
Petar Aleksandrov und Stefan Maierhofer im Doppelinterview: «Die Jungen haben es heutzutage viel einfacher»
Die Barrage geistert durch die Stadt, aber beim FC Aarau ist sie ein Tabuwort. Warum? Ihr habt in der Rückrunde nichts zu verlieren!
Stefan Maierhofer: Petar, sag Du was dazu!
Petar Aleksandrov: Wenn die Fans die Barrage erwarten, sollen sie zahlreich ins Brügglifeld kommen. Wir brauchen ihre Unterstützung. Unser Ziel ist es, jedes Spiel zu gewinnen. Wo das hinführt, weiss nur der liebe Gott.
Maierhofer: Genau das ist die Mentalität unserer Mannschaft. Der Sieg ist das Ziel, wir würden nie vor dem Abpfiff ein Unentschieden unterschreiben. Lausanne und Servette sind weit vor uns, aber wir haben in den Direktduellen die Möglichkeit, Punkte gutzumachen. Qualitativ sind wir in den Top 3 der Liga, da müssen wir uns nicht kleiner machen.
Ist die Barrage in der Mannschaft wirklich kein Thema?
Maierhofer: Intern stecken wir uns natürlich Ziele. Und die wären? Maierhofer: Erst einmal Woche für Woche zu gewinnen. Es hängt viel davon ab, wie die ersten vier, fünf Spiele in der Rückrunde verlaufen. Wenn wir die Form vom Vorjahr mitnehmen können, ist vieles möglich.
Aleksandrov: Mit unserem Kader müssen wir uns nach vorne orientieren. Wir haben Ansprüche und die Mannschaft hat gezeigt, dass sie in der Challenge League Erfolg haben kann.
Petar, Sie lieben den FC Aarau, Ihnen muss während der Siegesserie vor der Winterpause das Herz aufgegangen sein!
Aleksandrov: Und wie! Ich habe in den vergangenen Jahren als Zuschauer und als Gegner mit dem FC Aarau gelitten, endlich kann ich selber etwas beitragen. Als ich im August Stürmertrainer wurde und die ersten Spiele verloren gingen, habe ich mich geschämt, durch Aarau zu laufen. Aber ich habe den Leuten immer gesagt, dass die Mannschaft ihre Qualität noch zeigen werde. Es macht mich stolz, wie es zuletzt gelaufen ist. Noch stolzer würden mich zwei Dinge machen: ein «Ja» der Aarauer Bevölkerung zum neuen Stadion und der Aufstieg mit dem FC Aarau in die Super League.
Ohne Euch hat der FC Aarau in sechs Spielen null Punkte geholt, mit Euch in 12 Spielen 23 Punkte. Das spricht für sich!
Maierhofer: Zahlen lügen nicht. Aleksandrov: Es gab ja Gründe, warum man uns geholt hat. Wir haben sicher beide einen Anteil daran, dass es danach besser lief.
Welchen?
Aleksandrov: Das müssen andere sagen.
Dann fragen wir Sie, Stefan?
Maierhofer: Er hat einfach eine riesige Erfahrung und gibt uns Tipps mit auf den Weg, die wirklich Hand und Fuss haben. Das Ganze vermittelt er uns in Einzelgesprächen, er steht nicht vorne am Tisch und haut mit der Faust drauf. Die scharfen Ansprachen überlässt er dem Cheftrainer (lacht).
Aleksandrov: Ich vermittle meinen Stürmern vor allem, dass sie neben dem Toreschiessen andere wichtige Aufgaben haben. Stürmer werden nur an Toren gemessen, dabei gibt es so viele andere Möglichkeiten, der Mannschaft zu helfen. Zum Beispiel mit positivem Auftreten, auch wenn der Trainer gerade auf andere Stürmer setzt.
Petar, hat es nach dem schlechten Saisonstart genau einen Typen wie den Major gebraucht?
Aleksandrov: Ich mag Spieler mit Charakter. Stefan kam unverbraucht zu uns und hat die nötige Lockerheit reingebracht. Wir hatten kein Qualitätsproblem, aber nach sechs Niederlagen waren die Jungs im Kopf blockiert. Major kam da wie gerufen, er hat vielen Spielern die Verunsicherung genommen.
