Ein wählerischer Esser erkennt nach 25 Jahren seinen Irrtum

Mir haftet der Ruf an, ein wählerischer Esser zu sein. «Schnäderfrässig!», wie es meine Eltern nennen. Tatsächlich habe ich einige sehr spezifische Essvorlieben, das gebe ich offen zu. Teigwaren sind das beste Beispiel. Wie oft musste ich mir von irgendwelchen Banausen schon sagen lassen, dass Teigwaren doch Teigwaren sind. Meine Aufklärungsversuche diesbezüglich stossen leider regelmässig auf taube Ohren. Die für mich feinsten Teigwaren sind beispielsweise Spaghetti, Linguini und Hörnli, am liebsten mit Hackfleisch, Apfelmus und Käse. Conchiglietti, Maccheroni und Rigatoni gehen auch. Farfalle und Fusilli kann ich essen, wenn es unbedingt sein muss. Aber bei Pappardelle, diesen breiten Nudeln, hört der Spass auf. Pappardelle, die an einem Klumpen zusammenkleben – ein Graus! Auch mit dem Salat ist es ein leidiges Thema. Vor über 20 Jahren haben es meine Eltern aufgegeben, mir Salat schmackhaft zu machen. Die Sauce war immer zu sauer. Blattsalat zu bitter. Tomatensalat nur ein «Gschlabber». Und Sellerie-, Bohnen- und Randensalate sahen einfach eklig aus. Selbst die Vorstellung, jemanden beim Salatessen zuzusehen, empfand ich als abstossend. An die Stelle meiner Eltern traten im Lauf der Jahre viele, die mich bekehren wollten. Immer wieder wurde ich aufgefordert, dem Salat eine Chance zu geben. Doch beim Grillieren begnügte ich mich mit Fleisch und Brot, im Restaurant bestellte ich lieber eine Suppe als Vorspeise und gab es einmal doch Salat, den ich nicht abbestellen konnte, reichte ich ihn weiter. Komische Blicke inklusive, den wer mag den schon keinen Salat?

Vor gut einem Monat wurde ich beim Essen seit langem wieder einmal aufgefordert, Salat zu probieren. Widerwillig und mehr aus Anstand nahm ich eine Portion. Eine kleine Portion, versteht sich. Gleich wurde ich vor ein Problem gestellt. Wie isst man Salat überhaupt? Stopft man sich die Blätter ganz in den Mund, werden sie geschnitten oder gar gefaltet? Ich entschied mich für das unkonventionelle Reinstopfen, da ich mein Messer nicht verschmutzen wollte, sollte mir die Sauce nicht schmecken. Kaum war das riesige Blatt halbwegs im Mund, belehrte mich ein kurzes Anheben der Augenbrauen meines Gegenübers, dass dies wohl nicht die gängige Art des Salatessens war. Das Glas Wasser griffbereit, um im Notfall spülen zu können, begann ich zu kauen. Ich kaute auf dem Salatblatt herum, wie ich es auf einer trockenen, breiten Pappardelle tun würde. So lange wie möglich, damit sich mein Gaumen auf den Geschmack vorbereiten kann und das ganze Prozedere möglichst ohne Würgen vonstattengeht.

Der erwartete Würgereiz blieb erstaunlicherweise aus, viel mehr schmeckte mir der Salat samt Sauce. Ungläubig nahm ich das nächste Blatt in Angriff, diesmal zerschnitten. Wieder blieb der Würgereiz aus, wieder schmeckten mir Salat und Sauce. Auch die Rüebli, der Mais, ja selbst die Tomaten schmeckten hervorragend. Hatten die anderen etwa die ganze Zeit recht und ich nicht? Weshalb habe ich mich überhaupt jahrelang gesträubt, Salat richtig zu versuchen? Jedenfalls versuchte ich, diesen Fehler im letzten Monat zu korrigieren, und ass so viel Salat, wie in den ganzen 25 Jahren zuvor nicht.