
Markus Neumayrs abenteuerlicher Weg über den Iran zum FC Aarau
«Muss das sein?» So ganz glücklich ist Markus Neumayr nicht mit der Bitte, für das Foto nach draussen zu gehen. «Eine Erkältung ist das Letzte, das ich gebrauchen kann», sagt er und verdreht die Augen beim Blick auf die dicke Schneedecke im Stadion Brügglifeld.
Nein, Neumayr hat nicht etwa eine Schneephobie. Das Problem: Er trägt sommerliche Turnschuhe und knöchelfreie Jeans. «Normalerweise laufe ich bei dem Wetter ja nicht so rum. Aber ich lebe momentan aus dem Koffer. Unser neues Haus in Basel ist erst nächste Woche bezugsbereit. Meine Wintersachen sind noch eingelagert.»
Er lässt sich dann doch schnell vom Foto im Schneegestöber überzeugen. Auf dem kurzen Spaziergang von der Haupttribüne rüber zur Gegengerade beginnt Neumayr zu erzählen. Noch nicht von seinen Erlebnissen im Iran. Die kommen später, drinnen beim Kaffee. Er blickt auf den Platz und sagt: «Mit Luzern, Vaduz und Bellinzona habe ich hier nie verloren. Wenn meine persönliche Brügglifeld-Bilanz so weitergeht, wär das schon mal gut.»
Bei insgesamt zehn Klubs hat er bisher gespielt, er war Junior bei Manchester United und in der deutschen Nationalmannschaft. Stadien habe er unzählige gesehen, viele davon wieder vergessen. Doch die Bilder vom Brügglifeld seien geblieben. Warum? «Weil es speziell ist.»
Na dann passt Markus Neumayr bestens hierhin. Es ist im modernen, glattgebügelten Fussball ja mittlerweile so, dass Typen wie Neumayr als speziell gelten. Obwohl er das nicht sein will. Und im Grunde genommen ja auch nicht ist: Auffällig sind einzig die blondierten und an den Seiten kurzgeschorenen Haare.
Doch sonst ist Neumayr ein 32-jähriger, in der Nähe von Frankfurt geborener Deutscher mit Schweizer Pass der überdurchschnittlich gut Fussball spielen kann, der Klartext redet und das Abenteuer liebt.
«Ja, ich bin nach Aarau gekommen, weil das passt. Ich hatte andere Möglichkeiten, aber der FCA war meine erste Anlaufstelle.» Wir sitzen nun in der schummrigen Sponsorenlounge, am Nebentisch klopfen einige von Neumayrs neuen Teamkollegen einen Jass, es ist laut.
Dass er den FC Aarau favorisierte, rührt vom Sommer her: Damals macht sich in Aarau eine vierköpfige Delegation, bestehend aus Sportchef Sandro Burki, Trainer Patrick Rahmen, Präsident Alfred Schmid und Vizepräsident Roger Geissberger, auf nach Istanbul. Ziel der Geheimaktion: Markus Neumayr verpflichten, der nach einem Jahr bei Kasimpasa zu haben ist. «Das hat mich beeindruckt, gleich vier Leute – wow!» Nach den Verhandlungen in Neumayrs Wohnzimmer und einem Essen in dessen Lieblingsrestaurant macht sich die FCA-Spitze auf den Heimweg. Im Gepäck die Hoffnung, dass Neumayr anbeisst. Doch er sagt ab. «So schwer», sagt er rückblickend, «fiel mir ein Nein noch nie.» Neumayr wollte ein letztes Abenteuer, nochmals viel Geld verdienen. Katar? Südkorea? Iran? Von drei Offerten wählt er den Iran, FC Esteghlal.
Geschnitten von den Kollegen
Dass der Kulturschock einfahren würde, war ihm klar. Zuerst positiv. «Einmal spielten wir vor 90000 Zuschauern, das war das Eindrücklichste, das ich als Fussballer erlebt habe.» Auch die Aufmerksamkeit auf der Strasse geniesst er anfangs noch. «Kaum war ich aus dem Hotel, wurde ich erkannt und konnte nicht mehr weiterlaufen. Wenn ich ins Restaurant ging, machte der Besitzer zu, damit ich in Ruhe essen konnte.»
Mit der Zeit wird der Rummel anstrengend, an eine Teilnahme am öffentlichen Leben ist nicht zu denken. «Ich musste immer der Superstar für die Fans sein, aber Mensch konnte ich nie sein dort unten.» Von den 80 Millionen Iranern unterstützt die eine Hälfte Esteghlal, die andere Stadtrivale Persepolis. Neumayr wird unterwegs auch angefeindet.
Nach wenigen Wochen im Iran entscheidet er mit Frau Zoë, dass sie mit Tochter Lani (9) und Sohn Dian (6) von Istanbul in die Schweiz geht und nicht zu ihm nach Teheran. «Der Plan war eigentlich, dass die Kinder eine andere Kultur kennenlernen. Aber so ein Leben in der Blase wollte ich ihnen nicht zumuten.»
Neumayr ist gefangen im goldenen Käfig. Das liegt auch an den Mitspielern. Bis auf Neumayr und den Schweden Alhaji Gero sind alle im Team Iraner. Englisch spricht fast keiner – und wenn, dann sicher nicht mit den Europäern. «Die haben uns geschnitten. Keine Begrüssung, keine Gespräche und im Training habe ich manchmal minutenlang keinen Ball zugespielt bekommen.» Neumayr erzählt, das sei der Neid.
