Die Chancen und Risiken des «Grauen Tsunamis»

Die wenig schmeichelhafte Bezeichnung «Grauer Tsunami» kommt der Tatsache sehr nahe, dass die Bevölkerung immer älter wird und das Durchschnittsalter von Männern und Frauen steigt. Aktuell sind im Kanton 17 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Bis 2035 wird die Zahl der 65-Jährigen 27 Prozent und damit rund 200 000 Personen betragen. Am stärksten nimmt die Bevölkerungsgruppe der über 80-Jährigen zu. Laut einer Prognose, wird sich ihre Zahl bis dahin verdoppeln. Gemeinden und Kantone sehen sich im Zugzwang, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Die meisten Kommunen sind längst dabei, altersgerechte Begegnungsstätten sowie Lebens- und Wohnräume zu schaffen, um nicht vom demografischen Wandel überrollt zu werden.

Viele gute Beispiele

Wie ist es beispielsweise um die Seniorinnen und Senioren im Suhrental bestellt? Um das herauszufinden, lud der Regionalverband Suhrental (RVS) zum Workshop «Lebensraum 60+» in das Alterszentrum Schöftland ein. Vertreter aus Gemeinden, Spitex-Organisation und Pro Senectute sind der Einladung gefolgt. Moderiert wurde der Abend von Martin Ineichen vom Verein Peopletalk und Christina Zweifel von der Fachstelle Alter und Familie des Kantons Aargau. Mit Veranstaltungsangeboten wird auf die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung eingegangen, wie u. a. im Film über Projekte aus der Praxis, vorgestellt von Peopletalk-Macher Roy Buschbaum, zu sehen war. Im Film wird neben anderen Projekten über das Erzähl-Café im Alterszentrum Zofingen berichtet. Damit Anliegen älterer Menschen in die lokale Politik einfliessen, schuf die Stadt Zofingen entsprechende Strukturen in der Verwaltung. Peopletalk selbst spezialisierte sich, mit Filmproduktionen zum Lösen von Entwicklungsfragen beizutragen. Eine im Film interviewte Person stellt auch die Schlüsselfrage, was unter altersfreundlichen Lebensräumen überhaupt zu verstehen sei. Die Antworten waren vielfältig. Begegnungsplätze zur Wertschätzung der älteren Bevölkerung, Gewährleistung der Mobilität und wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten sind Beispiele dafür. Die Anforderungen hängen jedoch stark vom physischen und geistigen Zustand der Betroffenen ab. Isolation älterer Menschen wirkt sich auf deren Psyche aus. Sie vernachlässigen ihr Umfeld, körperlicher Verfall und Vereinsamung schreiten voran.

Idee einer App «5042»

Was haben nun die sechs im Workshop gebildeten Gruppen erarbeitet? Sprecher jeder Gruppe präsentierten die Ergebnisse. Die Holziker Gemeinderätin Uschi Dätwyler stellte die Gemeinschaftsergebnisse zum Thema «Zugang zu Infrastruktur und Räumen vor». Ihre Gruppe setzt auf Fahrgemeinschaften zu Anlässen, auf Begegnungsstätten für Jung und Alt, freiwillige Helfer und Dorfvereine neben anderem. Für Anja Geestmann, Gemeinderätin Schöftland, spielen die Diversität und der integrative, generationenübergreifende Ansatz eine entscheidende Rolle. Der Reitnauer Gemeinderat Uwe Matthiessen verbindet zukünftige Projekte mit Abholen von Know-how und Ideen, die Notwendigkeit einer Alterskommission und eines Altersleitbilds zur Orientierung sowie auf eine ausgewogene Zusammensetzung mit Partnerorganisationen. Beachtet werden sollen aber auch Immigranten. Die Gemeinde Hirschthal überarbeitete letztes Jahr ihr Leitbild. Bestehende Infrastrukturen sollen genutzt und weiterentwickelt werden, sprach sich Gemeinderat Markus Goldenberger zum Bedarf Hirschthals aus. Zu «Dienstleistungen für Senioren leicht gemacht» denkt der Hirschthaler Gemeindeammann Peter Stadler mit der App «5042» an ein einfaches Vermittlungsmedium – Entwicklung und Einführung mit Partnern. Die Digitalisierung wird vor dem Alter also nicht Halt machen, ganz im Gegenteil. Die Gruppe mit Andreas Urech, Gemeindeammann Muhen, befasste sich mit Kommissionen im Allgemeinen und kam zum Schluss, dass Behörden unterstützen, aber nicht führen sollten. Konkrete Ziele sehe er darin, Senioren zu mobilisieren und Begegnungen zu fördern. Gesetzt werden soll auf freiwillige Helfer und bestehende Institutionen in Kooperation mit Nachbargemeinden.

Senioren haben viel Potenzial

Zur Selbsteinschätzung des Bedarfs und der Ressourcen konnten Fragen vorab im Handbuch zu Lebensräume 60+ beantwortet werden. Die Fragestellungen zielten auf den Bekanntheitsgrad an Bedürfnissen, der Zufriedenheit mit Angeboten und den Mitbestimmungsorganen für die Generation 60+ ab sowie um zukünftige Projekte, die die Menschen über 60 direkt oder indirekt betreffen. Nicht vergessen werden sollte, dass 21 Prozent der steuerpflichtigen Personen über 65 Jahre rund 20 Prozent des steuerbaren Einkommens produzieren und über die Hälfte des steuerbaren Vermögens besitzen, wie eine Statistik des Kantons Aargau von 2013 aufzeigt, Tendenz steigend. Man sollte die Alten also längst nicht abschreiben – von wegen «Grauer Tsunami». Statt grau könnte der demografische Wandel eine rosige Zukunft für ältere Mitmenschen versprechen.