
Achtungstellung und laute Oberturner: der Turnverband LU/OW/NW wird 100 Jahre alt
Turnen hat eine lange Tradition und ist auch in der Zentralschweiz stark verwurzelt. Turnerische Tätigkeiten sind bereits 1820 vermerkt, zwanzig Jahre später fand in Luzern das 9. Eidgenössische Turnfest mit 210 Teilnehmern statt. Am 13. März 1921 wurde im «Schwanen» in Sursee der Kantonalturnverband Luzern aus der Taufe gehoben, Aufnahme fanden auch die Sektionen aus Ob-und Nidwalden, ein Jahr später folgte die Einteilung in vier Kreisturnverbände. 1923 ging in Sursee das 1. Kantonalturnfest des neu gegründeten Verbandes mit 333 Turnenden aus 20 Sektionen über die Bühne.
Reiden war mehrmals wichtiger Schauplatz
1946 fand das Jubiläumskantonalturnfest in Reiden mit rund 1200 Aktiven statt, der Festkartenpreis belief sich auf 13,50 Franken, inbegriffen waren ein Nachtessen für 2,40 und das Nachtquartier auf Stroh für 1,50 Franken. Geturnt wurde jahrelang ganz in weiss, mit Strammstehen vor dem Kampfgericht und lauten Kommandos der Oberturner.
1927 wurde der Innerschweizerische Frauenturnverband gegründet. Die Frauen mussten anfänglich mit Widerstand kämpfen. Es galt lange als unsittlich, «wenn Frauen turnten und lockere Kleidung trugen». Beim Kantonalturnfest 1946 in Reiden zeigten 400 Turnerinnen erstmals Allgemeine Übungen. 1996 beim Eidgenössischen in Bern turnten Frauen und Männer erstmals gemeinsam. 1985 kam es zum Zusammenschluss des 1832 gegründeten Eidgenössischen Turnvereins (ETV) mit dem 1908 gegründeten Schweizerischen Frauenturnverband (SFTV) zum heutigen Schweizerischen Turnverband (STV). Nach und nach schlossen sich auch die einzelnen Kantonal- und Frauenturnverbände zusammen. 2001 entstand aus dem Kantonalturnverband, dem Frauenturnverbandes und dem Männerturnverband (gegründet 1933) der Turnverband Luzern, Ob- und Nidwalden.
Der Turnsport hat sich seither sehr stark gewandelt. Tamburin und Marschmusik gehören der Vergangenheit an, heute ist an Wettkämpfen jede Musikrichtung zu hören, auch Showeffekte halten Einzug. Die Körperschule ist der Gymnastik gewichen, die Allgemeinen Übungen kommen als moderne Grossraumvorführungen daher und das gemeinsame Auftreten von Frauen und Männern ist zur Selbstverständlichkeit geworden.
Mit Feiern war früher nichts an Turnfesten
Einer, der den Turnsport mit seinen vielen Facetten kennt, ist Gody Marbach. Der heute 82-Jährige bestritt als Mitglied des Turnvereins Willisau viele Kreis- und Kantonalturnfeste, war von 1955 bis 1991 an allen acht Eidgenössischen Turnfesten (ETF) als Aktiver und zweimal an der Gymnaestrada dabei und stand nach seiner aktiven Turnerlaufbahn als Speaker bei drei Eidgenössischen im Einsatz. Der Oberkircher gewann sowohl im National- und Kunstturnen und in der Leichtathletik einen eidgenössischen Kranz. Als 16-Jähriger nahm Marbach 1955 in Zürich zum ersten Mal an einem ETF teil. «Um 22 Uhr mussten wir jüngeren Turner uns in der Unterkunft melden, mit einem nächtlichen Ausgang und Feiern war also nichts», erinnert er sich. «Ausser den Wettkampfstätten bekamen wir wenig zu sehen.»
Von 1961 bis 1973 übernahm Marbach das Amt des Oberturners. Geprobt wurde in der kleinen Halle auf dem Schlossfeld, die Marsch-und Freiübungen absolvierte man auf dem Pausenplatz, begleitet mit dem Tamburin und zackigen und lauten Kommandos des Oberturners. «Mir wurde immer wieder gesagt, dass meine Anweisungen jeweils im Städtli zu hören waren», schmunzelt Gody Marbach. Auch er meldete an Turnfesten seinen Verein, der etwa 40 Turner zählte, in Achtungstellung und ganz in Weiss mit den Worten «Sektion Willisau zur Arbeit bereit» den Kampfrichtern an.
Im Laufe der Zeit löste Klaviermusik das Tamburin ab. Im Wohnzimmer von Trudi Gürber in Kriens, die damals viele Vereine auf dem Klavier begleitete, wurden die Übungen vorgeturnt, «und wir haben mindestens drei Blumentöpfe runtergeschmissen», sagt Marbach. Gürber fand so die passende Musik, die auf Tonband aufgenommen wurde. Später kamen bei Willisau Melodien von James Last anstelle der Klaviermusik. «Zusammen mit dem BTV Luzern, Altbüron und Emmenstrand gehörten wir Willisauer zu den erfolgreichsten Sektionen des Verbandes», sagt Gody Marbach. Dass der Turnsport im Laufe der Zeit farbiger und moderner geworden ist, kann er nur unterstützen. «Turnen hat so an Attraktivität und Ausstrahlung gewonnen, wird anders wahrgenommen und hat sicher viele junge Leute zu diesem Sport gebracht.»
Der Turnverband Luzern, Ob- und Nidwalden zählt heute 20 000 Mitglieder aus rund 160 Vereinen. «Turnen ist nach wie vor sehr attraktiv», sagt Präsidentin Evi Hurschler (Willisau), die seit 2019 dem Verband vorsteht, der besonders erfolgreich ist im Geräteturnen. An Turnfesten, Schweizer Meisterschaften im Vereinsturnen, an nationalen Titelkämpfen mit der Mannschaft oder im Einzel können immer wieder Siege und Podestplätze gefeiert werden. Während die Wettkämpfe eine Weile der Corona-Pandemie zum Opfer fielen, konnte die Vorstandsarbeit aufrechterhalten werden, «und wir gehen gestärkt aus dieser Krise hervor. Wir haben den Sturm überstanden», so Hurschler. Die Feier zum 100-Jahr-Jubiläum, die in diesem Monat geplant war, musste allerdings auf 2022 verschoben werden.