
Wegen Missbrauchs verurteilter Masseur entgeht Verwahrung
Stellt der Mann mit seiner pädophilen Neigung eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar und muss deshalb verwahrt werden? Oder kann er, nach dem Verbüssen der Gefängnisstrafe, verbunden mit einer ambulanten Therapie, wieder in die Freiheit entlassen werden? Über diese Frage hatte das Obergericht unter dem Vorsitz von Jann Six zu entscheiden.
Der heute 58-Jährige hatte zwischen 2015 und 2016 regelmässig sechs Fussballjunioren zwischen 13 und 15 Jahren massiert. Dabei kam es immer wieder zu sexuellen Übergriffen. Vor Gericht gibt der «Masseur» nur eine einzige Tat zu: Einem Knaben, der zudem ein guter Freund seines Sohnes war, massierte er den Penis bis zur Ejakulation. «Es ist einfach passiert», sagte er im März 2018 an der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Zofingen. Und: «Es war Zuneigung». Die anderen Übergriffe streitet er ab.
Bereits 2008 wurde der Mann im Kanton Freiburg wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 20 Monaten verurteilt. Fünf Jahre dauerte die Therapie, die er danach absolvierte. Doch offensichtlich fruchtete sie wenig.
Das Bezirksgericht Zofingen verurteilte den Masseur, der sich an seinem Wohnort einen eigenen Massagesalon eingerichtet hatte, wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern zu viereinhalb Jahren Gefängnis und einer begleitenden ambulanten Therapie. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Die Forderung von Staatsanwältin Christine Zumsteg: Dieser Mann gehört verwahrt.
Risiko für die Gesellschaft?
Bei der gestrigen Berufungsverhandlung vor Obergericht attestierte Gutachterin Bernadette Roos Steiger dem 58-Jährigen eine «mittelgradig pädophile Neigung». Kurzfristig erachte sie einen Rückfall als wenig wahrscheinlich, mittelfristig aber steige die Rückfallgefahr. Beim Mann handle es sich jedoch um keinen Hochrisikotäter. Sie halte ihn für therapierbar. Aus therapeutischer Sicht sei eine ambulante Therapie notwendig, zweckmässig und genügend.
Staatsanwältin Christine Zumsteg sagte, es gehe hier doch vor allem um die Frage, ob man eher dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft Rechnung tragen wolle oder ob man das persönliche Schicksal eines pädophilen Wiederholungstäters höher gewichten wolle. Einen solchen Menschen, der sich an die Freunde der eigenen Kinder heranmacht, müsse man von der Gesellschaft fernhalten. «Hätte sein Sohn nicht alles ans Licht gebracht, wäre das ein Horrorkabinett geworden», sagte Zumsteg. Der Mann dürfe sich erst wieder frei bewegen, wenn ein klarer Therapieerfolg vorliege. Dabei verwies Zumsteg auf den Umstand, dass der Masseur spätestens im Dezember 2020 aus dem Gefängnis entlassen wird. Aber dann wisse man noch nicht, ob er überhaupt therapierbar sei. Denn die Therapie hat er noch nicht beginnen können. Und bis allfällige Erfolge vorliegen, dauere es schon einige Jahre, bestätigte Gutachterin Roos Steiger. Deshalb sei die ordentliche Verwahrung die einzige Möglichkeit, die Gesellschaft vor dem Mann zu schützen, argumentierte die Staatsanwältin: «Das Risiko hat der Beschuldigte zu tragen, nicht die Gesellschaft.» Der Mann bleibe pädophil veranlagt und ihm fehle es an Einsicht und Empathie.
Gutachten sagt ambulant
Pflichtverteidiger Markus Henzer entgegnete: «Eine Verwahrung ist nur zulässig bei grundsätzlicher Unbehandelbarkeit eines Täters und wenn eine qualifizierte Gefährlichkeit vorliegt.» Das Gutachten aber komme zu einem andern Schluss: Es sage aus, dass der Masseur behandlungsfähig sei und eine erfolgreiche Therapie möglich. Dass der Mann seine Pädophilie verdränge oder kleinrede, sei gerade typisch für solche Täter und beweise die Notwendigkeit der ambulanten Therapie.
Was die Staatsanwältin zur Gegenrede provozierte, offensichtlich sei die Fähigkeit des Täters, alles zu verharmlosen, auf den Verteidiger übergeschwappt. Nachdem der von drei Polizisten bewachte Täter in seinem Schlusswort erklärte, wie er sein Leben mit Therapie nach der Haft bewältigen möchte, zog sich das Obergericht zur Beratung zurück. Das Urteil fiel schliesslich wenig überraschend aus: Das Obergericht wies die Berufung der Staatsanwaltschaft vollumfänglich ab.
Der Mann wird nicht verwahrt, tritt die ambulante Therapie an und wird spätestens im Dezember 2020 ein freier Mann sein, wenn er sich nichts mehr zuschulden lassen kommt. Man habe sich auf das Gutachten abgestützt, erklärte Jann Six, das aussage, dass eine ambulante Therapie ausreichend sei und eine Verwahrung unverhältnismässig. «Es bleiben Ungereimtheiten», sagte Six. «Aber die können nicht zulasten des Angeklagten ausgelegt werden.»