Er bewies mit 16 Jahren viel Courage und Weitsicht

Der 27-Jährige schwärmt vom Pflegeberuf: «Die Arbeit ist sehr vielseitig. Wenn am Schluss einer hektischen Situation ein «Danke» des Bewohners zurückkommt, ist die Sache für mich bereits erledigt.» Unregelmässige Arbeitszeiten? Für Marius Lötscher bedeutet das Freiheit pur. Seine freien Tage unter der Woche schöpft er voll aus, geht mit seinem Hund spazieren oder wandert in den Bergen. Das Schönste am Pflegerberuf ist für ihn jedoch die grosse Lebenserfahrung, die er jeden Tag von den Bewohnenden mit auf den Weg erhält: «Wenn man sich mit ihnen hinsetzt und ihrem Leben lauscht, merkt man, wie wichtig das für sie ist. Viel wichtiger, als eine materiell geschaffene Wohlfühloase.» Leider könne das Personal dies nicht immer ermöglichen, da der Zeitdruck auch bei ihnen zunehme.

Seit einem Jahr ist der Katlbacher Stationsleiter im Feldheim Reiden. Vorher hat er bereits drei Jahre lang eine andere Station als Stellvertretung geführt. Heute ist er für 20 Mitarbeitende im Feldheim verantwortlich. «Als Teamleiter hat die Arbeit am Bewohner selbst abgenommen und es sind Führungsaufgaben hinzugekommen», erzählt er. Lötscher absolvierte aber nicht deswegen eine Führungsausbildung: «Ich bin ein Mensch, der hinter die Kulissen sehen will. Ich möchte die Zusammenhänge verstehen, in denen ich arbeite.» Als Leiter könne er nun seine Ideen verwirklichen.

Auch die Lehre als Fachmann Gesundheit im Feldheim Reiden hat er voller Überzeugung angetreten, wie er heute erzählt. Dass sein Vater Pflegefachmann im Kantonsspital Sursee ist und seine Mutter Kinderkrankenschwester war, hat sicherlich zu seiner Entscheidung beigetragen. Obwohl seine drei älteren Brüder beruflich dem Gesundheitssystem von Anfang an den Rücken gekehrt haben, wollte er nichts anderes machen.

So kam es, dass er als einziger männlicher Lernender im Feldheim anfing. «Probleme hatte ich nie. Ich wurde eher das eine oder andere Mal auf Händen getragen», erinnert er sich an die Anfangszeit zurück. Als junger Mann habe er einige Bewohner besser erreicht als seine älteren Arbeitskolleginnen. Mit der Zeit habe er sich an die Situation gewöhnt, der einzige Mann im Team sowie in der Klasse zu sein: «Ich habe mir manchmal schon gewünscht, einen anderen Austausch zu haben. Wenn mir die Schminktipps der Frauen aus meiner Klasse zu viel wurden, habe ich mich einfach distanziert», erzählt er schmunzelnd. Nebst dem Schminken habe Lötscher in den vergangenen Jahren ausserdem eine Expertise in Schuhe, Gucci-Taschen, Bleichmittel für weisse Zähne, Bauchpiercings und sonstige Diamanten erlangt. «Durch die täglichen Gespräche mit meinen Arbeitskolleginnen weiss ich, worauf Frauen in jedem Lebensabschnitt Wert legen.»

Heute als Teamleiter merkt er, dass Frauen manchmal verschweigen, was sie wirklich beschäftigt und stattdessen Belanglosigkeiten einen zu grossen Platz im Gespräch erhalten. Bei den Männern sei das anders: «Männer kommunizieren offener und direkter.» Obwohl die Konfliktrate bei Frauen höher sei als bei Männern, weiss er, dass man die daraus entstehenden Probleme professionell angehen könne. Glücklich schätzt er sich über den grossen Männeranteil in seinem momentanen Team. Mit dem Lernenden, dem Pflegefachmann, dem Assistent und ihm sind die Männer mit einem Fünftel im Team vertreten, was mehr ist als der Schnitt der aktuellsten gesamtschweizerischen Zahlen (siehe Grafik). «Das merkt man in der Teamkultur», weiss er. Häufig hätten seine Kolleginnen selbst geäussert, dass ein Mann im Team eine gewisse Ruhe und andere Sichtweisen einbrächte, was sie sehr schätzten.

Keine Schubladisierung

Wieso finden dann so wenige Männer den Weg in die Pflege? Auch Marius Lötscher findet keine Antwort: «Eigentlich ist unser Beruf einer der Sichersten überhaupt. Bis uns ein Roboter ersetzt, dauert es noch Jahrzehnte.» Die geringen Karrieremöglichkeiten in der direkten Pflege könnten laut ihm ein Grund sein. Die häufig kritisierten tiefen Löhne erwähnt er nicht. Doch Lötscher sieht auch hier wieder mehr Vorteile als Nachteile: Fünf Ferienwochen, unregelmässige Arbeitszeiten, vielseitiger Arbeitsinhalt und Kontakt zu verschiedensten Personen. Er rät: «Mehr Männer sollten sich trauen, in den Beruf reinzuschauen, um herauszufinden, ob die Arbeit zu ihnen passt.» Schliesslich stünde beim Pflegeberuf nicht das Geschlecht im Vordergrund, sondern die Werte. Dass diese Werte nichts mit dem äusseren Erscheinungsbild oder den Charakterzügen einer Person zu tun haben, weiss auch Lötscher: «Ich würde das männliche Pflegepersonal nicht grundsätzlich schubladisieren. Natürlich passe ich als homosexueller und kreativer Mensch gut ins Schema. Aber es gibt in der Pflege auch andere Männer. Männer, die mit ihrem Auto protzen und ganz dem gesellschaftlichen Männerbild entsprechen.»