Virtuell oder lieber traditionell? – Teil 4 der Sommerserie «Sport oder nicht»

Über 100 Millionen Playstation-Konsolen der vierten Generation hat der japanische Elektronikkonzern Sony seit deren Einführung im November 2013 verkauft. Alleine im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres gingen 3,2 Millionen PS4-Geräte über die Ladentheke. Das beweist: Das Interesse an Videospielen ist ungebrochen gross. Doch wer eine Konsole kauft, ist noch lange kein E-Sportler. «Nur gamen, um Spass zu haben, auf dem Sofa zu entspannen oder um in eine andere Welt zu flüchten, reicht nicht», sagt Manuel Oberholzer, Mitgründer und Geschäftsführer der grössten Schweizer E-Sport-Agentur MYI Entertainment.

Damit ein sportlicher Wettkampf zwischen Menschen mithilfe von Computerspielen – so die genaue Definition von E-Sport – stattfinden kann, müssen für Oberholzer vier Kriterien erfüllt sein. «Es braucht Ehrgeiz und ein Wettkampfformat mit Gewinnern und Verlierern», sagt er. Mit der Vermarktung und den Zuschauern komme schliesslich Geld ins Spiel, was die Sache professioneller macht. «Auf diese Weise grenzt sich der E-Sport vom herkömmlichen Gamen ab», sagt Oberholzer.

Vergleicht er diese Richtlinien mit der Definition für Sport im bekannten Stil, kommt er zum Schluss, dass «E-Sport für mich auch dazu gehört». Der gebürtige Ostschweizer, der mit seiner Freundin in Olten wohnt, ist sich bewusst, dass die körperliche Ertüchtigung im E-Sport fehlt. «Man ist trotzdem kognitiv gefordert und nach einem Turnier ziemlich erschöpft», sagt Oberholzer.

Wer professionell zocken will, muss auch professionell leben
Derzeit sind in der Schweiz rund 30 E-Sport-Vereine mit je 20 Spielern in verschiedenen Ligen wie der Swisscom Hero League oder der Swiss Esports League aktiv. «Es gibt aber Tausende, die nicht Mitglied eines Vereins sind und trotzdem auf einem kompetitiven Niveau spielen», sagt Manuel Oberholzer. Obwohl diese E-Sportlerinnen und -Sportler hierzulande nur halbprofessionell zocken, betreiben sie einen hohen Aufwand, um zu den Besten ihres Fachs zu gehören. Zehn Stunden pro Woche werden mindestens in Trainings investiert, hinzu kommen Turniere am Wochenende.

Weil man bei den Games nicht in bestimmte Spielsituationen einspringen kann, erschwert dies das Üben einzelner Bewegungsabläufe. Umso wichtiger ist die Analyse nach dem eigentlichen Training. «Der Spieler bespricht seine Leistung im Idealfall mit einem Coach und zieht daraus seine Schlüsse, um besser zu werden», erklärt Oberholzer.


Der gelernte Hochbauzeichner betont, dass ein Ausgleich zu der Zeit vor dem Bildschirm wichtig ist. «Wie bei den Spitzensportlern gehören auch im E-Sport genug Schlaf und gesunde Ernährung zu einer guten Vorbereitung dazu», sagt Manuel Oberholzer. Die Art des Games hat auf die Höhe der Intensität wenig Einfluss, wichtig ist in erster Linie die Routine. «Strategisches Denken, schnelle Reaktion, mechanisch versiert sein oder bestimmte Kombinationen kennen: Je nach Game sind andere Fähigkeiten gefragt», sagt Oberholzer. Gute Ausdauer, Durchhaltewille und Konzentration seien hingegen immer von Vorteil. «Häufig dauern Spiele im E-Sport viel länger als bei klassischen Sportarten. Die Profis sind dabei stets angespannt und kommen auch schon mal ins Schwitzen», sagt er.

