohnen? Verkommt Lärmschutz an der Quelle zur Sisyphusarbeit?