Was unterscheidet den FC Aarau von damals, als Ihr dazu gestossen seid, vom FC Aarau von heute?
Maierhofer: Ich habe nach meiner Ankunft mit vielen Spielern gesprochen, aber keiner konnte mir sagen, warum genau es so schlecht lief. Wir sind heute sicher direkter und klarer in der Kommunikation. Ich werde im Training auch mal lauter, aber es ist immer konstruktiv gemeint.
Aleksandrov: Auf dem Platz braucht es Anführer wie Stefan, die klare Ansagen machen.
Mit Maierhofer, 36, Schneuwly, 33, Karanovic, 31, und Rossini, 30, hat der FC Aarau vier Mittelstürmer, die über 30 sind. Und dahinter die jungen Almeida, Tasar und Alounga. Stefan, fürchten Sie um Ihren Stammplatz?
Maierhofer: Nicht, solange ich fit bin.
Sind sieben Stürmer nicht ein paar zu viel?
Aleksandrov: Alle haben grosse Lust auf Fussball, keiner holt sich nur seinen Lohn ab. In unserer Situation hat es Erfahrung gebraucht. Und schauen Sie: Es ist kein Zufall, dass der FC Aarau in den ersten sechs Spielen nur drei und seither 26 Tore erzielt hat.
Hat dem FC Aarau also auch ein Stürmertrainer gefehlt?
Aleksandrov: Vielleicht (lacht).
Was ist genau Ihre Rolle im Trainerstab?
Aleksandrov: In den Trainings und Spielen beobachte ich vor allem und teile meine Eindrücke dann den Spielern und dem Cheftrainer mit. Im Internet kann sich heutzutage jeder 1000 Übungen runterladen, jeder kann ein Training gestalten. Aber gewisse Dinge sieht man nur, wenn man selber jahrelang Profi war.
Stefan, war in der Winterpause ein Klubwechsel Thema?
Maierhofer: Anfragen gibt es immer wieder. Stand heute bin ich beim FC Aarau und gebe alles für den Verein.
Können Sie versprechen, die Rückrunde beim FC Aarau zu bestreiten?
Maierhofer: Ich möchte nicht versprechen, in einem Monat noch hier zu sein, und dann kommt ein Angebot, das ich finanziell nicht ausschlagen kann oder weil mir der Verein einen Job nach der Karriere anbietet.
Aleksandrov: Major, Du bist es ja gewohnt, alle sechs Monate den Verein zu wechseln. Als ich deine Karrierestationen studiert habe, war ich echt beeindruckt – Respekt!
15 Vereine seit 2005 – aber überall erinnern sich die Leute noch heute an Sie. Warum?
Maierhofer: Weil ich ehrlich bin und nicht nur rede, wenn es gut läuft, sondern auch offen Kritik anbringe. Das war teilweise auch der Grund, warum mich die Klubs schnell wieder abgegeben haben.
Aleksandrov: Gerade als Stürmer ist es so: Schiesst du Tore, bist du der König. Wenn nicht, bist du der Depp. Aber mir war es bei jedem Verein wichtiger, als Mensch in Erinnerung zu bleiben. Wenn ich bei meinen früheren Klubs vorbeischaue, haben die Leute Freude, mich zu sehen. Das ist mir wichtiger als jede Statistik.
Maierhofer: Fussball ist heutzutage Business. Als Spieler ist man geduldet, solange man Leistung bringt. Trotzdem steht es jedem frei zu entscheiden, welche Werte er vertritt. Ich habe es immer als meine Pflicht angesehen, auf und neben dem Platz das Vertrauen in meine Person zurückzuzahlen.
Aleksandrov: Das erinnert mich an meine Rückkehr 1998 zum FC Aarau. Ich war 36 und meine Karriere schien vorbei. Eigentlich sollte ich nur Dolmetscher für Aarau-Stürmer Roumen Ivanov sein. Da haben mich Präsident Ernst Lämmli und Sportchef Fredy Strasser gefragt, ob ich nicht nochmals mitspielen wolle, sie bräuchten noch einen Stürmer. Ich war natürlich seit dem Meistertitel 1993 eine grosse Nummer beim FC Aarau, aber dieses Angebot war eine grosse Ehre für mich.