Manuel Oberholzer wird selten mit kritischen Worten zum E-Sport konfrontiert. Die grössere Herausforderung bestehe für ihn darin, immer wieder zu erklären, was er beruflich mache. «Noch steht uns viel Aufklärungsarbeit bevor. Das Gamen wird nach wie vor sehr stigmatisiert», sagt er. Oberholzer sieht im E-Sport eine grosse Chance, weil ein professioneller Gamer einen gesunden Lebensstil führen muss.

Zu einem besseren Verständnis trägt das gestiegene Medieninteresse bei, wie es bei der ersten Fortnite-WM am vergangenen Wochenende in New York der Fall war. Auf vielen Portalen wurde darüber berichtet, wie sich der 16-jährige US-Amerikaner Kyle «Bugha» Giersdorf im ausverkauften Arthur Ashe Stadium – dort, wo sonst Roger Federer dem Tennisball nachjagt – den WM-Titel und 3 Millionen Dollar Preisgeld sicherte. «Das ist unvorstellbar viel Geld», meint Manuel Oberholzer, relativiert aber, «dass nicht jedes Turnier solche Ausmasse hat». Beispielsweise hat «mYinsanity», das E-Sport-Team von MYI Entertainment, seit der Gründung 2009 «nur» eine halbe Million Franken gewonnen.

Das Wachstum des E-Sport ist noch lange nicht zu Ende
Nichtsdestotrotz bestätigen die Zahlen, dass das Interesse vorhanden ist. Warum sich E-Sport rasant entwickelt hat, kann sich Manuel Oberholzer nicht erklären. Er ist jedoch überzeugt, dass E-Sport auch in der Schweiz weiter wachsen und sich zu einem relevanten Unterhaltungsformat mausern wird. «Und weil eine jüngere Generation mit E-Sport aufwachst, ergibt sich die Akzeptanz in der Gesellschaft von alleine», hofft Oberholzer und verrät, dass bei MYI Entertainment öfters Mails eintreffen von Eltern, deren Kinder anscheinend ein gewisses Talent besitzen. «Sie bitten uns um Rat und fragen, was sie machen müssen, um ihre Kinder zu unterstützen», sagt Oberholzer.

Ein weiteres Indiz dafür, dass der virtuelle Sport auf dem Vormarsch ist, sind die Investitionen von Fussballklubs in eigene E-Sport-Mannschaften. Nachdem der FC St. Gallen sein Team zurückgezogen hat, sind von der Super League noch der FC Basel, Lausanne und Servette online aktiv. «Die Klubs haben Probleme, ihre Stadien zu füllen und haben gemerkt, dass E-Sport langfristig betrachtet ein grosses Unterhaltungspotenzial hat», sagt Manuel Oberholzer. Zudem halte sich das finanzielle Risiko für die Klubs in Grenzen. «Wenn sie im E-Sport keinen Erfolg haben, entsteht kein grosser Schaden», sagt Oberholzer, der das Engagement des FC Basel hervorhebt. Dieses käme nahe an jenes im «echten» Fussballgeschäft heran. «Sie haben professionelle Fifaspieler verpflichtet und gehören zu den besten Klubs der Welt», sagt er.

Auch der traditionelle Sport hat seine Vorteile
Ob die virtuelle Version des Sports dereinst eine wichtigere Rolle einnimmt als die traditionelle, kann Manuel Oberholzer nicht abschätzen. «Ich hoffe es nicht, der Sport hat auch andere Vorteile – vor allem, was die Gesundheit betrifft», sagt er und lacht. Im Spitzensport hingegen könne es gut möglich sein, dass man etwa den FC Basel in Zukunft mit seinem E-Sport-Team in Verbindung bringt und nicht mit der Equipe, die auf dem Rasen um Punkte kämpft.

Übrigens: Manuel Oberholzer ist gemäss eigener Aussage einer der schlechtesten Gamer in seinem Büro in Bern. Was aber nicht bedeutet, dass ihm die Lust an seinem Hobby vergangen ist. «Ich spiele gerne etwas, bei dem ich abschalten kann», sagt er.