«Wir kommen daher, wo sie alle hinwollen.» Sein tätowierter Körper ist ein weiteres Problem, nach heftigen Protesten in der Presse fordern die Klubverantwortlichen Neumayr auf, mit Armstrümpfen und langen Unterhosen zu spielen. «Das war selbstverständlich für mich. Auch mit den Abstrichen im Alltag muss man rechnen, wenn man einen exotischen Ort geht. Der Lohn entschädigt ja ein Stück weit. Aber dass es so krass würde, habe ich nicht erwartet.»
Sportlich läuft es anfangs gut. Bis irgendwann die deutsche Trainerlegende Winnie Schäfer zu Neumayr sagt: «Ich würde dich am liebsten immer einsetzen. Aber wenn ich das tue, habe ich den Rest der Mannschaft gegen mich.» Nur zehn Einsätze in fünf Monaten. Anfang Dezember beschliesst Neumayr: «Genug ist genug.» Die Familie fast 4000 Kilometer entfernt in Basel, das öde Hotelleben, das Mobbing im Team.
Doch so einfach, wie gewünscht, kommt er nicht aus seinem Vertrag. «Die meinten, ich wolle nun doch zu ihren Champions-League-Konkurrenten in Katar oder Südkorea.» Zwei Wochen zanken Esteghlal und Neumayrs Berater um die Vertragsauflösung. Erst der Hinweis, dass der Spieler in die Schweiz zurückkehren werde, bringt den Durchbruch.
Die Freundschaft zum Weltstar
Neumayr könnte heute auch in Andorra spielen. Lohn, Haus, Wetter – alles super. Hinter dem Angebot steckt Gerard Piqué, der Innenverteidiger vom FC Barcelona, spanischer Welt- und Europameister und zuletzt in den Medien, als er sich mit seinem Investorenkonsortium die Rechte am Davis Cup sicherte, dessen Modus auf den Kopf stellte und damit Roger Federer verärgerte. Der FC Andorra (5. spanische Liga) ist der neuste Rohdiamant in Piqués Portfolio, Jugendfreund Neumayr sollte beim Schleifen helfen.
Die beiden kennen sich aus Manchester, wo sie zusammen im Nachwuchs der United spielten. Die Wege haben sich getrennt, geblieben ist die Freundschaft. Auch Zoë Neumayr und Piqués Frau, Popstar Shakira, verstehen sich gut. «Wir schreiben uns jede Woche mehrmals. Über Weihnachten war ich mit meiner Familie bei seiner in Barcelona. Sein Angebot war toll, aber für mich kein Thema. Ich habe noch Ambitionen und will mit der Familie in der Schweiz zur Ruhe kommen.»
Mit Piqué spricht Neumayr über den FC Aarau und sein Vorhaben, nun doch in die Challenge League zu wechseln. Sehen wir Piqué bald auf der Brügglifeld-Tribüne? «Mal sehen, das haben mich die Leute in Luzern und Vaduz auch dauernd gefragt», lacht Neumayr. Nach Aarau hetzen müsste Piqué jedenfalls nicht, denn Neumayr will lange bleiben. Länger als der Vertrag bis Saisonende, den er unterschrieben hat.
«Wir haben ausgemacht, bis Saisonende zu schauen, wie das klappt mit mir und dem FC Aarau. Im Sommer wechselt ja auch die Klubführung, vieles ist ungewiss. Für mich ist das okay. Aber ich spiele schon mit dem Gedanken, hier in ein paar Jahren die Karriere zu beenden. Das habe ich den Verantwortlichen auch klargemacht.»
Das Risiko der FCA-Verantwortlichen: Wohin mit Markus Neumayr?
Grundsätzlich gilt: Der langjährige Spielmacher von Thun, Bellinzona, Vaduz und Luzern kann mit seiner Klasse jeden Klub in der Challenge League weiterbringen. Doch die Verpflichtung von Markus birgt auch Risiken für den FC Aarau. Wohin mit ihm? Einen Neumayr holt man nicht für die Ersatzbank. Umso weniger, weil er getestet worden soll für eine allfällige Vertragsverlängerung im Sommer. Rückblick: In der zweiten Vorrundenhälfte hat Trainer Patrick Rahmen sein Gerüst gefunden. Im zentralen Mittelfeld waren Elsad Zverotic und Olivier Jäckle Garanten für die fulminante Aufholjagd (19 Punkte aus sieben Spielen). Einen der beiden für Neumayr zu opfern, birgt Zündstoff. «Ich kann im Zentrum überall spielen, auch als Achter und Zehner», sagt Neumayr. Und zur Konkurrenzsituation: «Auch wenn es läuft, braucht eine Mannschaft Neuzugänge. Sonst werden die Spieler bequem. Wenn wir beimFC Aarau in der Rückrunde vorne angreifen wollen, kann es nicht genügend gute Spieler geben.»
Apropos: Was liegt für den FCA in dieser Saison noch drin? Will Neumayr in die Barrage? «Wenn ich jetzt konkrete Ziele nennen würde, wäre das mein erster Fehler hier. Das erste Spiel gegen Wil zeigt, wohin die Richtung gehen könnte. Nur so viel: Die Spieler von Tabellenführer Servette geben sich schon ziemlich sicher, was den Aufstieg betrifft. Das könnte sich rächen.» (wen)