Ende 1999 war dann endgültig Schluss mit der Profikarriere und seither haben Sie fast 20 Jahre lang gehofft und geträumt, als Trainer für den FC Aarau zu arbeiten. Warum hat es so lange gedauert?
Aleksandrov: Mein Herz war immer in Aarau, auch wenn ich in dieser Zeit bei der halben Super League gearbeitet habe. Es hat mich an meine Zeit als junger Profi erinnert: Ich war grosser Fan von Levski Sofia und der Klub wollte mich unbedingt holen, aber mein Stammverein Slavia Sofia liess mich nicht dahin, weil Levski der Erzfeind war. Als ich 1994 dann ein Angebot von Levski erhielt, musste ich das annehmen, auch wenn es mir schwerfiel, den FC Aarau zu verlassen. Aber Levski war wie eine unerfüllte Liebe, ich musste einfach gehen.
Bereuen Sie, dass Sie sich mit kritischen Aussagen in den Medien eine frühere Rückkehr zum FC Aarau selbst verbaut haben?
Aleksandrov: Das Thema FC Aarau ist bei mir immer mit Emotionen verbunden. Als es nach dem Abstieg 2015 immer weiter bergab ging, gab es Gründe und die habe ich angesprochen. Ich habe nichts anderes getan, als meine Meinung zu sagen. Der FC Aarau hat doch andere Ansprüche als in der Challenge League gegen den Abstieg zu spielen!
Maierhofer: Ich habe mir mit meiner Ehrlichkeit auch viele Türe zugeschlagen. Schade, aber ändern würde ich mich deswegen nie.
Sind Fussballer mit pointierter Meinung nicht mehr gefragt?
Maierhofer: Es gibt noch ein paar wenige, aber wir haben ein Nachwuchsproblem.
Bedauert Ihr das?
Maierhofer: Na klar! Das nimmt dem Fussball doch die Authentizität.
Aleksandrov: Es fängt halt schon bei den Junioren an. Sie werden zu Maschinen gemacht, die gehorchen müssen und nicht aufmucken dürfen.
Maierhofer: Und wer in der Jugend aus der Reihe tanzt und mal den Mund aufmacht, der wird aussortiert.
Aleksandrov: Gleichzeitig ist es für junge Spieler viel einfacher. Ich musste als Junger jahrelang auf meine Chance warten, die Alten waren einfach gesetzt, auch wenn sie schlecht gespielt haben. Und heute wechseln 18-Jährige nach zehn Super-League-Spielen in die Bundesliga. Was sind schon zehn Super-League-Spiele? Das ist doch kein Leistungsausweis!
Wie muss man mit Charakterköpfen wie Euch umgehen?
Maierhofer: Wir sind ehrlich mit Euch, seid Ihr ehrlich mit Uns! Im Fussball war Marcel Koller die grösste menschliche Enttäuschung für mich, weil er nicht ehrlich zu mir war als Nationaltrainer. In den Medien hat er mich als Spieler und Typ gelobt, mich dann aber nie eingeladen.
Was stört Euch am meisten am modernen Fussball?
Aleksandrov: Dass viele mit Fussball viel Geld verdienen, den Fussball aber gar nicht lieben. Ich kenne Spieler und Trainer, die schauen sich den Final der Champions League nicht an – das ist doch verrückt. Was gibt es Schöneres als den Champions-League-Final?
Maierhofer: Die Liebe zum Spiel ist der Schlüssel. Es gibt zwar oft Stress mit der Freundin, aber Samstag und Sonntag ist der Fernseher gebucht für Bundesliga und Premier League.
Aleksandrov: Major, ein Tipp: Meine Frau und mein Sohn haben eigene Fernseher.
Maierhofer: Danke Petar, aber ich habe gelernt, Kompromisse einzugehen.
Petar, leihen Sie Stefan für das Fotoshooting Ihr berühmtes Stirnband aus?
Aleksandrov: Na klar! Aber dann nehme ich seinen Major-Hut.
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